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Grenzstadt an der Pannonischen Pforte

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Wohl nicht allzu viele, welche die melancholisch - exotische Donaulandschaft östlich Wiens betreten, werden sich der dramatischen historischen Geschehnisse bewußt, die mit dem Namen Petronell-Carnuntum unlösbar verknüpft sind. Jahrhunderte eines gewaltigen Ringens um den Donauraum nahmen ihren Anfang, als Rom durch Rückschläge am Rhein und in Illyrien, durch das gravis- simum omnium externorum bellorum post Punica (6—9 n. Chr.), unmittelbar vor der geplanten Vernichtung des Quadenreiches nördlich der Donau, gezwungen wurde, von einer Offensivpolitik gegen Westdeutschland und die Sudetenländer abzusehen. Der Realpolitiker Kaiser Tiberius (14—37) verzichtete auf den Traum eines römischen Germanien und legte den Strom als Nordgrenze des Imperium Romanum fest. Und dabei blieb es — abgesehen von den Erwerbungen Trajans am linken Ufer, die jedoch um das Jahr 275 wieder geräumt werden mußten —, auch in der Folgezeit trotz gelegentlichen Versuchen einzelner Herrscher, die augusteischen Offensivgedanken wieder aufzunehmen und trotz manchen Stützpunkten der römischen Grenzpolitik jenseits des Stromes. Daher säumten Befestigungen im allgemeinen seit Beginn unserer Zeitrechnung als lange Postenkette das rechte Donauufer; im Verein mit den vorgelagerten abhängigen Klientelstaaten, die eine kluge Politik zu schaffen und — wenn nötig — auch gegeneinander auszuspielen verstanden hatte, oblag ihnen der Schutz des Reiches und seiner Handelsbeziehungen nach dem Norden und auf der Donau vor den unruhigen und stets angriffsbereiten Germanenstämmen. Dieses System der Grenzverteidigung hat im ganzen genommen durch Jahrhunderte seine militärische und kulturelle Aufgabe erfüllt, und selbst noch in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, als sich bereits die ursprünglich wohltätige Wirkung der germanischen Durchdringung des 2. und 3. Jahrhunderts in eine gleichsam umgekehrte Romanisierung gewandelt hatte und im Zusammenhang mit der steigenden sozialen Zersetzung des Imperiums und seinen erschöpften Möglichkeiten zu einer fremden Macht im Staate geworden war. Erst um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert, in einer Zeit also, in der die römische Welt von gewaltigen inneren Kämpfen geschüttelt und von einem allgemeinen Niedergangsbewußtsein beunruhigt wurde, drangen immer zahlreicher und unaufhaltsam Germanenschwärme und -Völker durch die Breschen südwärts, die sie dem Verteidigungssystem und dem Reiche seit den Tagen Marc Aurels geschlagen hatten. Damals wurde Rom als historische Epoche an der Donau überwunden, hat das Römische Reich das Wiener Becken und das Burgenland verloren, und zu den Grenzposten, die zur selben Zeit unter Umständen zugrunde gingen, wie sie tragischer und verworrener kaum gedacht werden können, gehört auch Carnuntum.

Hallstattsicdlung östlich Deutsch-Altenburgs (Braunsberg?) in Zusammenhang, einen Ort des illyrischen Stammes der Azalier; sodann einen befestigten Platz des keltischen Stammes der Boier, dessen Lage bisher noch umstritten ist (Braunsberg?); ferner das von Tiberius gegründete Legionslager — jetzt erscheint der Name Carnuntum zum erstenmal in der römischen Literatur —, und schließlich die Zivilstadt Carnuntum, die im Anschluß an das Castrum entstanden ist.

