6546165-1947_16_12.jpg
Digital In Arbeit

Alteuropa auf afrikanischen Ufern

Werbung
Werbung
Werbung

Gewöhnlich sieht man in den Ländern am Südufer des Mittelmeeres Länder des islamischen Orients und hat damit, solange man in den Städten und ihrer Umgebung bleibt, auch recht. Es wird dort arabisch gesprodien, die Mensdien bekennen sich zum Islam und die Baustile und die Traditen, die wir dort finden, sind die gleichen wie im islamischen Vorderasien. Aber das ist eine äußere Fassade, hinter der eine ganz andere Wirklidikeit liegt. Daß der Großteil der Bewohner auch in den Städten und in den offenen Landschaften nicht wirklich von arabischem Blute ist, würde das übrige Nordafrika noch nicht von Ägypten unterscheiden, denn auch dort ist der Großteil der Bewohner aus Nachkommen der alten Ägypter zusammengesetzt und also nur sprachlich arabisch. Aber im außerägyptischen Nordafrika kommt noch etwas hinzu, das das Gebiet ganz enge mit den Landschaften am europäischen Ufer des Mittelmeeres verbindet. Hier war nicht weniger römisches Kolonisationsland wie am Nordufer des Mittelmeeres und auch vor den Römern, zur karthagischen Zeit, dürfen wir um Nordafrika keineswegs als durch die Karthager orientalisch geformte Welt vorstellen. Die Karthager hatten semitische Sprache und Schrift und eine vorderasiatische Religion, aber sonst waren sie durch die Vermischung mit dem Eingeborenenblut Nordafrikas und durch ihre innigen Beziehungen mit den Mittclmeerländern im Westen tark umgeformt. Hannibal hatte engere Beziehungen zur griechischen Kultur und Bildung als die meisten Römer seiner Zeit,

In der Römerzeit hat uns dieses Nordafrika eine Reihe von Persönlichkeiten geschenkt, die für das abendländische Geistesleben von großer Bedeutung wurden. Die größte Persönlichkeit darunter ist der heilige Augustinus, dessen Wirken aus unserer abendländischen Bildungsgeschichte nicht wegzudenken ist und der bis heute für uns bestimmend bleibt. Wenn in der jüngsten Vergangenheit Augustinus als „Afrikaner“ bezeichnet und damit zum Europäertum in Gegensatz gestellt wurde, so ist das, abgesehen von der Tendenz, weitgehend doch von unserer falschen Auffassung Nordafrikas her begründet. Augustinus ist ein ausgesprochener Exponent abendländisch-europä-idien Denkens und steht uns bedeutend nähqr als etwa manche Denker des späteren Griechentums. Das erklärt sich daher, “daß eben Nordafrika nicht ein Gegensatz zu Europa, sondern ein alter Bestandteil der europäischen Kulturgemeinsdiaft war und nur durch die islamische Eroberung überfremdet wurde.

In den Bergen Nordafrikas, in den verschiedenen Ketten dos Atlas und der Inselberge finden wir ein Volkstum, das mit dem Arabertum nur die offizielle Religion, den Islam, gemeinsam hat. Aber sogar in der Religion ist ein weitgehender Unterschied zu den eigentlichen Moslim. zu den wirklichen Arabern, festzustellen. Die religiösen Gebräuche der von den Arabern „Berber“ genannten Bewohner dieser Gebiete sind den Gebräuchen der europäischen Bauern ungemein nahestehend, ja weitgehend dieselben. Die Ehrfurcht vor dem Wachstum der Nahrungspflanzen und der Nahrung selber äußert sich in genau den gleichen Zeremonien, und von den Johannisfeuern bis zu dem Einbringen der letzten Garbe, als Opfer und Heilsgabe, wiederholt lieh alles, was uns von den europäischen Gebirgs Bauern geläufig ist. Wenn disse Ubereinstimmung m dem, w von Alteuropa noch heute oder noch bi vor kurzem, bei uns selber weiterlebt nidit auch von der Sprache gilt, so kommt das eben daher, daß unser Europa seine alten Sprachen gewechselt hat und mittlerweile indogermanisch geworden ist.

Dieses vorindogermanische Alteuropa ist mit dem vorislamischen Nordafrika weitgehend übereinstimmend. E ist ja auch dem Sprossen eines anderen alteuropäischen Volkes das gleiche Schicksal passiert, wie Augustinus dem „Afrikaner“: Ifiigo de Loyola, der aus einem eine nicht indogermanische Sprache sprechenden, aber in seiner Kultur und seinem Wesen echt alteuropäisehem Volke, den Basken, stammt. Auch“ sein Europäertum wurde bestritten.

Und mit dem Volke der Basken kommen wir zu ihrer Sprache*, die ein Rest des vor-indogermanischen Europas ist, der einzige, der noch im Westen übrigblieb. Man “hat über diese Sprache viele Forschungen angestellt und deshalb, weil sie sidi nicht mit, den indogermanisdien Sprachen zusammenbringen läßt, auch in dem Volk, das .sie spricht ,etwas Fremdartiges sehen wollen. Aber in ihrer Volkskultur, in ihrer Volkskunde, sind sie nichts weniger als fremd artig, sie gehören zum Kreis der Gebirgs-bauernkultur und in ihren Wirtschaftsformen, ihren Geräten und in ihrem ohne Gesangverein gepflegten mehrstimmigen Gesang sind sie die nächsten Verwandten unserer Alpenbauern, ob diese nun deutsch, ladinisch, italienisch oder französisch reden. Damit wird es uns auch klar, daß diese Kultur selber zusammen mit anderen wesentlichen Kultur- und Wirtschaftsformen Alteuropas vorindogermanisch gewesen sein muß. Was die Sprache selber aber betrifft, so enthält *He eine Schichte von Worten und alten Bildungselementen, die sie eng mit der' Sprache der Berber in Nordafrika verknüpft, und das sind dann nicht willkürlich und zufällig herausgegriffene Worte, scjji-dern Benennungen von bodenständig Alt-europäischem in Tierwelt, Pflanzenwelt und, Wirtschaftsdingen, Wenn wir dann weiter Ausschau halten, finden wir im westlichsten Zweig der europäischen Indogermanenspra-chen, im Keltischen ,in deren südlichstem Zweig, im Italisch-Lateinischen, und im Bereich der germanischen Sprachen, dieselben Bedeutungskreise mit gleichen Stammworten benannt, und diese Stammworte selber wieder haben keine weiteren Beziehungen zu den anderen indogermanischen Sprachen und sind überdies untereinander nicht auf die indogermanischen Lautgesetze zu bringen. Es steckt also dieses vorindogermanische Alteuropa als Untersdiicht und Erbe der Vergangenheit-auch in diesen indogermanischen Sprachen.

