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Pompeji in Nordafrika

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In Marseille schon, in einer Steingut-Schüssel voll safranduftender Bouillabaisse, schien das an einer Fischseite klebende Stückchen Zeitungsblatt mit dem Kopf „Echo d'Alger“ eine erste Bestätigung für die Erklärungen meines Tischnachbarn (mit Märiusbart und um den Hals gebundener Serviette) zu geben; Französisch-Nordafrika, ganz besonders Algerien, sei ein fortgesetztes, durch das Mittelmeer in keiner Weise vom Mutterland abgetrenntes Stück französischer Provinz, auch Tunesien mit seiner 6tarken italienischen Minorität habe ganz den Charakter einer typisdien Uferlandschaft am großen lateinischen Teiche.

Immer noch, an der ganzen ausgedehnten Küste, von Karthago bis nach Marokko hinein, ist Roms Erbe in jenem Landstrich zwischen Wüste und Meer siditbar, den die Eingeborenen anschaulich „Dschesireh el Maghrib“ — Insel des Sonnenunterganges — nennen, weil das Land zwischen dem Mittelmeer und dem Sandmeer der Sahara inselgleich eingesdilossen liegt. Zwar bat Kleinafrika, seit die zerstörenden Nomaden aus der Wüste über den byzantinischen Limes hereinbradien, ein anderes Gesidit, das islamische, bekommen, aber alle die „orientalischen“ Impressionen von Halbmonden, Muezzinrufen, Silhouetten der Minaretts liegen nur wie eine leicht abzunehmende Schminkschicht über der alten Latinität. Ziegelroter Staub der nahen Wüste hat die lateinisdien Trümmer zugedeckt, doch war es weder für die Kabylen, denen die antiken Ruinen weiter nichts als billige Steinbrüche bedeuten, noch den sorgenden Archäologen schwer, sie wieder freizulegen.

Wie sie an den Tat kamen und stets noch •weiter geistergleidi aus dem Boden aufsteigen, darüber berichtet Albert G r e n i e r, der Direktor der französischen Schule für Archäologie in Rom. Denn das Plaupt-quartier der französischen Archäologen, die in Nordafrika graben, liegt in Rom. Grenier, der von einer Inspektionsreise durch Algerien zurückgekehrt ist, erzählt von den Fortschritten der Grabungen, den weiteren Möglichkeiten größerer Entdeckungen. Nordafrika, von der kleinen Syrte bis Mek-nes, einst die Kornkammer Roms und Reservoir wilder Tiere für die Zirkusspiele, ist ein altes Jagdgebiet für Archäologen, schon seit den Tagen Karls des Zehnten, als die französischen Truppen bei Sidi Ferruch, unweit der alten römischen Hauptstadt Mauretaniens, landeten. Napoleon III., begeisterter Amateurardiäologe, schuf die Vorbedingungen für die Gründung des heute sehr regen „Service des Monuments Historiques“.

Albert Grenier vergleicht die Ausdehnung afrikanischer Ruinenfelder mit jenen der Städte Pompeji und Ostia: „Unter der dünnen Erdschichte, unter Kakteenhecken und Steppengras, liegen ganze Städte mit ihren Häusern, Geschäften, Thermen, Theatern, Tempeln. Einige Säulen stehen noch aufrecht, andere müßten an ihrem früheren Platz wieder aufgerichtet werden. Man sieht Basiliken, die zuerst römische Gerichtsgebäude waren, ehe man sich entsdiloß, daraus christliche Kirchen zu machen. Die große Vergangenheit wird wieder wach; wir sehen und verstehen die Kulturarbeit, der Afrika seine Fruchtbarkeit verdankt.“

Die öfter wiederholte Anspielung der französischen Kolonisten auf die Bewässerungskunst und den Bauernfleiß der latei' nischen Siedler hat heute auch einen politischen Sinn. Mit Recht betrachten sich die Franzosen, so wie die Italicner in der Cyre-naika, als Vollstrecker der alten lateinischen Aufgabe auf einem heiß umstrittenen Boden.