In den vergangenen Jahrzehnten (1885— 1911) haben langjährige Grabungen des österreichischen Archäologischen Instituts den Ort des Lagers genau festgelegt — halbwegs zwischen Petronell und Deutsch-Altenburg —, seine Geschichte aufgehellt und eine Fülle ungewöhnlich anschaulichen Materials über Leben und Treiben einer Grenzgarnison des Römischen Reiches zutage gefördert. So gut man jedoch über die Geschicke des Lagers, der militärischen Siedlung, orientiert ist, so gering ist im allgemeinen unsere Kenntnis von der Handelsstadt Carnuntum, welche der hieher verpflanzten keltischen Bevölkerung am wirtschaftlichen Aufschwung Anteil gewährte, vor allem aber dem gewandten Römer ein weites Feld kaufmäntiischer und kultureller Tätigkeit eröffnete; sie entstand dort, wo, abseits vom Lager und seinen

Seine Lage bei Deutsch-Altenburg am Schnittpunkt zweier überaus wichtiger Verbindungen, der alten Bernsteinstraße, die von der Ostsee herab über Carnuntum auf weite Strecken ohne wesentliches Hindernis nach Italien führte, und jener anderen Straße, deren Richtung und Bedeutung durch die Donau selbst gegeben ist, war von Kaiser Tiberius geschickt gewählt: militärische Notwendigkeit und handelspolitische Interessen waren für die Anlage einer Befestigung gerade an dieser Stelle bestimmend gewesen. Allerdings: Carnuntum wurde, wie die Sprache der Bodenfunde lehrt, damals nicht erst gegründet. Der Name und eine Siedlung Carnuntum haben schon Jahrhunderte vorher als Wirtschaftsmittelpunkt vorrömischer Gemeinden bestanden. Die Wissenschaft bringt daher mit Carnuntum zunächst einemilitärischen Forderungen, der Steilrand der Donau einer Terrainsenke Platz macht, welche die Anlage eines Donauhafens gestattet, nämlich unmittelbar westlich von Petronell. Bisherige Grabungen des österreichischen Archäologischen Instituts und Kleinfunde verweisen das Stadtgebiet der Hauptsache nach auf das Gelände nördlich der Bundesstraße und berechtigen, ein verbautes Areal von etwa 180 Hektar mit einer Einwohnerzahl von einigen Zehntausend anzunehmen.

Nicht alltäglich ist die Geschichte dieser Grenzstadt, die bereits in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts intensive Handelsbeziehungen zu Italien unterhielt und in der man neben klassischen Lauten auch barbarische Idiome hören konnte. Seit ihrer Zugehörigkeit zum römischen Weltreich ist sie durch ein ausgedehntes Straßennetz mit ihren Nachbarbezirken und dem Süden verbunden, hatte sie teil an einer geordneten Verwaltung und erfreute sich bis nach der Mitte des 2. Jahrhunderts einer durch Kriegslärm kaum je gestörten Entwicklung. So kann es nicht wundernehmen, daß ihre Einwohner in bürgerlicher Wohlgeborgenheit lebten, die Stadt mit Denkmälern aller Art, Zweck- und Luxusbauten verschönten, und Träger einer einzigartigen Kultur geworden waren, deren Bild im wesentlichen der Geschmack des Militärs und der Einheimischen geformt hatte. In wirtschaftlicher Hinsicht übernimmt sie die Funktion der vorrömischen, einst weiter östlich gelegenen Handelsstadt und steigt zu einem Umschlagplatz ersten Ranges auf, dem von Kaiser Hadrian (117—138) das Recht einer autonomen römischen Bürgergemeinde zuerkannt wurde (municipium Aelium Car- nuntinum). Ihre weiteren Geschicke bestimmt die zunehmende Verschlechterung der politischen und wirtschaftlichen Lage des Reiches. Während der Markomannenkriege (166— 180) erlebt sie durch einige Jahre hindurch alle Schrecken einer Besetzung durch feindliche Stämme; dann sah sie den Kaiser Marc Aurel, der sich im benachbarten Lager aus einer tristen Gegenwart zu tiefer, philosophischer Betrachtung erhebt; sie nahm Anteil an der Erhebung des Statthalters von Pannonien, Septimius Severus, zum Kaiser (193) und erfuhr die Rangerhöhung zur colonia Septimia Aurelia Antoniniana; um die Mitte des 3. Jahrhunderts erkor sich der panno- nische Eintagskaiser Regalianus Carnuntum zu seiner Residenz; in ihren Mauern tagte im Spätherbst des Jahres 308 der Kongreß der drei Imperatoren Diocletian, Galerius und Maximianus mit dem Ziel, die gestörte Ordnung in der Thronfolge wieder herzustellen; sie war Zeuge der Proklamation des persischen Lichtgottes Mithras zum Schirmherrn des Reiches, wodurch die Kulturkrise, die das Reich schon seit Jahrzehnten belastete, im Sinne der Kaiser ihr Ende finden sollte. Denn neben dem aufstrebenden Christentum, das seine Spuren auch in Carnuntum hinterlassen hat, stritten Mithras und eine bunte Reihe anderer östlicher und westlicher Gottheiten um die Macht über die Gemüter, und schließlich war Carnuntum mehr als einmal wegen seiner günstigen strategischen Lage Ausgangs- und Stützpunkt gegen die Gefahr aus dem Norden. Noch gegen Ende des 4. Jahrhunderts, als die einstige blühende Handelsstadt bereits zum Dorf herabgesunken war, wird von einem Geschichtsschreiber ihr Wert als militärische Basis hervorgehoben. Kaiser Valentinian I. (364—375), der von Carnuntum aus nochmals einen Feldzug gegen die Germanen plante, erhöht zum letztenmal durch Zu- und Umbauten die Verteidigungskraft dieses Platzes. Bald darauf jedoch kam, wie schon erwähnt, das Ende; der späteste Münzfund stammt aus dem Jahr 380. Von den letzten Schicksalen der Stadt meldet kein Bericht.

Das ist in großen Zügen so gut wie alles, was man von der Stadt und ihrer Geschichte weiß. Eine ganze Reihe der brennendsten Fragen bleibt unbeantwortet, eine ganze Reihe der wichtigsten Probleme ungelöst

So ist es allein den Ausgrabungen .überlassen, den Mangel an schriftlicher Überlieferung, welche Auskunft geben könnte, wettzumachen und die vielfachen Fäden aufzuzeigen — und sich ihrer dankbar bewußt zu werden —, die unser Dasein mit der Kultur des klassischen Altertums verbindet. Diese verpflichtende Sachlage war für die niederösterrekhische Landesregierung, Kulturreferat (Hofrat Dr. Rintersbacher), die Veranlassung, mit der allgemeinen Wendung zum Besseren an das österreichische Archäologische Institut zwecks Fortsetzung der Grabung in der Zivilstadt Carnuntum heranzutreten, Arbeiten, die 1938 so vielversprechenden Anfang nahmen, 1939 überaus erfolgreich fortgesetzt wurden und dann durch den Krieg zum Stillstand kamen. Damals brachte der Spaten durch bloße Tastgrabungen Wohnhäuser in mehreren Siedlungsschichten, Straßen, Kanalisationsanlagen und eine Anzahl aufschlußreicher Kleinfunde zutage, vor allem aber — in systematischer Grabung — einen palastartigen Komplex aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts mit einer Umfassungsmauer von nicht weniger als 104X143 m, mit 2)4 m tief fundamen- tierten und heute noch an die 3 m hohen und über 1 m breiten Mauern, Sälen mit 22X12 m Ausdehnung, Heiz- und Kanalanlagen und Mauerzügen noch unterhalb der tief gelegten Fundamente. Diese Ruine, eine der größten auf deutschem Sprachgebiet, ist konserviert und der Besichtigung zugänglich.

