6841240-1975_45_06.jpg
Digital In Arbeit

Makarios hat Angst

Werbung
Werbung
Werbung

In den großen Flüchtlingslagern südlich von der zwar noch durch keine Mauer, aber durch eine nicht minder einschneidende „Grüne Linie“ zweigeteilten zypriotischen Hauptstadt Nikosia rüsten sich tausende griechische Familien aus dem türkisch besetzten Norden der Insel für ihren zweiten Baracken- oder gar Zeltwinter. Um diesen zu überdauern, brauchen sie nicht nur warme Decken und wetterfeste Kleidung, sondern auch inneren Ansporn, Hoffnung und Kraft. Diese ziehen die meisten Flüchtlinge aber nicht mehr aus den Lehren der griechisch-orthodoxen Staatskirche ihres Erz-bischof-Präsidenten Makarios III. und noch weniger aus den Parolen von baldiger Wiedervereinigung Zyperns, wie sie die nationalistischen Politiker der griechischen Volksgruppe so lange im Mund führten, bis sie trotz aller türkischen Un-nachgiebigkeit selbst daran zu glauben begannen. Was fast einer Viertelmillion Zypernflüchtlingen in diesem regnerisch-kalten Herbst die Herzen und Füße wärmt, sind die

Losungen der zypriotischen Kommunisten von einem totalen Umschwung, der dann in einer klassenkämpferischen Volksrepublik auch den von den „Mächten des Imperialismus und Kolonialismus“ geschaffenen Gegensatz der griechischen und der türkischen Volksgruppe aus der Welt schaffen würde.

Unter den Zyperntürken haben die Kommunisten hingegen bisher kaum reelle Chancen. Sie vermeiden es jedoch, nur auf einen Bevölkerungsteil zu setzen, indem sie betonen, daß die Einheit der Insel unabhängig von politischen und ideologischen Auffassungen wiederhergestellt werden müsse. Im Augenblick besteht zwischen den Kommunisten und Makarios noch gutes Einvernehmen. Man darf jedoch unterstellen, daß sich die Lage sehr schnell ändern kann, wenn die zypriotischen Kommunisten die Zeit für gekommen halten, ihren Machtanspruch offen vorzutragen. Das kann schon sehr bald sein, nachdem ihnen die türkische Invasion von 1974 jetzt endlich in den Schoß geworfen hat, worum sie sich seit

Jahrzehnten vergeblich abplagten: die Schaffung eines starken, unter elenden Bedingungen dahinvegetierenden Proletariats, das auf Zypern eben nicht, wie anderswo, durch Industrialisierung, sondern durch die Flüchtlingsnot entstanden ist. Wer die Palästinenserlager “um Beirut oder Amman kennt, und dann mit offenen Augen durch die Behausungen der Zypernflüchtlinge geht, kann es an den Fingern einer Hand abzählen, wann hier eine ähnliche Explosion wie im Nahen Osten losbrechen wird.

Die Stärke der kommunistischen „Fortschrittlichen Arbeiterpartei Zyperns“ (griechisch: AKEL) besteht über diese neuen Vorteile hinaus darin, daß sie besonders im griechischen Bevölkerungsteil schon vor Jahrzehnten Fuß gefaßt hat, über eine Reihe von straff gegliederten Tarnorganisationen verfügt, den größten Gewerkschaftsverband der Insel kontrolliert und sich in den Augen der Bevölkerung weniger als die durch ihr Zusammenrücken mit der seinerzeitigen griechischen Militärdiktatur am Eingreifen der Türkei mitschuldigen Rechtsparteien diskreditiert hat. Fördernd für die KP hat sich auch vor allem seit der Unabhängigkeit Zyperns (1960) die zunehmende Verstädterung der Insel ausgewirkt.

Der Versuch von Makarios' Leibarzt Vassos Lyssaridis, die Kommunisten in seine sozialliberale Mittelpartei umzulenken, ist bisher über einen Achtungserfolg nicht hinausgekommen, so daß die bürgerlichkonservative „Einheitspartei“ des Staatschefs in diesen schweren Stunden zypriotischer Politik nicht nur auf die Duldung der rechtsradikalen „Fortschrittlichen“ angewiesen, sondern vor allem von aktiver kommunistischer Mitarbeit abhängig bleibt. Die KP Zyperns hat von dieser erstmals bei den Parlamentswahlen von 1960 eingeleiteten Kooperation bisher nur profitiert. Stellte das AKEL damals nur 5 der 50 Abgeordneten, so konnte es bei den letzten Wahlen fast 40 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Wenn Zypern heute dennoch nicht kommunistisch geworden ist, so hat man das nur der starken Persönlichkeit des sonst mit Recht so umstrittenen Makarios zuzuschreiben. Trotz seiner außenpolitischen Neigungen für den Ostblock und abgesehen von der recht intoleranten Behandlung der türkischen Minderheit vor 1974, ist Makarios in allen innerzyprischen Belangen Demokrat, der von einer roten Alleinherrschaft nichts wissen will.

Stellen sich die Kommunisten heute offen gegen den Erzbischof, dann könnte ihr Anhang ebenso abbröckeln, wie das 1959 nach dem Siegeszug der fünfziger Jahre (Kommunalwahlen 1953: 43 Prozent!) der Fall war, als sie sich gegen die Berufung von Makarios zum Staatschef gestemmt hatten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung