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Es begann in den Katakomben

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Nachdem bereits 1852 Papst Pius IX. die „Päpstliche Kommission für Christliche Archäologie“ ins Leben gerufen hatte, der die Ausgrabungen und wissenschaftliche Erschließung der Katakomben übertragen war, hat am 11. Dezember 1925 Papst Pius XI. durch ein eigenes Motu-Proprio das „Päpstliche Institut für Christliche Archäologie“ lnstitutum Pontificium Archaelogiae CUristianae) gegründet. Da Pius XL, der Papst der Wissenschaften, die Notwendigkeit eines derartigen Studienzentrums erkannt hatte, war damit, für diesen jungen Zweig der Wissenschaft, ein wesentlicher Schritt getan.

Das Forschungsgebiet für dieses Institut, nämlich die nichtliterarischen Zeugnisse der frühen Christenheit, war klar und in reichlichem Maße vorhanden. Es wäre sicher überflüssig, noch die Notwendigkeit dieser Arbeit unterstreichen zu wollen, da es doch heute kaum jemand bezweifeln wird, daß sich Gelehrte mit den Gebäuden auf der Akropolis, auf dem Forum Roma-num oder anderen antiken Denkmälern wissenschaftlich auseinandersetzen. Um wieviel mehr muß es da für einen Christen bedeutungsvoll sein, die Lebensäußerungen derjenigen Menschen kennenzulernen, welche den Aposteln und ihren Schülern nahestanden! Aber hier stoßen wir bereits auf den wesentlichen Unterschied und die Berechtigung der klaren Abgrenzung der christlichen zur übrigen Archäologie, die ja heute bereits durch die Fülle des Materials wieder in verschiedene Untergruppen geteilt wird. Erforschen die anderen archäologischen Zweige Lebensäußerungen versunkener Kulturen, so haben wir doch in der christlichen Archäologie Monumente vor uns, die Zeugen eines noch lebendigen Glaubens sind und die Menschen geschaffen haben, denen dasselbe Glaubensgut in die Hände gelegt war, aus“ welchem wir heute ebenso noch unsere Kraft schöpfen;, wie die Chri- sten der vergangenen Jahrhunderte.

Es begann mit der Katakombenforschung

Die christliche Archäologie hatte bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der Aufdeckung der Katakomben und der tendenziösen Ausdeutung des christlichen Altertums der Magdeburger Centuriatoren ihren Anfang genommen, aber natürlich nicht unter ihren heutigen Begriffen und Voraussetzungen. Es war der gelehrte Kardinal Baronius (15 38 bis 1607), der sich bereits mit dem Studium des christlichen Altertums befaßte. Für das 17. Jahrhundert müssen als Gelehrte Boldetti, Bosio, Ciampini und Mabillion genannt werden.

Im 18. Jahrhundert wirkten Bona-rotti, P. Lupi, A. Muratori und A. Zaccaria, um wenigstens die wichtigsten Namen dieser Zeit zu nennen. Allerdings war der Begriff der christlichen Archäologie im Geiste und mit den Mitteln der Zeit wesentlich weiter gefaßt. So verstanden diese Forscher das christliche Altertum im aller-weitesten Sinne; nämlich in seinen öffentlichen und privaten Äußerungen wie Verfassung und Recht, Kult, häusliches Leben, Kunst, Literatur und Dogma.

Nachdem im 19. Jahrhundert Winckelmann die Kunstgeschichte zur Wissenschaft erhoben hatte und die verschiedenen wissenschaftlichen Akademien entstanden, versuchte Seroux d'Arincourt, auch die frühchristlich-spätrömische und die mittelalterliche Kunst neu zu ordnen. Galt damals in Italien, Deutschland und Frankreich, das besonders durch die historischkritische Methode der Benediktiner bekannt geworden ist, das Hauptinteresse dem christlich-römischen Altertum, so befaßte man sich in England in dieser Zeit besonders eifrig mit mittelalterlichen Studien.