Ziel der heurigen, vom 5. August bis 11. September durchgeführten Grabung war die Freilegung und Bergung des schon 1938 festgestellten Mosaikbodens — seine mühevolle Abhebung besorgte Prof. Franz Deed — sowie die Ermittlung des Gebäudes, dem das Mosaik angehörte. Und zunächst auch hier wieder die Überraschung, an der es bei Grabungen in Carnuntum nie fehlt. War man bisher des Glaubens, von Privathäusern — und um ein solches handelt es sich hier —. im allgemeinen wenig mehr vorzufinden als die Fundamentgrube, weil das, was die Zeit bestehen ließ, den Einwohnern Petronells seit eh und je der gewünschte Steinbruch dünkte, so präsentieren sich die Außenmauern unseres Bauwerkes 65 cm breit und bis zu IX m unter der heutigen Oberfläche fundamentiert. Sie schließen sich zu einem Rechteck von 23X15 m zusammen und sind, wie die 30 cfn breiten Innenmauern, solide gearbeitet; ein 4 m breiter Korridor, der, ein wenig aus dem Zentrum gerückt, das Haus in einer Länge von 16 m durchzieht and von dem aus sich beiderseits insgesamt 8 Zimmer öffnen, gibt dem Ganzen eine harmonische und rationelle Raumverteilung. Zahlreiche Reste von Wandmalerei, die heute noch die tiefe Leuchtkraft des als Grundfarben beliebten Rot, Gelb und Grün tragen, zeigen uns die Dekoration als ein heiteres Spiel, als schwebende Gewinde von Blumen und Früchten. Aber den Hauptschmuck bilden zweifellos die beiden Mosaikböden in den an der Südseite gelegenen Räumen, von denen der eine, rund 4X4 m, durch besondere Akribie in der Steinsetzung, Farbengebung und Ornamentik — ein kompliziertes System eines Pellen- und Flechtenmusters — die künstlerische Arbeit der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts erkennen läßt; bedauerlicherweise sind die mit bemerkenswerter technischer Fertigkeit ausgeführte Mittelkomposition, die aller Voraussicht mach ein Sagenmotiv zur Darstellung brachte, sowie die breiten Außenbordüren zum Großteil zerstört.

Weit schlechter war das zweite Mosaik erhalten, wofür sich zunächst keine rechte Erklärung einstellen wollte. Als jedoch mit dem Fortschreiten der Grabungen an der Süd- und Nordfront des Hauses eine je rund 3 m breite Vorhalle in völlig anderer Mauertechnik deutlich wurde, Irandschichten in mehreren Zentimetern Stärke den Boden durchzogen und schließlich noch ein Prae- furnium (Heizgang) in eben dem Raum, der das zweite Mosaik trug, zutage kam, war die Lösung gefunden: eine andere Generation war hier am Werke. Das Haus aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts ging in Flammen auf, als die Markomannen Carnuntum überrannten, und was von ihm noch vorhanden war, hat im 3., eher aber erst im 4. Jahrhundert einen Um- und Neubau erfahren, von einer Generation, die bereits beziehungslos den Leistungen der Vergangenheit gegenüberstand; denn in das Mauerwerk der Südhalle sind Säulenbasen, Kapitelle und andere Werkstücke versetzt. Und dem Praefumium fiel das zweite Mosaik zum Opfer, das damals, als der Heizgang angelegt wurde, allerdings seinen Wert und seinen Sinn als Schmuck bereits verloren hatte; Brandflecken verunzieren seine noch erhaltenen Teile.

Die Kleinfunde (Gefäßreste, Münzen usw.), die aus den nahezu überall vollkommen gestörten Schichten und erstaunlichen Mengen von Dachziegelbruchstücken erst mühsam geborgen werden mußten, erhärten die eben vorgetragene Meinung und bestätigen aufs neue den intensiven Handelsverkehr Carnuntums mit den gallischen und rheinischen Töpfereien sowie mit den Provinzen im Osten. Daß innige Beziehungen zwischen Romanen und Germanen bestanden haben, daß in direktem Verkehr auch eine kulturelle Befruchtung der angrenzenden Völkerstämme stattgefunden hat, zeigen die vielfachen Funde entlang der March-Oder-Straße; aber wie weit sich der Einfluß in umgekehrter Richtung geltend machte, ist ebenfalls eine Frage, die nur Ausgrabungen beantworten können.

So stellt Carnuntum, diese tote und in ihrer Wirkung doch so lebendige Stadt, mit ihren Häusern, Tempeln und Amphitheatern, ihren verschiedenen Epochen der Geschichte und Kultur und ihren noch lange nicht gehobenen Schätzen die Zukunft noch vor viele Aufgaben; es ist zu hoffen, daß sie gelöst werden.

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