Wo dieses alte Erbe in Europa lebendig blieb, da zeigen sich seine Träger mit demselben unbändigen Unabhängigkeitsgeist, mit demselben extremen Individualismus wie die Berber Nordafrikas. Der Kantönligeist ist für sie ebenso charakteristisch wie für die Nordafrikaner. Dazu kommen dann überall die Spuren eines alten, tief eingewurzelten Mutterrechtes, dessen mittelalterliche Blüte die Minnehöfe und der Frauendienst waren.

Daß diese innige Verwandtschaft zwischen Europa und den wirklichen, editen Nordafrikanern nicht nur etwas ist, das erst mühsam von der Wissenschaft festgestellt werden muß, sondern etwas, das jedem der

offene Augen hat, entgegentritt, das sehen wir in einem vor kurzem ersdiienenen Buche des P. Angelus K o 11 e r O. F. M., eines Schweizers, der lange Jahre als Missionär unter den Berbern Marokkos lebte *. Er fand, daß die Leute dort in den Gebirgen Marokkos sich ganz wesentlich von den Arabern unterschieden und daß sie in Lebens- und Anschauungsweise und in ihrer ganzen Haltung sich von den Gebirgsbauern der Schweiz und Frankreichs kaum unterschieden. Die freie Stellung der Frau, ganz anders wie bei den Mohammedanern, ihre ganz andere Haltung in religiösen Dingen, die sie trotz des Islams, den sie heute bekennen, von den anderen Mohammedanern so klar unterscheidet —• kurz und gut, er erkannte in ihnen deutlich und klar d i e Verwandten der Europäer. Sein Buch gibt ein gutes und lebendiges Bild von diesem Volk und er geht auch einigermaßen ihrer Vergangenheit nach. Es ist ein gutes und klares Bild, das uns darin von diesem Volkstum gegeben wird, und es faßt in leicht zugänglidier Forrri alles das zu sammen, was uns selber mit ihnen verbindet. Mit P. Koller muß man es beklagen, daß der Zusammenhang mit diesen den Europäern so nahestehenden Menschen und somit eine vieltausendjährige Verbindung Nordafrikai — oder wie ich selber es als alte Heimstätte der europäischen Rassen und Kulturen nennet „Wcißafrika* — mit Europa durch den Islam zerschnitten wurde. Wenn um die Mitte des vorigen Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des jetzigen Jahrhunderts europäisdie Nationen sich dort festsetzten und die Herrschaft übernahmen, so ist damit noch lange nüht die Rückgewinnung dieser Gebiete Alteuropas für Neueuropa durchgeführt. Im Gegenteil, die Erschließung der Gebirgsgegenden für den Verkehr und die Abneigung der Kolonialbehörden, sich neben dem Arabischen auch noch mit dem Berberischen zu belasten, hat gerade unter europäischer Verwaltung zu einer weiteren Ausbreitung des arabischen Einflusses auf die alteuropäischen Gebirgsberber geführt. Seither haben die Franzosen, und Bahnbrecher war dabei weitgehend der Marschall L y a u t e y, .erkannt, daß das Berbertum ein wertvolles Bevölkerungselement ist und es das Interesse Europas ist, dieses Element vor der Arabisierung zu bewahren und mehr in den Vordergrund zu bringen. Der Fleiß und die Genügsamkeit dieser Mensehen entspricht vollkommen dem Charakter unserer Gebirgsbauem Sie sind so kinderreich wie diese und müssen deshalb ihren Bevölkerungsüberschuß an die Städte abgeben; aber nicht nur an die Städte Marokkos und Algiers, sondern audi an die französischen, bis nach Paris hin. Bisher haben sie ihren Bevölkerungsüberschuß und ihre nid geringe geistige Kraft an die Araber abgegeben Wir erhoffen uns von den Brüdern des heiligen Augustinus, neuerlich für Europa empfangen zu können und ihnen von Europa aus geben zu können, , Ihre alte Religion, die hinter dem islamischen Firnis noch immer durchschaut, ist in inniger Gottesglauben und ihre Gebräuche bei Ernte und Saat sind restlos fibereinstimmend mit dem, was wir an frommen1 Bräuchen auch bei unseren europäischen Bauern finden. Bei der wichtigen wissenschaftlichen Aufgabe der Erkenntnis des vorindogermanischen AJteuropa, in dem ja die Wurzeln unseres eigenen heutigen europäischen Lebens liegen, ist die Volks-kultur dieser Berber weitgehender Schlüssel zu den Kammern der Vergangenheit und hier fällt uns Licht auf Gebiete, die uns sonst unzugänglich blieben, weil ihre Zeugnisse nicht in geschriebener Geschichte oder in archäologischen Bodenfunden, sondern in der Volkskunde heute lebender Völker liegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung