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„Figaro-Haus": Noch blättert der Verputz

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Das schmalbrüstige Haus mit der Adresse Schulerstraße 8 beziehungsweise Domgasse 5 soll wieder zu einem der schönsten Bauten in Wiens Innerer Stadt werden. Jetzt allerdings wirkt das als „Figarohaus" bekannte Gebäude, in dem das Historische Museum der Stadt Wien seit 1971 die komplette ehemalige Mozart-Wohnung als Erinnerungsstätte etabliert hat, zumal auf der Domgassenseite und im Stiegenhaus schäbig und verwahrlost.

Einen positiven Eindruck von der Wohnkultur des gehobenen Bürgerstands vermitteln nur die vier Zimmer und zwei Kabinette in der Beletage, wo sich jährlich 80.000 bis 100.000 Besucher aus aller Welt drängen, weil das Genie aus Salzburg mit Ehefrau Constanze, den Söhnen Carl Thomas und Johann Thomas Leopold, einem Stubenmädchen und einer Köchin von 1784 bis 1787 hier gewohnt und unter anderem die Oper „Die Hochzeit des Figaro" geschrieben hat. Mozarts kleines Arbeitszimmer mit den erkerartig vorspringenden fünf Fenstern birgt sogar nach wie vor an der Decke und über der Tür Stuckreliefs hervorragender Qualität.

Keine Appartements

Dekorationsmalereien aus gleicher Zeit und von gleich hohem künstlerischen Rang kamen - einmalig für Wien - bei bauhistorischen Untersuchungen des Denkmalamtes in den darüberliegenden Räumen des zweiten und dritten Stockwerks unter mehreren Putzschichten zutage. Sie gaben den Anstoß dafür, daß die Stadt Wien die leergewordenen Wohneinheiten, die der Hausbesitzer zu kleinen Appartements adaptieren wollte, ebenfalls anmieten möchte. Sollte die Rechnung aufgehen und ein Konsens zwischen den divergierenden Vorstellungen gefunden werden, wird das Historische Museum dort eine der Musik Mozarts gewidmete Audiothek und ein Domizil für Hauskonzerte schaffen.

Doch die Verhandlungen mit dem privaten Hauseigentümer geraten immer wieder ins Stocken. Trotzdem ist der Direktor der Museen der Stadt Wien, Günter Düriegl, zuversichtlich. Und das Denkmalamt, das die Kalkmalereien freigelegt hat, wertet eben die Befunde aus. Danach - so viel kann schon jetzt gesagt werden -stammt diese Innenausstattung ebenso wie die Stukkaturen in der Mozart-Wohnung von Albert Camesina, Einern der prominentesten Stukkateure des 18. Jahrhunderts.

Camesina war von 1717 bis zu seinem Tod 1756 Besitzer des repräsentativen Gebäudes in unmittelbarer Nähe des Stephansdomes. Er hatte das im 16. Jahrhundert als zweistöckiger Bau errichtete „Hans Arnstorfsche Stifthaus" von seinem Schwiegervater Andrea Simone Caro-ve, bürgerlicher Maurermeister bei Johann Bernhard Fischer von Erlach, geerbt. Jener wiederhatte es 1716 erworben und aufgestockt.

Modische Musterzimmer

Camesina, der mit seinem Schwiegervater am Bau des Winterpalais des Prinzen Eugen in der Himmelpfortgasse mitgearbeitet hatte, dürfte nach Meinung des Denkmalamtes die Kabinette in der Beletage sowie jene im zweiten und dritten Stock als Musterzimmer für zahlungskräftige Kunden benützt haben, die, der damaligen Mode entsprechend, auf reich verzierte Wände mehr Wert legten als auf ein stattliches Mobiliar. Ihn beerbte dann sein Sohn Dr. juris Josef Camesina.

Nach dessen Tod 1783 wurden die minderjährigen Kinder Josef und Albert sowie die Witwe Maria Anna Camesina in das Grundbuch eingetragen. Diese bezogen im zweiten Obergeschoß eine kleine Wohnung und vermieteten das herrschaftliche Quartier in der Beletage samt Küche, Bodenraum, Keller und zwei Holzgewölben (Verschlagen) um 480 Gulden an den Kompositeur Wolfgang Amadeus Mozart. Die hohe Miete ist übrigens ein weiteres Indiz dafür, daß die Jahre in der Schulerstraße zu den sorglosesten und finanziell einträglichsten des Komponisten gehört haben. Dort weilte sein Vater Leopold zu Besuch, dort logierte kostenlos sein Schüler Johann Nepomuk Hummel und dort empfing er Joseph Haydn und den jungen Ludwig van Beethoven und musizierte mit ihnen in dem der Domgasse zugewendeten Salon, dessen Fensterläden und Vertäfelungen - wie sich bei bauhistorischen Untersuchungen herausstellte - aus Eichenholz bestanden und vergoldet waren.

Spuren im alten Bretterbelag unter dem Parkettfußboden ließen überdies erkennen, daß der Raum einen von der Gangseite her beheizbaren großen Kachelofen besessen hatte. Der Haupteingang zur Wohnung lag wie heute dem Stiegenaufgang gegenüber.

Im 200. Todesjahr Mozarts, in dem der Ausverkauf seines Genies an den Kommerz Triumphe feiert, blättert im Stiegenhaus der Verputz ab, im Parterre macht sich ein stinkender Mistkübel breit und auf dem abgetretenen Steinboden liegen allenthalben Zigarettenstummel.

Wohl hatte die Stadt Wien die Absicht, die neben dem Salzburger Geburtshaus menschlichste Erinnerungsstätte bis zum Gedenkjahr auch in den oberen Etagen instandzusetzen, aber die Verhandlungen schleppen sich noch immer hin. Zudem beharrt das Denkmalamt auf dem Standpunkt „wenn schon, denn schon" und sieht im „Figarohaus" mehr als das einzige erhalten gebliebene Wiener Domizil Mozarts, nämlich auch ein städtebaulich, sozial und kunsthistorisch aussageträchtiges Denkmal des Rokoko, das es verdient, seiner Bedeutung gemäß restauriert zu werden.

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