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Armenbibel im liberalen Kleid

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Eine Sendereihe über die Bibel unter einem wissenschaftlichen Titel, die über zwölf Wochen angelegt ist und bei der namhafte Wissenschaftler mitwirken, weckt einige Erwartungen. Magnus Magnusson hat sich der verlok- kenden Aufgabe gestellt, „Gottes Bilderbuch“ mit den Bildern zu illustrieren, die die wissenschaftliche Erforschung des Vorderen Orients heute vorzeigen kann. Erfüllte der von der BBC (im Verein mit anderen Fernsehgesellschaften) produzierte Film, der über FS 2 gelaufen ist, die in ihn gesteckten Erwartungen?

Ersteinmai schuf der deutsche Titel „Archäologie der Bibel“ etwas Verwirrung. Denn die Archäologie hat es ja nicht mit Texten, sondern mit Steinen zu tun. Bald merkte man aber, daß „Archäologie“ hier etwa im Sinn von „Altertumswissenschaft“ gemeint war und der Film nicht nur archäologische Ergebnisse mit Daten aus der Geschichte Israels konfrontieren wollte, sondern daß das Konzept weiter angelegt. war. .

Der Aufbau der Sendereihe folgte nämlich im wesentlichen dem heilsgeschichtlichen Aufriß, den die Bibel selbst von der Erschaffung der Welt über die Erwählung Abrahams, die Entstehung Israels bis zum Untergang dieses Staatswesens erstellt hat, also einer literarischen Größe.

Dieses literarische Gebilde vor Augen wurden nun nach Maßgabe des vorgegebenen altertumswissenschaftlichen Materials zu einzelnen Punkten archäologische Ergebnisse, außerbiblische Texte, Landschaftsaufnahmen, sehr anschauliche geographische Karten, Gebräuche und Sitten aus dem Nomadenleben u. a. m. eingeflochten, die die biblischen Texte teils anschaulicher und verständlicher machten, teils bestätigten, teils widerlegten.

Dieses Konzept, in dem forschungsgeschichtlich unverkennbar der Geist der amerikanischen Schule wehte, führte im Effekt zu so etwas wie einer „Armenbibel im liberalen Kleid“, einer Bibel, die geläutert dem Prüfbad der positivistischen Wissenschaft entsteigt und sich im großen und ganzen doch als richtig und „wahr“ erwiesen hat.

Aber in diesem - inhaltlich und me-, thodisch - zu weit angelegten Konzept waren Probleme mitprogrammiert, die das ganze Unternehmen doch sehr beeinträchtigten. Leichter wog noch, daß zur Auffüllung des literarischen Rahmens dort, wo archäologisches Material fehlte, einfach Texte vorgelesen und mit mittelalterlichen Szenendarstellungen illustriert wurden (die selber wieder der Interpretation bedurft hätten!).

Schwerer ins Gewicht fiel, daß1 bei diesem unter wissenschaftlichem Anspruch vorgetragenen Konzept es auch Pflicht gewesen wäre, der literarischen Größe „Bibeltext“ Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Doch davon war nicht viel zu spüren. Vielmehr behandelte Magnusson alle Texte mehr oder weniger wie Berichte, die durch die „Archäologie“ eben illustriert, bestätigt oder widerlegt werden können. Aber die Intention der biblischen Texte liegt nicht darin, historische Informationen zu vermitteln, und insofern können keine archäologischen Ergebnisse Aussagen der Bibel bestätigen oder widerlegen.

Wenn z. B. den Schöpfungs-„Berich- ten“ in sehr aufschlußreicher und informativer Weise die Entstehung der Zivilisation im mesopotamischen Raum und die - angeblich - ersten Besiedlungsspuren in Israel gegenübergestellt wurden (die ältesten Besiedlungsspuren in Israel gehen weit über den Karmel- Mensch bis ca. 180.000 Jahre v. Chr. zurück), so ging diese Gegenüberstellung an den Intentionen der biblischen Texte vorbei. Denn diese sprechen ja bezeichnenderweise nicht einfach „von den Anfängen“, sondern in theologischer Begrifflichkeit von „Schöpfung“.

Auf historischer Ebene kann man also dem heutigen Bild der Entstehung menschlicher Besiedlung und Zivilisation im Raum des Vorderen Orients (was übrigens auch noch einen anderen Horizont umschließt als die Rede von der Entstehung der Welt und der Menschheit) nicht direkt die biblischen Schöpfungsberichte gegenüberstellen, sondern höchstens die Antwort auf die Frage, warum zu einer bestimmten Zeit in Israels Geschichte von „Schöpfung“ und gerade auf die vorgegebene Art und Weise von „Schöpfung“ geredet wird. Dann aber wird sichtbar, daß die beiden konkurrierenden Größen gar nichts miteinander zu tun haben.

Dieselbe Problematik kam auch zum Vorschein, wenn z. B. die „Berichte“ von der Eroberung Jerichos oder Ais im Zuge der Landnahme von den archäologischen Ergebnissen her nicht bestätigt wurden. Es wäre eben als erstes zu fragen gewesen, ob es sich bei diesen Texten wirklich um „Berichte“ handelt oder nicht. Das Fehlen von Fragestellung und Ergebnissen der deutschen Schule innerhalb der biblischen Wissenschaft machte sich hier besonders deutlich bemerkbar.

Aber zu genau durfte man ohnehin nicht zuhören - vor allem nicht zuhören. So gut die Aufnahmen waren und so vorzüglich das archäologische Material präsentiert wurde, so ungenau, ja bisweilen fast peinlich wurde es, wenn es um die Texte ging:

Ganz naturalistisch wurde geschildert, wie Moses zweimal auf den Sinai hinaufstieg zu Verhandlungen mit seinem Gott, "das erstemal um die Rahmenbedingungen, dann um die Einzelheiten des Abkommens auszuhandeln! Weil er im Zorn die Bundestafeln zerschlug, blieb die Bundeslade angeblich für immer leer (vielleicht ist er doch nicht nur zu weiteren Verhandlungen ein zweites Mal auf den Sinai gestiegen?). Als rüstiger Hundertzwanziger bezwang er den Nebo, um noch einen Blick auf das Gelobte Land werfen zu können, doch das altersstarre Unternehmen überlebte er natürlich nicht. Aber auch wo weniger beiläufig Texte behandelt wurden, kamen unverzeihliche Fehler vor.

Aufschlußreich waren die vielen „Live-Statements“ von Spezialisten zu konkreten Einzelproblemen. Der aufmerksame Zuhörer konnte hier manch nuancierte Stellungnahme heraushören. Bisweilen standen einander die Meinungen allerdings zu unvermittelt gegenüber, denn ohne forschungsgeschichtlichen Hintergrund wird man nicht verstehen, warum wissenschaftliche Urteile so stark differieren können.

Trotz allem war die „Archäologie der Bibel“ eine sehr informative, ja bisweilen sogar faszinierende .Sendung, die viel Sehens- und Wissenswertes über die Vorgeschichte und Geschichte Israels bot. Wer ihren zu direkten Bezug auf die biblischen Texte zu lockern und statt dessen die gegebenen Informationen in den geschichtlichen Kontext zu stellen versteht, wird sie gewiß mit Gewinn angeschaut haben und auch mit einem neuen Hintergrund zu den Texten selbst zurückkehren.

Dr. Josef Oesch ist am Alttestamentlichen Institut der Universität Innsbruck tätig.

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