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Marc Aurel -sechs Zentimeter groß

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Rund vierhundert Jahre, etwa seit Beginn unserer Zeitrechnung gezählt, erstreckte sich das römische Weltreich bis an die Donau. Im Militärlager von Carnuntum befanden sich zehntausend römische Legionäre und Hilfstruppen. Die zugehörige Zivilstadt hatte sechzig- bis siebzigtausend Bewohner, war ungleich größer als die unfern gelegene Stadt Vindobona, das spätere Wien, größer auch als heute etwa Klagenfurt.

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Rund vierhundert Jahre, etwa seit Beginn unserer Zeitrechnung gezählt, erstreckte sich das römische Weltreich bis an die Donau. Im Militärlager von Carnuntum befanden sich zehntausend römische Legionäre und Hilfstruppen. Die zugehörige Zivilstadt hatte sechzig- bis siebzigtausend Bewohner, war ungleich größer als die unfern gelegene Stadt Vindobona, das spätere Wien, größer auch als heute etwa Klagenfurt.

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Die Bedeutung dieser Siedlung ergibt sich daraus, daß von ihrem Legionslager aus Tiberius gegen die Markomannen zog, Marc Aurel sich hier lange aufhielt, Septimus Severus von der hier stationierten XIV. Legion zum Kaiser ausgerufen wurde, Diocletian in Carnuntum einer „Kaiserkonferenz“ präsidierte und der bereits christlich gesinnte Valentinian I. hier einige Sommermonate hindurch sein Hauptquartier aufschlug. Das Ausgrabungsfeld, in dem die Fundamente zahlreicher Häuser dieser Stadt zu sehen sind, ist das größte antike nördlich der Alpen.

Einen überraschend reichen Eindruck vom Leben der Bewohner Carnuntums, aber auch des übrigen Pannoniens, wie Noricums, erhält man derzeit in der großartigen Ausstellung „Die Römer an der Donau“ in dem mächtigen frühbarocken Schloß Traun bei Petronell, das in einer prächtigen Parklandschaft neben dem Ausgrabungsfeld gelegen ist. Veranstaltet vom Land Niederösterreich unter der wissenschaftlichen Leitung von Hermann Vetters und Herma Stiglitz, unter der Ausstellungsleitung von Eduard Vorbeck werden in zahlreichen Räumen und im großen Festsaal mit seinen Fresken etwa 1250 Exponate, darunter Leihgaben aus den Ländern des Donaubereichs, vorgeführt.

Marc Aurel schrieb in Carnuntum das zweite Kapitel seiner in griechischer Sprache verfaßten „Selbstfce-trachtungen“, in dem er, um nur einen Gedanken herauszugreifen, scheinbar zufällige Ereignisse als von der Vorsehung gelenkt bezeichnet. Von ihr gehe alles aus. Hier sieht man eine winzige, nur 6,1 Zentimeter große Bronzebüste, die ihn darstellt, der Blick scheint selbst da ins Transzendente zu reichen. (Eben diese überaus zierliche Büste ist auf den Plakaten in etwa zehnfacher Vergrößerung wiedergegeben, niemand würde vermuten, daß das Original so klein ist.) Mochten die Offiziere auch über „das alte philosophische Weib“ gespottet haben, so war er doch Sieger in Feldzügen gegen Markomannen und andere Völker, wovon die überaus lebendigen Darstellungen auf dem Reliefband der fast dreißig Meter hohen, ihm zu Ehren errichteten Marcus-Säule in Rom künden, die, im Original in den Einzelheiten kaum zu erkennen, hier in zahlreichen Dias wiedergegeben sind. Sprung vom Großartigen ins Geringfügige: Selbst ein Lebkuchenmodel stellt einen Triumphzug Marc Aurels dar. Die Bildnisse vieler anderer Kaiser zeigen Münzen und ihre Photovergrößerungen: So etwa den martialisch aussehenden Probus, der seine Legionäre zwang, Weingärten anzulegen, möglicherweise auch in Vindobona, so Diocletian, unter dem es noch Christenverfolgungen gab, hier wirkt sein Kopf archaisch, mit scharfem Blick. Ein Kinderkopf in weißem Marmor stellt den Zweitältesten Konstantinssohn dar.

