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Die Astronomie im christlichen Altertum

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Der Vorwurf, die Kirche sei stets, besonders aber in ihrer Frühzeit, jedem wissenschaftlichen Streben feindlich geg;r übergestanden, zählt zu den von ihren Gegnern immer wieder abgegrasten Gemeinplätzen. Als Beweis dafür wird mit Vorliebe jene Stelle aus den „Göttlichen Unterweisungen“ des Lactantius angeführt, wo er, um die Ungereimtheit der heidnbehen Philosophie darzutun, die (übrigens tatsächlich grob irrige und ganz phantastische) Behauptung des Xenophanes erwähnt, daß der Mond achtzehnmal größer als die Erde und von Menschen und Tieren bewohnt sei, und dann weiter die Ansicht, daß es auf der ändern Seite der Erde „Gegenfüßler“ gäbe, als lächerlich hinstellt. Geht man indessen die Schriftwerke des christlichen Altertums daraufhin durch, was sie beispielsweise an Kenntnissen aus der Astronomie und ihren Grenzgebieten aufzuweisen haben, so ergibt sich, daß Lactantius mit seiner oberflächlichen Erledigung naturwissenschaftlicher Fragen ziemlich vereinzelt dastehti wie die folgende kleine Auswahl zeigen mag.

Doch zuvor wollen wir noch kurz bei Lactantius verweilen. Es ist nicht überflüssig, festzustellen, daß er seine Ausbildung zum Beruf des Rhetors noch als Heide erhalten und erst später die Taufe empfangen hat. Die Dürftigkeit seiner naturwissenschaftlichen , Kenntnisse kann demnach nicht der Kirche zur Last gelegt werden, sondern bestätigt nur die genügsam bekannte Tatsache, daß die Rhetorenschulen der damaligen Zeit in erster Linie eine technisch-formale Ausbildung vermittelten. Übrigens würde man heutzutage eine Entgleisung auf naturwissenschaftlichem Gebiet bei einem Politiker oder Rechtsanwalt (was etwa dem „Rhetor“ entsprechende Berufe wären) kaum übel nehmen.

Sehen wir uns nun bei anderen frühchristlichen Schriftstellern um. Da ist vor allem um die Wende vom 2. und 3. Jahrhundert der hl. Hippolyt von Rom zu nennen, dessen vielseitige wissenschaftliche Bildung und schriftstellerische Tätigkeit geschichtlich bezeugt ist, wenngleich sich nur ein Teil seiner Werke erhalten hat Aber selbst in den „Philosophoumena", deren Hauptzweck die Widerlegung aller Irrlehren bt, finden wir im vierten Buch bei der Zurück veisung der Sterndeuterei nicht nur gründliche Sachkenntnis und eine scharfe Unterscheidung zwischen Astronomie und Astrologie, sondern auch eine durchaus positive Einstellung zur erstgenannten Wissenschaft. Der Verfasser zeigt sich vertraut mit den Werken der bedeutendsten Mathematiker und Astronomen früherer Zeiten, und er kennt auch die damals neueste Leuchte auf diesem Gebiet, nämlich Ptolemäus. Von dem eigentlichen Zweck seiner Schrift abschweifend, kommt er unter anderem auf die damals geläufigen Zahlen für die Größe der Erde sowie für die Entfernung und Größe des Mondes zu sprechen, welche er als auf solider Grundlage berechnet anerkennt, während er an den Entfernungsangaben der übrigen Wandelsterne Kritik übt und seihst, von einer zwar irrigen, aber zu seiner Zeit durchaus plausiblen Theorie ausgehend, neue Zahlen dafür errechnet und genau mitteilt.

Astronomisch höchst bedeutsame Äußerungen enthalten die Homilien des heiligen Ambrosius über das Sechstagewerk. Schon die Tatsache, daß in der vierten dieser Predigten eine eigene Beobachtung des Verfassers angeführt wird, wirft ein bezeichnendes Licht auf sein Verhältnis zur Naturforschung. Er sagt dort, daß an einem bestimmten Neumondtag der allgemein erwartete Wetterumschlag ausgeblieben sei und knüpft daran die Bemerkung, daß offenbar nicht der Mond die Ursache der Witterungsvorgänge sei. Scharfes naturwissenschaftliches Denken, wohlgemerkt, zu einer Zeit, da noch niemand experimentell ein Vakuum herzustellen vermochte, verrät er bei Auslegung der Sihriftstelle (Isaias 24, 16, in der Textgestalt der Septuaginta), welche von den „Schwingen der Erde“ spricht; daß sie nur bildlich genommen werde könne, sagt Ambrosius, folge bereits daraus, daß im luftleeren Raum auch Schwingen keinen Widerhalt finden würden. Überhaupt ist es seine Ansicht, daß man in der Heiligen Schrift keine naturwissenschaftliche Belehrung suchen dürfe; denn Moses habe, obwohl in aller Weisheit der Ägypter unterrichtet, gemäß den Weisungen Gottes nur das Heilsnotwendige genau niederschreiben wollen. Deutlich unterscheidet die zweite Homilie den Himmel der Sterne von jenem, der vorzugsweise Wohnung Gottes und der Seligen ist und geistig verstanden werden müsse. Ganz besondere Beachtung verdienen endlich zwei Stellen der ersten Homilie, die deutlich den Gedanken an eine Entwicklung in der Welt erkennen lassen, wenn es heißt: „Gott schuf den Himmel mit dem Vorzug der Hervorbringung und der Ursache hievon; und die Erde schuf er mit dem Grundstoff zur Hervorbringung.“ Ähnliches klingt an in der Erwägung, warum Gott seine Allmacht nicht benutzt habe, um die Welt mit einem Schlag zu ihrer jetzigen Fülle auszustatten: wir sollten durch die augenscheinliche und überdies geoffenbarte Aufeinanderfolge der Entstehung der Dinge vor dem Trugschluß eines ewigen Bestandes der Welt bewahrt werden. Diese Beispiele dürften genügen, um die Glaubwürdigkeit von Ambrosius’ eigener Bemerkung zu erhärten, daß er in der Sternkunde wohl unterrichtet sei, aber nicht mehr davon Vorbringen wolle, als der Zweck seiner Predigt erheische.

Daß der heilige Augustinus nach seiner Heimkehr zur Kirche eine gewisse Geringschätzung aller weltlichen Weisheit bekundet, ist nicht verwunderlich. Doch trifft es wohl weniger die Astronomie als solche, sondern vielmehr ihre bei dem damaligen allgemeinen Kulturniedergang unlösbar gewordene Verquickung mit der Sterndeuterei, , wenn er im zweiten Buch, „Über die christliche Lehre", sagt: gegen die Berechnungen der Astronomie sei zwar nichts einzuwenden, doch sei es wegen ihrer engen Beziehungen zur Astrologie besser und ehrbarer, sie zu meiden. Diese Scheinwissen schaft kann man tatsächlich kaum treffender brandmarken, als es Augustinus mit folgendem Satz getan hat: „Nicht weil die Sterne Kraft haben, gab man sich mit ihnen ab, sondern weil man sich mit ihnen abgab und ihnen bedeutungsvolle Namen beilegte, erlangten sie Gewalt über die ihnen hörigen Menschen.“ Es wäre aber durchaus verfehlt, Augustinus auf astronomischem Gebiet für unwissend zu halten. Vielmehr spricht er selbst im fünften Buch seiner „Bekenntnisse" mit einer gewissen Anerkennung von den Leistungen der Astronomen in der Berechnung dex; Gestirnbahnen und erwähnt, daß ihn seine gründliche Kentnis der Dinge be fähigt habe, die Haltlosigkeit des Gefasels der Manichäer schon im rein Natürlichen zu durchschauen, da- sie versuchten, mit einer absonderlichen Theorie über das Zustandekommen der Mondphasen die Gültigkeit ihres dualistischen. Prinzips zu bekräftigen.

Unter den griechischen Vätern ist es vor allem Basilius der Große, der in seinen Homilien über das Sechstagewerk umfassende naturwissenschaftliche und auch astronomische Kenntnisse verrät. Wohl scheint zunächst eine Stelle der ersten Homilie, wo er die „Astronomie eine vielgeschäftige Zeitvergeudung" nennt, ihn unter die Wissenschaftsverneiner einzu reihen. Aus dem Zusammenhang geht aber hervor, daß der Verfasser hier jene Astronomen (und vielleicht, bei der damaligen gelegentlichen Vermischung beider Worte, auch Astrologen) meint, die zwar den Lauf der Sterne aufs genaueste erforschen, aber trotzdem in ihrer Verblendung nicht zur Erkenntnis des Schöpfers und Erhalters der Welt Vordringen, sondern diese selbst für ewig in sich selbst bestehend halten. Mit der rechten Absicht, nämlich die Weisheit Gottes in seinen eigenen Werken zu erfassen, ist es, nach den Worten der sechsten Homilie, im Gegenteil „unsere Aufgabe, die Einrichtung der Welt zu erforschen und das Weltall zu betrachten". Auch vom Standpunkt praktischer Anwendung aus läßt Bisilius die Beschäftigung mit der Astronomie (und der damals noch nicht streng von ihr geschiedenen Wetterkunde) gelten, wenn er, ebenfalls in der sechsten Homilie, sagt! „Selbst wenn man nicht übermäßig viel von der Sternkunde hält, wird man die Erfahrung langer Beobachtungsreihen brauchbar finden.“ Und. so, nämlich rein naturwissenschaftlich unc als Hilfsmittel der Zeitrechnung, will er es verstanden wissen, daß die Gestirne zu ,,Zeichen" gesetzt sind, nicht aber als Rechtfertigung für menschliche Schicksalsdeutung, die er scharf ablehnt und mit guten Gründen bekämpft. Er kennt, um nur einiges herauszugreifen, die Beobachtungstatsachen, aus welchen die gewaltige Entfernung und Größe der Sonne gefolgert werden muß, und weiß, daß der Mond die Ursache der Gezeiten des Ozeans ist. Auch für ihn ist es selbstverständliche wissenschaftliche Tatsache, daß die Erde „frei in der Luft schwebt“ und daß der Ausdruck „Säulen der Erde" im 74. Psalm bildlich zu verstehen ist. Ja es scheint, daß ihm die Theorien einiger Naturphilosophen, welche eine Beweglichkeit der Erde an- nahmen, nicht unbekannt waren und keineswegs unbedingt verwerflich erschienen, wenn er in der ersten Homilie die damals für die Unbeweglichkeit der Erde vorgebrachten

Vernunftgründe annimmt, aber in einem Nachsatz die Möglichkeit offen läßt, daß es sich auch anders verhalten könne. Wie in der Neuzeit, versuchten offenbar schon damals die Kirchenfeinde, wissenschaftlich anerkannte Tatsachen gegen Glaubenswahrheiten auszuspielen. So könnte es auch heutzutage geschrieben sein, was Gregor von N y s s a im „Gespräch mit Makrina“ sagt:, die Kugelgestalt der Erde nämlich und die daraus zu folgernde Tatsache, daß für die Gegenfüßler ebenso wie für uns Tag und Nacht abwechsle, könne nichts gegen das Fortleben der Seele „unter der Erde“ beweisen; denn jene bedürften als Geistwesen gar keines Ortes im physischen Raum.

Fügt man zu dieser kleinen Auswahl jene zahlreichen Stellen hinzu, die mehr beiläufig oder gleichnisweise sternkundliche Dinge berühren, so könnte man daraus das damalige astronomische Weltbild fast vollständig zusammenfügen, obwohl der Hauptzweck der herangezogenen Schriften nicht in naturwissenschaftlicher Belehrung, sondern in der Darlegung religiöser Gegenstände besteht. Statt jeder weiteren Aufzählung mag zum Schlüsse nur noch der Kirchenlehrer Johannes von Damaskus genannt werden. Die Tatsache, daß er im zweiten

Buch seiner „Darlegung des rechten Glaubens“ zwei ausführliche Kapitel der (gemäß damaligem Wissensstand) sachlich durchaus richtigen Aufzeigung des astronomischen Weltbildes widmet, beweist wohl zur Genüge nicht nur den Bildungsstand des Verfassers, sondern auch die Wertschätzung astronomischer Kenntnisse im christlichen Altertum überhaupt. Denn Johannes von Damaskus, obwohl an der Schwelle des Mittelalters lebend, wurzelt so bewußt in der überlieferten Lehre der älteren Kirchenväter, daß er in seinem Verhältnis zur Astronomie sicher ebenfalls als Zeuge auch für die. Auffassung der vorausgehenden Jahrhunderte gelten darf.

Als Ergebnis dieser Betrachtung können wir also feststellen, daß das christliche Altertum in seinen hervorragendsten Vertretern unbeschadet des Vorranges der Theologie weder wissenschaftsfeindlich noch im besonderen in astronomischen Fragen unwissend war. Wir finden vielmehr ein durchaus auf der Höhe der Zeit stehendes astronomisches Wissen, bereichert durch manche bemerkenswert selbständigen Gedankengänge, und in gewissem Umfang sogar eine bewußte Pflege und Weitergabe astronomischer Kenntnisse.

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