Einen ganz neuen Aufschwung erhielt aber die christliche Archäologie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts durch Giovanni Battista de Rossi (1822 bis 1894). Der aus einer bekannten römischen Familie stammende Mann war aus eigenem Antrieb Altertumsforscher geworden und unter der Leitung von P. Marchi - dieser hatte den Achtzehnjährigen einmal im Vatikanischen Museum beim Kopieren von antiken Inschriften „ertappt“ — herangewachsen. Er gilt als eigentlicher Begründer der christlichen Archäologie.

In der Zwischenzeit hatte sich im deutschen Campo Santo in Rom um Monsignore A. D e W a a 1 ein neuer Kreis gebildet. Monsignore De Waal, der zwar nicht sosehr als Forscher, sondern vielmehr als Liebhaber und Mäzen (bekannt durch seine Ausgrabungen in St. Sebastiano) tätig war, hat sich gerade dadurch besondere Verdienste erworben und mitgeholfen, die kommende, zum Teil heute noch lebende Archäologen- und Historikergeneration mitzuformen.

Ein weitgespannter Rahmen

Die Frage nach dein zeitlichen Umfang der christlichen Archäologie ist im wesentlichen auch seit De Rossi klargestellt. Die obere Grenze wird mit dem Tod Gregors des Großen, 604, angenommen,- wobei für den Anfang natürlich die Zeit der Geburt Christi, das heißt das Vorkommen der ersten christlichen Monumente, gegeben ist. Obwohl Le Blant in seiner Sammlung christlicher Inschriften bis 726, bis zu dem Beginn der ikonoklastischen Periode geht, so beschränkt man sich doch im allgemeinen auf das Ende des 6. Jahrhunderts, da in dieser Zeit der Einfluß der antiken Kirche im Okzident wirklich zu Ende ist und im Orient durch den Einfall der Araber vollkommen ausgelöscht wird.

Der Rahmen für die christliche Archäologie ist also weit genug — man könnte fast sagen unübersehbar -gespannt und bietet dem Forscher ein

überaus reiches Arbeitsgebiet. Stand früher die römische Forschung im Vordergrund, so setzt sich doch immer mehr die Meinung durch, daß die Verbindung der einzelnen römischen Provinzen untereinander eine viel intensivere war, als wir es uns heute vorstellen können. Der unsägliche Streit „West- oder Ost-Rom“, der gerade zur Zeit Strzygowskis hinsichtlich der Entstehung der christlichen Kunst eine besondere Rolle spielte, gewann dadurch nur eine zweitrangige Stellung und wurde zugunsten einer wesentlicheren Gesamtschau aufgegeben.

Der Stand der Forschung in den einzelnen Provinzen ist recht verschieden. Selbst in Rom, wo bisher das meiste getan wurde, harren noch viele Monumente auf eine eingehende und gründliche Bearbeitung, und eine Unzahl von Fragen und Problemen wird noch lange den Forschern Aufgaben stellen, von denen manche vielleicht überhaupt nie zu lösen sein werden.

Nur, um die afrikanischen Provinzen ist es schlecht bestellt. Dort kommt zu dem Mangel an eigenen Kräften noch die politische Unsicherheit und oftmals eine gewisse Interesselosigkeit der zuständigen Behörden an christlichen Monumenten. Verhältnismäßig günstig ist die Lage in den hispanischen Provinzen, wo gerade jetzt unter der Initiative eigener Forscher eifrig gearbeitet wird. Dies ist schon daraus zu erkennen, daß es 'mmer wieder Spanier sind, die am römischen Institut christliche Archäologie studieren.

Wie die anderen archäologischen Zweige, so ist auch die christliche

Archäologie eine Indizienwissenschaft, bei welcher die historisch-philosophische Methode angewendet wird. Bei der Bearbeitung der Monumente sind zuerst Echtheit, Ursprung und Bestimmung sowie Verwendungszweck, Alter und Zustand festzustellen. Dies erfordert ein eingehendes Studium jedes Monumentes, aus dessen Ergebnissen der Fachmann dann versuchen muß, Zusammenhänge und allgemeine Grundsätze aufzustellen, um so das christliche ' Leben in möglichst allen seinen Phasen rekonstruieren zu können.