Wie orientierten sich die Legionen auf ihren weiten Märschen, die Kaufleute auf ihren Reisen über die Route? Eine recht gute Straßenkarte gab es, nur erscheint da der italienische „Stiefel“ überaus' schmal in die Länge gezerrt. Militärisches ist reich vertreten: Einem Gesichtsmaskenhelm mit schwarzen Augenhöhlen eignet außerordentliche Ausdruckskraft. Pompöse Prunkhelme mit eingelegten farbigen Glaspasten sieht man, ein Langschwert mit Darstellungen der Minerva und der Victoria, eine sehr bewegte jugendliche Figur, die als Lagergenius galt. Symbol der XIV. Legion war der alpine Steinbock, ebenfalls in Bronze dargestellt. Bezeichnenderweise ist auf Plaketten, die als Orden, als Auszeichnungen verliehen wurden, ein Medusenhaupt, ein Löwenkopf zu sehen. Militärdiplome auf Bronzeplatten bescheinigen etwa eine 25jäh-rige Dienstzeit, worauf der Soldat einer Hilfstruppe das römische Bürgerrecht erhielt, wie es zu Trajans Zeiten der Fall war. Der Legionär Marcus Aurelius Avitianus starb 31jährig, ihm und seiner Mutter ließ der Erbe den Grabstein errichten, der ihn stramm aufrecht stehend mit großem Schild und zwei Wurfspießen in einem Grabtempel zeigt.

Eine überaus edle Form kennzeichnet die Kannen, Krüge und Töpfe. Eine Terra-Sigillata-Schüssel besitzt plastischen Schmuck, Formschüsseln als Model lassen die Art der Herstellung erkennen. Von besonderer Schönheit sind die nicht voll durchsichtigen Gläser, sie schimmern grünlich, olivfarben, moosgrün, giftgrün. Ein gläsernes Gefäß, das als weiblicher Kopf ausgebildet ist, irisiert perlmutterig. Auffallend ist die Verzierung fast aller Gebrauchsgegenstände mit Tierdarstellungen, nur selten mit Floralem, kaum mit abstrakter Ornamentik. Ein öl-lämpchen hat die Gestalt eines munter ausschreitenden Ibisses. Auf fünf oder sechs Zentimeter langen, durchbrochenen Zierbeschlägen verfolgt etwa ein Hund einen Hasen, reißt ein Löwe eine Gazelle. Reizende, mehrfarbig emaillierte Tierfibeln, nur etwa zweie drei Zentimeter groß, zeigen Hirsch, Hase, Eule. Schmuck-nadeln besitzen kleine Tierköpfe. Vom Alltag dieser Menschen künden aber auch Haarkämme, Schminkdosen, ein Tintenfaß, Waagen mit einer Ente, einer Juno-Büste als Gewichte, aber auch medizinische Geräte und Werkzeuge.

Die Götterstatuetten bekunden vor allem den „hohen Reichsstil“, es zeigen sich aber auch Einflüsse heimisch keltischer Art. So kreuzt sich in einer Victoriastatuette das antik Römische mit dem Keltischen. Von einem einheitlichen Eindruck kann man kaum sprechen. Der Fundort besagt noch nicht, daß das Fundstück auch an dieser Stelle entstanden ist. Formale Gestaltung und Ausdruck sind durchaus verschieden. Eine Venusstatuette kennzeichnet barocke Gelöstheit in der Bewegung, im Flattern des Schleiers. Die eigenartige Schlankheit einer anderen Statuette, die ebenfalls diese Göttin darstellt, läßt an die nackten Frauengestalten in den Bildern von Lucas Cranach denken. Als ein ungefüges Gebilde ohne bezwingenden Ausdruck erweist sich eine Dianastatuette.

i Doch die religiösen Vorstellungen der Römer wurden mehr und mehr durch den von Osten her vordringenden zoroastrischen Mithraskult verdrängt. Daran gemahnt ein großes Kalksteinrelief, das diesen Licht-gott vorführt, wie er den Urstier tötet, aus dem er dann die Welt schafft. Als Cautes hebt er rechts eine Fackel, als Cautopates löscht er sie links. Er gehorcht der Zeit, dem obersten Gott. Erste christliche Gemeinden bildeten sich ab Mitte des dritten Jahrhunderts. Im Legionslager von Carnuntum wurden die Fundamente einer frühchristlichen Kirche aus dem letzten Drittel des vierten Jahrhunderts ausgegraben. Das Modell dieser Anlage ist hier zu sehen. Wandziegel zeigen als Ritzzeichen Christogramme, auf Schalen sind Kreuze, Fische dargestellt, das Christentum, aus der Antike entstanden, hatte über die Antike gesiegt.

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