Ein Schloß in England

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Im Umkreis von London finden sich die verschiedenartigsten kleinen und großen Prachtbauten

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Im Umkreis von London finden sich die verschiedenartigsten kleinen und großen Prachtbauten

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Der Tag war eisig. Die keine 20 Meilen westlich von London schon schmale Themse bei Hampton Court war zugefroren (eine Sensation in London) und zu Fuß leicht passierbar. Hampton Court Palace. diese Tudorfestung aus rotem Backstein wurde 1514 von Thomas Wolsey, Erzbischof von York, Lordkanzler und Außenminister Heinrich VIII. erbaut. Die Wiener Rossauerkaserne aus 1865 ist diesen Stil nachempfunden. Eindrucksvoll endlose, unbewohnte und auch im Sommer kalt wirkende Zimmerfluchten verschleiern den Blick in die Welt des "Golden Age", der 120 Jahre Tudorherrschaft. Unter Königin Elisabeth I. blühte die prunkvolle englische Renaissance mit ihren Festen, Gelagen, mit höfischen Zeremoniell bei Gesang, Lautenspiel und Tanz. Der Herzog von Alencon warb 1581 zum Gespött von ganz London mit seinem Lieblingstanz "Mounsiers Almain" um die Hand der Königin. Im gemütlichen Gasthaus jenseits der Themsebrücke konnten wir uns dann nach der kilometerlangen Schloßwanderung an einem prächtigen Steak und einem guten englischen Lagerbier laben.

Der Buckingham Palace, 1705 für den gleichnamigen Herzog errichtet und später umgebaut, steht mitten in der Stadt. Niemand kann ihn verfehlen. Auch Windsor Castle, auf einer Terrasse im Nordosten der Kleinstadt New Windsor als Stammsitz des englischen Königshauses angelegt, wurde seit Wilhelm dem Eroberer ständig erweitert und von Königin Victoria restauriert. Dorthin zieht es viele Besucher wegen der international berühmten Kunstsammlung.

Die öffentlich zugänglichen Schlösser, Burgen und dazugehörigen Parks könnten, obwohl alle im Umkreis der Hauptstadt, nicht verschiedener sein. Als Ausflugstip sind beispielsweise drei davon besonders sehenswert: Hatfield House, Sitz der Markgrafen von Salisbury, liegt nördlich der City inmitten dessen,was man sich unter einer englischen Parklandschaft vorstellt. Das Objekt ist groß. Eigentlich sind es zwei Gebäude. Der ältere gotische Trakt "Old Palace" aus 1497 mit der eindrucksvollen Halle wirkt in seiner offenen, diaphanen Struktur weitläufig, aber kalt. Ein Hochrelief mit vielen Figuren dieser Zeit an der Außenwand zeigt die damaligen Bewohner. Das große, dreistöckige heutige Haupthaus wurde 120 Jahre später errichtet. Man muß es von der Südseite zu sehen bekommen: der Ehrenhof, weiß getüncht und turmbekrönt, ist von zwei mächtig vorspringenden Backsteintrakten flankiert. Die Innenausstattung ist nobel, mit vielen teils sehr guten Gemälden an Treppenaufgängen und Wänden, davon einige Elisabeth I. darstellend. Wenn man sich Filmdekorationen englischer Schlösser dieser Zeit in Erinnerung ruft, bekommt man einen ganz guten Eindruck der heutigen Wirklichkeit.

Hatfield House scheint auf Bustouristen eingerichtet zu sein: die in einem Nebentrakt eingerichtete Gaststätte ist nicht sehr empfehlenswert. Dafür kann man (wie auch anderswo in England) ohne zu zögern, drei Postkarten für 15 Schilling mit Kreditkarte bezahlen. Das kleine reizvolle Schlößchen Chenies Manor ist ein Kontrastprogramm zum großen, protzigen Hatfield House. Zu dem Backsteinbau gehört eine ebenfalls kleine Kirche. So klein das Haus ist, so interessant präsentiert es sich. Das zeigen schon die Kamine im Tudorstil. Dank der jungen Besitzer befindet sich alles in gutem Zustand und wird auch genutzt. Und wie wird es finanziert? Die Menschen dort haben Geschäftsgeist. Der Garten rundum ist auch ein Heilkräutergarten. Alles duftet. Ein Raum des Erdgeschoßes ist als Ausstellung und Verkaufsraum eingerichtet. Die Kräuter sind gefällig in Jutesäckchen verpackt. Dazu werden Broschüren, Postkarten, Andenkenartikel verkauft. Alles ist in markenmäßiger Aufmachung zur Schau gestellt, einschließlich der Preistafeln.

Ein anderer, großer Raum ist als Salon mit festlich gedeckter Tafel eingerichtet. Er wird für Jubiläen, Hochzeiten und ähnliches an Gesellschaften vermietet. Die Einrichtung des Hauses ist zum Teil noch Original, einschließlich des (nicht mehr benützten) Plumpsklos. Hübsche Sammlunqen von Nippessachen in antiken Vitrinenkästen ergänzen das Ensemble. Da der Tag wunderschön war, endete unser Besuch nach der obligaten Kirchenbesichtigung gemütlich im Garten bei Kaffee und Kuchen (es gibt also doch Engländer, die Kaffee trinken!).

Wer sich Moor Park als ein Moorgelände ähnlich dem Revier des Hundes von Baskerville vorstellt, liegt falsch. Moor Park Mansion, in 25 U-Bahnminuten ab Bakerstreet zu erreichen, ist ein Prachtbau im Palladiostil des 17. Jahrhunderts, errichtet für den 3. Earl of Bedford. Die eleganten Innenräume wurden von venezianischen Malern dekoriert. Nach mehrmaligem Besitzerwechsel wurde die Anlage 1918 von Lord Leverhulme, Gründer des Unileverkonzernes, erworben und in eines der elegantesten Golfclubhäuser umfunktioniert. Es gibt dort zu besonderen Anlässen fünfgängige Galadiners, die mit einem Glas Champagner eingestimmt werden.

An die Mitglieder werden hohe Ansprüche gestellt.Wenn Sie also wissen, daß nach der Clubregel 24-1 Wasserhindernisse durch gelbe Stangen markiert sind, oder daß nach Clubregel 24-2/Anhang Straßen und Wege unbewegliche Hindernisse darstellen, außer jenem vor dem 15. Green, welches einen Teil des Golfkurses darstellt, wenn Sie also solches und noch mehr über Golf wissen, und außerdem von einem der honorigen Mitglieder eingeführt werden, dann wird der Mayordomo des Hauses (very british) gerne mit Ihnen sprechen und, wenn Sie Glück haben, auch die Gelegenheit geben, die Anlage zu besichtigen.

Ich kann mich eines sehr guten Freundes rühmen, der dort Mitglied ist. Bei meinem ersten Besuch war das Wetter trüb, etwas regnerisch sogar. Ich hätte meinen Freund, sonst von einem der ersten Londoner Schneiderateliers ausgestattet, kaum wiedererkannt. Er kam mir an diesem Tag in alten Gummistiefeln entgegen, in denen eine noch ältere graue Hose steckte über die ein ebenso alter Pullower ragte, der an zwei Stellen mit farblich nicht ganz passender Wolle gestopft war. Seine Partner der gerade laufenden Partie, Ärzte und Anwälte, paßten ausstattungsmäßig zu ihm. "It's a little bit rainy, isn't it?" war seine treffende Anmerkung.

Very british, indeed ...

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