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Gespenst in den Bergen

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Die Flucht des als Popen verkleideten Zypernhaudegens General Grivas aus seinem Athener Zwangsaufenthalt über die Bundesrepublik Deutschland nach dem gebirgigen Westzypern, wo er schon 1956 bis 1960 den Widerstand der EOKA gegen die britischen Kolonialherren geleitet hatte, hat in der ganzen Inselrepublik, aber auch in der Türkei einen Schock ausgelöst, dessen Auswirkungen sich bisher aber sehr heilsam geäußert haben: Während es Grivas in einmonatiger Wühlarbeit unter den rechtsnationalen Extremisten Zyperns noch nicht gelungen ist, eine tragfähige Alternative zum demokratischen Regiment des Linksneutralisten Makarios III. anzubieten, hat die Furcht der liberal gesinnten Mehrheit der griechischen Bevölkerung und vor allem der türkischen Separatisten vor einer Auferstehung des EOKA-Gespenstes dem schon totgesagten Dialog zwischen den beiden Volksgruppen neue Impulse gegeben.

Grivas leidet vor allem darunter, daß er seine aus den Resten der 1968/70 im Sold des extremen Athener Juntaflügels auf Zypern terroristisch aktiven „Nationalen Front“ und EOKA-Veteranen rekrutierte Bewegung aus strategischen Gründen nur im Bergland von Paphos aufbauen kann, wo ihm Bevölkerung, Lokalbehörden und vor allem der einflußreiche Metropolit Gennadios feindlich gegenüberstehen. Hier ist nämlich nicht nur die engere Heimat von Erzbischof Makarios, an dem die kleinen Bergbauern und Holzarbeiter in treuer Verehrung festhalten, sondern auch das Gebiet des traditionell besten Zusammenlebens von Griechen und Türken, so daß die Haßtiraden des Generals auf diese im 16./17. Jahrhundert eingewanderten Abkömmlinge von islamisierten Griechen der Zentraltürkei hier auf keinen fruchtbaren Boden fallen.

Die Anhängerschaft von Grivas konzentriert sich hingegen unter den begüterten Agrarherren der mittelzypriotischen Getreideebene, die vor allem mit der Sozialpolitik des Erzbischof-Präsidenten nicht einverstanden sind, im Provinzstädtchen Lefka mit den Parolen für das griechische Militärregime an den Haus- und Kirchenwänden sowie an der Nordküste der Insel, wo sich nach den bitteren Erfahrungen mit dem türkischen Bombardement von 1964 und dem

Flottenaufmarsch von 1967 die Mentalität der schlimmsten Türkenfresserei herausgebildet hat. Der Metropolit der Hafenstadt Kyrenia, Kypri- anos, ist Grivas’ fanatischster Parteigänger, auf den die zu Unrecht gegen Erzbischof Makarios erhobenen Vorwürfe unchristlicher Friedensfeindschaft und Intoleranz voll und ganz zutreffen. Mit überwältigender Mehr-

heit direkt aus dem Volk gewählt, wie das seit frühchristlicher Zeit bei allen drei zypriotischen Metropoliten und dem Erzbischof von Nikosia ütjlich ist, verkörpert Kyprianos eine bedeutende politische Macht, die weit über seine Diözese hinausreicht und fast die ganze Insel mit Ausnahme des Berglandes von Paphos umfaßt.

Gewaltstreich des Generals

Unter den politischen Parteien der Insel haben sich bereits die beiden Rechtsgruppen sowie die im Parlament allerdings nicht vertretenen Nationaldemokraten neofaschistischer Ausrichtung für Grivas erklärt. Der Makarios-Regierung verbleibt zwar immer noch die auf das linksliberale Zentrum und den AKEL- Block der Kommunisten und Linkssozialisten gestützte Mehrheit der „Einheitspartei“ unter dem Schützling des Erzbischofs Kleridis. Die

Entscheidung wird sich aber kaum mehr im Parlament vollziehen, nachdem die führenden Politiker der oppositionellen „Fortschrittspartei“ bereits untergetaucht und zu Grivas in die Berge gegangen sind. Unter diesen bedrohlichen - Vorzeichen haben sich Parlamentspräsident Kleridis und sein zypern-türkischer Gesprächspartner Denktasch erneut

in Nikosia an den schon abgeräumten Verhandlungstisch gesetzt. Sie feilschen jetzt nicht weiter, wie schon seit Sommer 1968, ergebnislos um innerzypriotische Nationalitätenprobleme, sondern es geht in aller Eile darum, wie die demokratisch und vaterländisch-zyprisch gesinnten Griechen und Türken der Insel gemeinsam die Gefahr eines Gewaltstreiches des Generals abwehren und die Unabhängigkeit und Neutralität der Inselrepublik erhalten können. Ist das einmal gewährleistet, so sollen erst die inneren Fragen des Verhältnisses der beiden Volksgruppen geregelt werden.

Zypern hatte bisher Grivas zu einem großen Teil seine Freiheit von den Briten, aber auch die Hypothek der nationalen Spaltung der Insel zu verdanken. Wenn nicht alles trügt, wird das zweite Erscheinen des Generals auf Zypern wider seine eigentlichen Absichten nun zur Überwindung dieser Kluft beitragen.

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