In diesem kurzen Bericht soll nur von jenen Ausgrabungen die Rede sein, die, soweit sie schon abgesdilossen sind, ein Bild von der gewaltigen Ausdehnung und der bi'sher noch sehr unterschätzten Bedeutung der nordafrikanischen Ruinenfelder geben können. Allein In nächster Nähe von Algier, dem antiken Icosium, befinden sich über ein Dutzend reichster römisch-punischer Fundstätten, die jahrhundertelang den Siedlern in der Umgebung als Steinbrüche gedient haben, so wie ja auch Petronell und Deutsdi-Altenburg aus den Ruinen von Carnuntum erbaut wurden, Timgad, das antike T h a m u g a d i, war eine Stadt von etwa 40.000 Einwohnern. Diete ungefähr um 100 v. Chr. gegründete Siedlung hatte sich in fünf Jahrhunderten zu einem starken römisch-berberischen Fort ausbauen lassen. Nach seiner Zerstörung durch ein numidisches Bergvolk entstand über den Trümmern dieser Fundstätte eine neue byzantinisdie Festung. Man hat nun die oberste Schidn dieser Fundstätte, die byzantinische Ruine, vollständig freigelegt, dagegen nur zum Teil die darunter gelagerte römische Stadt mit ihren mächtigen Triumphbögen, ihren Marktplätzen und Wohnhäusern. In dem in der Nähe Tim-gads liegenden Lambese, dem Standort der III. römischen Legion, Lambaesis, wurden bisher ein Amphitheater, ein Äskulaptempel, Thermen und sehr viele Kleinfunde, vor allem Bronzegegenstände und Sigillaten, ausgegraben, so daß sich vermuten läßt, neben dem alten Castrum müßte sich noch eine unterirdische Zivilstadt, etwa von der Größe Thamugadis, befinden. Die Häuser der weißen Stadt Tebessa (Theveste), an der tunesischen Grenze liegen um einen Minervatempel gruppiert, der als das schönste heidnische Bauwerk Nordafrikas angesehen wird.

Besondere Beachtung verdient die kleine algerische Stadt Cherdiell, am Fuße sanfter mit Pinien bewaldeter Hügel gelegen, umgeben von reichen Weingärten, deren Gelbgrün sich lebhaft von dem dunklen Waschblau des Mittelmeeres abzeichnet. Aus dem winzigen phönikischen Inselhafen Yol. ist unter Augustus das intellektuelle Zentrum Mauretaniens, Claudia Caesarea, geworden und später die Hauptstadt des nordafrikanischen Vandalenreiches. In Cherchell wurde eine Statue des numidischen Zaunkönigs Juba II. ausgegraben, einer sehr kuriosen Persönlichkeit. Numidier von Geburt, römischer Bürger von der Gnade des Augustus, mit dem Ägyptertum verbunden durch seine Heirat mit Cleopatra Selene, der Tochter der großen Cleopatra und des Marc Anton, war er eine merkwürdige Erscheinung an der Überschneidung zweier Kulturkreise. Vor allem wollte er für einen Griechen gehalten werden, und 6ein lebenslanger Ehrgeiz ging dahin, einmal zu den Unsterblichen der Athener Akademie gezählt zu werden. Die Marmorstatue — nun im Pariser Louvre — zeigt das Antlitz eines Kunstkenners mit etwas gelangweilter Miene. „Unter allen Königen“, so sagte Plutarch von ihm, „gab es keinen besseren Historiker.“ Plutarch mußte es wissen, denn ebenso wie Plinius, schrieb er ohne Skrupel aus den gelehrten Werken Jubas ab. Juba war auch Geograph und Mediziner, Kunstkritiker, Dramatiker. Er sandte eine wissenschaftliche Expedition nach den damals am Ende der Welt gelegenen Kanarischen Inseln aus, verfaßte eine Geographie Arabiens, eine Gesdiichte des assyrischen Reiches, ja sogar über das Schamgefühl der Elefanten schrieb er eine gelehrte Abhandlung. Er konnte die Dickhäuter damals in Nordafrika noch in freier Wildbahn beobachten. Wie noch andere der griechischen Skulptureh aus Cherchell zeigen, holte Juba mehrere griechische Künstler an seinen Hof, die recht gute Kopien nach heute verlorenen Originalen des Phidias und des Lysippes herzustellen verstanden. Zu den besten Bronzearbeiten griechischer Herkunft aber, die jemals in Nordafrika gefunden wurden, gehören die in Volubilis bei Meknes in Marokko ausgegrabenen Figuren eines Dionysos und eines efeubekränzten Epheben. Es scheint so, als ob die griechische Kunst der klassischen Zeit, lange nach ihrem Ermüden, drüben in Afrika noch ihre hohe Form bewahrt hätte.

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