Zu Gast bei Agatha Ch.

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Der "Garten Englands" lockt mit verzauberten Gärten, Burgen und gepflegten Landschaften

Kent wird auch heute noch zurecht der "Garten Englands" genannt: hier gedeihen Obst und Gemüse prächtig, früher war auch der Hopfen hier weitverbreitet, aber seit es sich in der EU herausgestellt hat, dass es billiger ist, diesen aus Deutschland zu importieren, wird hier - wieder - Wein angebaut.

Industrie findet sich hier kaum, und deshalb gehört diese Region auch zu einer bevorzugten (teuren) Wohngegend für viele Menschen, die fünf Tage die Woche geduldig mit Bahn und Underground nach London pendeln. Mit zwei Millionen Einwohnern ist diese Grafschaft, die etwa so groß wie das Burgenland ist, eine der dichtbesiedeltsten ländlichen Regionen Englands und die höhere Lebensqualität im grünen Kent ist offensichtlich die längere Anreise wert. Denn auch die Erholungsmöglichkeiten sind enorm: die "countryside" ist intakt und auch die "seaside" ist nie weit entfernt. An der traditionsreichen Küste beginnt für die meisten England-Besucher, die mit dem Auto anreisen, noch heute diese spezielle Atmosphäre zu wirken, die den unverwechselbaren Charme dieses Landes ausmacht.

In Dover grüßt das beeindruckende Dover Castle von den weißen Klippen. So wie viele andere Burgen und Küstenforts bot es jahrhundertelang Schutz vor ungebetenen Eindringlingen. Schon die Römer hatten hier an der Küste ihre ersten Befestigungen errichtet, später ergänzt und erweitert von den Sachsen und später dienten sie auch den normannischen Eroberern als Schutz. Unter Heinrich VIII. erfolgte dann der gezielte Ausbau der Verteidigung, wobei manche dieser Anlagen für bestimmte Beobachtungs- und Aufklärungszwecke bis zum Zweiten Weltkrieg in Verwendung waren.

Wer Dover Castle - eine besonders schöne mittelalterliche Anlage - besucht, kann heute auch die in die Klippen getriebenen Stollen besichtigen, die während des Krieges zur Aufklärung der deutschen Luft- und Seeoperationen verwendet wurden und von wo aus auch die Schiffe, die das "Wunder von Dünkirchen" vollbrachten, geleitet wurden.

Wer sich für gepflegte Landschaft und bestens betreute historische Stätten interessiert, wird in England reichlich bedient. Für den Süden gilt dies in besonderer Weise, wo sich uralte Straßen in welliger Landschaft an Hecken und Mauern vorbeischlängeln und von einem pittoresken Dorf zum anderen führen. Zahllose Burgen, Schlösser und "Country Houses" laden zur Besichtigung ein, wie zum Beispiel Dover, Leeds, Deal, Walmer, Rochester, Knole, oder Ightham Mote. In Hever Castle wandelt man durch die Gemächer, in denen Anne Boleyn als Kind lebte, in Chartwell wird Winston Churchill und sein unbeugsamer Wille zum Widerstand lebendig und in Bateman's ist alles noch so, wie zu Rudyard Kiplings Zeiten. In Sissinghurst wird die Erinnerung an Lady Sackville-West wach, die mit ihrem Mann die großartigen Gärten schuf.

Rochester, dessen erstes Stadtrecht auf 1190 zurückgeht, liegt nur wenige Kilometer südöstlich von London und verdient einen Rundgang durch die Altstadt, wo sich auch die Kathedrale und die gewaltige Burg, die den Fluss Medway bewacht, befinden. Rochester weist nicht nur zahlreiche Bezüge zu Charles Dickens auf, es wurde auch bereits in Chaucers "Canterbury Tales" erwähnt und im "King's Head" auf der Hauptstraße kann man wie vor 500 Jahren auch heute noch bestens essen und trinken.

Etwas außerhalb der Stadt befinden sich ein altes Gebäude der Templeritter sowie historische Küstenforts und in Chatham laden die historischen Docks zu einer Zeitreise ein.

Die Perle Kents ist aber zweifellos Canterbury, der Mittelpunkt des christlichen Englands, die um die Kathedrale herum erbaute Stadt des Thomas Becket und Heinrich II. Seit über 800 Jahren pilgern Gläubige auf den Spuren des 1170 ermordeten Becket hierher und Chaucer setzte der Stadt in seinem Prolog ein Denkmal: "Besonders aus allen Grafschaften Englands ziehen sie nach Canterbury, um den heiligen, segenspendenden Märtyrer zu besuchen". Der Dramatiker Marlowe wurde hier geboren und seit 450 Jahren ist hier das spirituelle Zentrum des anglikanischen England.

In Sussex hatten sich - wie schon der Name sagt - die südlichen Sachsen niedergelassen und hier sind sie in der entscheidenden Schlacht bei Hastings den eindringenden Normannen unterlegen. Das Schlachtfeld, das heute zu einem Ort namens "Battle" gehört, kann selbstverständlich besichtigt werden. Nicht weit von hier lädt die romantische Küsten- und Schmugglerstadt Rye mit ihren Fachwerkhäusern zur Rast ein.

Bodiam Castle - etwas weiter landeinwärts gelegen - ist ein hervorragendes Zeugnis aus dem 14. Jahrhundert. Komplett mit Wassergraben und liebevoll gepflegt vom National Trust hat es die letzten 700 Jahre bemerkenswert gut überstanden, wohl vor allem deswegen, weil es kein einziges Mal angegriffen oder belagert wurde.

Ein anderes sehenswertes Schloss ist Hurstmonceux Castle, das erst 1933 restauriert wurde und seit 1948 dem Royal Observatory als Heimstätte dient (was viele London-Touristen nicht wissen, die in Greenwich stolz auf dem Null-Meridian balancieren).

Auch in Sussex gibt es die typischen und charmanten Gärten, wie zum Beispiel in Crabtree, Nyman's Gardens, Borde Hill oder in Sheffield Park, wo übrigens eine der bekanntesten Oldtimer-Eisenbahnen ihren Hauptsitz hat. Der Besuch mindestens einer dieser liebevoll in harter freiwilliger Arbeit wiederinstandgesetzten Dampfbahnen, die von privaten Enthusiasten betrieben werden, sollte nicht fehlen. Sind doch gerade diese wiederbelebten Strecken wichtige Zeugen für das industrielle Erbe, das die Engländer mit großer Hingabe und viel Geschichtsverständnis pflegen. Hier kommt jeder auf seine Rechnung, ob alte Mühle, Kanalschifffahrt, Automuseum oder eines der zahllosen "Battle of Britain"-Museen, in denen man mit Veteranen in einer geradezu "sportlichen" Atmosphäre dieses dunke Kapitel bei einem Glas "Bitter" besprechen kann.

Etwas weiter westlich folgt Chichester, dessen Name bereits auf die römische Vergangenheit hinweist. Ein Flügel eines römischen Palastes aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert erinnert an diese Zeit. In der Altstadt sind vor allem die vielen "Georgian Houses" sowie die Kathedrale sehenswert, in der Umgebung präsentiert ein Freilichtmuseum historische Gebäude, die vor dem Abriss gerettet wurden.

Südostengland ist eine besondere Welt. Nicht einmal eine Stunde Fahrzeit vom kosmopolitischen London entfernt beginnt sich eine Welt zu entfalten, in der man meinen möchte, sich in einem Agatha-Christie-Film zu befinden. Dass dies so bleibt, dafür sorgen die Menschen, die hier leben, ganz bewusst: gearbeitet wird in der "City", aber gelebt in der "Countryside".

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