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Britannia Romana

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Römisches Blut in angelsächsischen Adern — das gibt es, nur weiß es nicht jeder Brite. Immerhin, das Für und Wider des britischen Beitritts zur Europäischen Gemeinschaft, die Diskussion um das „Englischsein“ hat bewirkt, daß sich die Briten auf ihre Vorfahren besinnen. Dabei entdecken sie aufs neue ihre mannigfachen verwandtschaftlichen Beziehungen zu Kontinentaleuropa. Traditionsreiche Städte wie London, Canterbury, York und ehester waren ursprünglich römische Gründungen. Leider sind hier weniger römische Bauwerke erhalten geblieben, als in Nimes oder Trier. Wer in England den Spuren der Römer folgt, findet die eindrucksvollsten Relikte“ in den kunstvoll-raffiniert angelegten, heute noch intakten römischen Bädern von Bath in Südengland und an der Hadriansmauer im rauhen Norden.

Der Hadrianswall ist eine einzigartige Sehenswürdigkeit in Europa. Zwar ist er weniger imposant als die Chinesische Mauer, doch ungleich besser erhalten als der römisch-germanische Limes. Die Mauer verläuft an der engsten Stelle Englands, zwischen Carlisle und Newcastle, über Berg und Tal in einer Länge von gut 115 Kilometern. Hadrian, der römische Reisekaiser, gab 122 nach Christus den Befehl zum Bau. Ob er sie je gesehen hat, wird bezweifelt. Sie sollte die eroberten Gebiete der römischen Inselkolonie vor den kriegerischen Barbarenstämmen des Nordens schützen. Nicht nur Kastelle, Gräben und Signalposten entstanden entlang der Mauer, sondern mehrere Garnisonstädte mit Soldatenquartieren, Villen, Tempeln und öffentlichen Bädern.

Die Ausgrabungen haben erstaunliche Anlagen und Gegenstände zutage gebracht. Unter der Anleitung erfahrener Archäologen graben an Orten wie Cilurnum und Vindelanda auch Laiengruppen, darunter junge Leute ab 14 Jahren. Die Römer hatten in England wie überall in ihrem Weltreich solide gebaut, als würde ihr Imperium nie untergehen. Aber viele Bauwerke wurden im Laufe der Jahrhunderte abgetragen. Römische Quader findet man heute in Mauern von Kirchen, Schlössern und Bauernhäusern, besonders an der schnurgeraden Straße, die parallel zum Hadrianswall verläuft.

England war bereits durch die Truppen Casars in den Sog europäischer Geschichte geraten. Doch erst Claudius vermochte, den größten Teil der Insel seinem Herrschaftsbereich einzuverleiben. Schottland, Wales und Cornwall blieben unbesetzt, diese Landesteile waren den Römern entweder unzugänglich, zu unfruchtbar oder zu wild. Das Imperium Romanum bezog aus der Kolonie Britannia unter anderem Blei, Eisen und Getreide. Die Römer verbesserten in hohem Maße die Infrastruktur, sie bauten Häfen, Brücken und Straßen. Die Briten genossen römisches Bürgerrecht. Grund 'zur Auflehnung schien nicht gegeben,ein zorniger junger Mann wie Hermann, der Cherusker, kommt in der englischen Frühgeschichte nicht vor.

Als sich die Römer immer mehr in Kämpfe mit den Ostgoten verwickelt sahen und allmählich ihre Truppen aus Britannien abzogen, entstand ein Machtvakuum, das nur allzu bald von weniger kultivierten Eroberern aus Germanien und Skandinavien gefüllt werden sollte. Wales und Cornwall wurden zu Zufluchtsorten romanisierter Briten. Für die ehemals römische Kolonie Britannia begann eine bedrückende Zeit.

Die Römerzeit, darin sind sich viele Historiker einig, habe der Insel gut getan. Mit den Römern habe die „feine britische Art“, die Lebensverfeinerung schlechthin, begonnen. Man sagt dies mit einem Seitenblick auf Nordeuropa und Irland, deren Zivilisation sich ohne römischen Einfluß entwickelte. Britannia ist stolz auf die ältere Kultur. Abzuwarten bleibt, ob die Römischen Verträge den Enkeln Hadrians und Wilhelm des Eroberers ebensoviel Gutes bescheren werden.

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