Die Hilfsmittel sind zahlreich

Vielleicht ist es interessant, in diesem Zusammenhang einmal die Quellen und Hilfsmittel aufzuzählen, deren sich der christliche Archäologe bei seinen Arbeiten bedienen muß. Wie für jeden Archäologen ist eine gute Kenntnis der Geschichte, die das Koordinateasystem bildet, in das alle Ergebnisse eingespannt werden müssen, eine notwendige Voraussetzung, wobei in diesem Fach noch eine ebenso gute Kenntnis der Kirchen- und Papstgeschichte dazukommt. Daneben sind aber auch eine gute theologische Bildung und eine möglichst umfassende Kenntnis der Profanarchäologie erforderlich.

Als schriftliche Quellen kommen Märtyrerakten und die späteren, wenn auch legendären „Passiones“ in Betracht, in welchen besonders für römische Heilige verhältnismäßig sehr genaue topographische Angaben enthalten sind. Weitere Hinweise geben die Kaiendarien, liturgischen Bücher (Lektionarien und Sakramentarien), die Schriften einiger Väter (wie beispielsweise Eusebius, Prudentius oder Paulinus von Nola), die offiziellen Papstbiographien (der über Pontifica-lis Ecclesiae Romanae oder der Uber Pontificalis Ecclesiae Ravennatis) und die verschiedenen Pilgeritinerarien. die aber meist als solche schon Probleme stellen, wenn aus späteren legendären Überwucherungen der historische Kern herausgeschält werden soll.

Nur Erklärung, nie Beweis

Das allerbeste Hilfsmittel ist jedoch immer, wie P. Ferrua einmal sagte, die eigene praktische Erfahrung, die sich der Fachmann im Laufe der Zeit erwerben muß. — Auf keinen Fall darf sich gerade der christliche Archäologe von vorgefaßten Meinungen leiten lassen, die dann womöglich die Forschungsergebnisse beeinträchtigen. Immer sind es die Monumente, auf deren eigene Sprache während eines genauen Studiums zu hören ist, die sie aber auch für den, der Ohren hat zu hören, mit Eindringlichkeit sprechen.

Es braucht kaum betont zu werden, welche Bedeutung der christlichen Archäologie für die Kirchen- und Dogmengeschichte zukommt, für die sie bereits ein unentbehrliches Hilfsmittel geworden ist. — Wichtige dogmatische Entscheidungen finden oft in Gebäuden ihren Ausdruck (Konzil von Ephesus, 431 — Gründung von St. Maria Maggiore in Rom), das religiöse Denken und Fühlen des Volkes wird bildlich dargestellt, und gerade hier kann man in der Entwicklung des damaligen kirchlichen Lebens noch den Pulsschlag der ersten christlichen Jahrhunderte spüren.

Allerdings darf man auch nicht übertreiben! So bedeutungsvoll die Ergebnisse auch sind, so kommt ihnen für den theologischen Bereich doch nur eine dienende Stellung zu. Nie dürfen sie apologetischen Charakter tragen oder gar als theologische Quellen verwendet werden! Es wäre vollkommen untheologisch, aus archäologischen Ergebnissen vielleicht gar fundamentaltheologische oder dogmatische Beweise schöpfen zu wollen. Für die kirchliche Glaubenslehre kommt ihnen nur der Rang eines „locus theo-logicus“ zu. Das bedeutet, daß die Archäologie zwar zur Erklärung, aber nie als Beweis mancher Glaubensartikel herangezogen werden darf. Denn die katholische Theologie stützt sich auf andere Quellen, nämlich auf das lebendige kirchliche Lehramt, das in Schrift und Tradition fußt und nicht auf irgendwelchen, manchmal sogar fragwürdigen archäologischen Beweisen.

Ebenso muß auch immer zwischen historischer und archäologischer Frage scharf unterschieden werden. Es kann Fälle geben, die durch historische Quellen eindeutig nachgewiesen sind, wobei die archäologische Frage umstritten bleibt (Petrusgrab und Reliquien), und es gibt auch, umgekehrt, verschiedene Kultgebäude und Märtyrergräber, die quellenmäßig nicht belegt sind. Jeder Wissenschaft ihre eigene Bedeutung zuerkennen, ist gerade hier erstes Gebot.

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