Kulturheiligtum wird wiederbelebt

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Die Wiener Albertina beherbergt die größte graphische Sammlung der Welt. Nach jahrelangem Dornröschenschlaf soll sie bald in neuem Glanz erstrahlen.

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Die Wiener Albertina beherbergt die größte graphische Sammlung der Welt. Nach jahrelangem Dornröschenschlaf soll sie bald in neuem Glanz erstrahlen.

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Mit dem ersten Frühlingswind treibt der Baustellenstaub durch die weitläufigen Gänge der Albertina. Seit 1993 ist die Graphische Sammlung Albertina, ein österreichisches Kulturheiligtum erster Güte, geschlossen. "Dürers Feldhasen, die betenden Hände, Rückenakte von Michelangelo, Familienakte von Peter Paul Rubens, Rudolf von Alt, Egon Schiele, Cezanne: von den 500 berühmtesten Zeichnungen oder Aquarellen besitzt wahrscheinlich 400 die Albertina. Es ist die größte graphische Sammlung der Welt, die wir da haben", beschreibt Direktor Klaus Albrecht Schröder den Schatz, den er ab Herbst 2002 zeitgemäß präsentieren will.

Der Reichtum der Albertinischen Sammlung beschränkt sich nicht nur auf die Alten Meister. Der momentane Bestand von etwa einer Million Blättern wird laufend durch Zeitgenossen, Photographie und Architektur erweitert. Gezeigt wurden die hochwertvollen, empfindlichen alten Graphiken früher teilweise bei Tageslicht in den historischen Prunkräumen. "Papier vergeht wie ein Vampir im Licht. Wir können nicht 500 Jahre alte Werke in Summe einige Jahre dem Licht aussetzen, und damit ihr Limit in unserer Lebenszeit verbrauchen. Einem Raffael und Leonardo ist das nicht zuzumuten", sieht sich Schröder als generationsbewusster Nachlassverwalter. Er möchte prinzipiell keine permanente Schausammlung zeigen, sondern in Wechselausstellungen einige der wertvollen, lichtempfindlichen Exponate aus dem Bestand für beschränkte Zeit dem Publikum präsentieren.

1993 wurde ein Wettbewerb zum Ausbau und zur Generalsanierung der Albertina ausgeschrieben, des einstigen, 1745 fertiggestellten Palais Taroucca. Gewonnen haben die Architekten Friedrich Mascher und Erwin Steinmayr. Sie gingen sehr sensibel mit dem alten Bestand und dem komplexen Raum-und Landschaftsgefüge zwischen Albertinarampe, Hrdlicka-Denkmal und Burggarten um: "Wir haben ein unsichtbares Gebäude geplant", beschreibt Architekt Mascher den Entwurfsansatz. Etwa 3.000 Quadratmeter Tiefspeicher verbergen sich unter der Erde, dazu kommen Tageslichträume zur Restaurierungsarbeit am Bestand der Sammlung.

Das Lager für die hochsensiblen Graphiken ist ein Hochsicherheitstrakt. Weder Temperatur noch Luftfeuchtigkeit dürfen schnell schwanken, fünf Geschoße mit Hochregalen schrauben sich lichtlos ins Erdreich. "Wir werden den ersten Vollautomaten im Museumsbereich einsetzen. Der funktioniert so wie das Aktiendepot der Schweizer Bank: Sie sitzen am Studienplatz und fragen nach der Kiste an, die wird automatengesteuert am Förderband ausgespuckt. Der Raum ist lichtlos und nicht betretbar. Auf der Baustelle wirkt das jetzt wie eine Kathedrale", schwärmt der Architekt. Bibliothek, Studienplätze und Werkstätten ergänzen das Angebot im unterirdischen Neubau, die über einen neu ausgegrabenen Hof belichtet werden.

"Hier wird nicht nur restauriert, das wird ein attraktiver, moderner Ausstellungsort, mit einer Rampe, die nicht mehr ins Nirgendwo führt", hebt Direktor Schröder ein ihm besonders wichtiges Vorhaben hervor: Der Eingang der Albertina soll wieder an seinen ursprünglichen Platz auf der Augustinerbastei, also in den ersten Stock. Dorthin soll eine repräsentative Rampe führen - eine "Landmark", ein nach außen weithin sichtbares Zeichen, das dem neuen Haupteingang ein zeitgemäßes Image verpassen soll. Dies war schon das Konzept des Architekten Josef Kornhäusel, der das Barockpalais im Jahr 1850 umbaute. "Albrechtsrampe" hatte der Aufgang geheißen, der 1945 durch eine steilere und damit kürzere Stiege ersetzt wurde. Heute betritt man die Albertina durch den ursprünglichen Keller.

Zum Architekturwettbewerb für die neue Albrechtsrampe hat Klaus Albrecht Schröder ein prominentes Quartett geladen. Die Namen der vier Architekten lesen sich wie das "Who is Who" der Branche, Buchstabe "H": Zaha Hadid, Hans Hollein, COOP Himmelblau und Wilhelm Holzbauer. Ihre Entwürfe werden demnächst von einer Jury begutachtet, Anfang März soll der Sieger gekürt werden.

In ihrem Inneren ist die Albertina momentan eine Baustelle. "Wann übersiedeln Sie?" Ingrid Jansch, die Sekretärin von Direktor Schröder, zuckt mit den Achseln. Bald. Noch sitzt sie in einem wunderbaren ovalen Raum, etwas verblichene grünliche Seidentapeten zeugen von früherer Pracht, rundherum wirbelt Staub, altes Büroinventar steht neben neuem. Hinter dem Oval erstrecken sich die herrschaftlichen Zimmerfluchten des barocken Stadtpalastes, mit Blick auf den Burggarten und dem schönsten Intarsienparkett der Stadt vom damals sehr berühmten Josef Dannhauser. Geschichte lauert hier überall: Das provisorische Büro von Direktor Schröder ist das Sterbezimmer des Erzherzogs Karl. Erstmals seit 150 Jahren soll diese Pracht nach der Sanierung öffentlich begehbar sein.

Die restaurierten Prunkräume sollen für Veranstaltungen vermietet werden. Rund um den historisch inszenierten, glasüberdeckten Pfarrhof von Architekt Kornhäusel wird es Wechselausstellungen, einen Shop und eine Cafeteria geben - mit sonnenbestrahlten Sitzplätzen auf der Bastei ein angenehmer Ort, um nach Kulturgenuss eine Melange zu schlürfen. Die wird, genauso wie Mehlspeisen und Essen, vom Hotel Sacher kommen.

Läuft alles nach Wunsch von Direktor Klaus Albrecht Schröder, soll die Albertina im Herbst 2002 in neuen Räumlichkeiten mit einer fulminanten Schau wiedereröffnet werden. "Der Termin ist nicht zu bezweifeln. Wir werden mit Edvard Munch beginnen. ,Thema und Variation' wird den Aspekt Druckgraphik, Lithographie und Holzschnitt beleuchten. 90 hervorragende Blätter haben wir im Bestand, dazu kommen Leihgaben aus dem Ausland", freut sich Schröder auf die erste Schau, mit der die Wiener nach jahrelangem Dornröschenschlaf wieder für die einmalige Sammlung begeistert werden sollen. Außerdem will er Highlights aus der Fotosammlung und wichtige Werke der Architektur zeigen.

Private Sponsoren Die zuversichtliche Euphorie des Direktors hinsichtlich des Eröffnungstermins teilen in Anbetracht der komplizierten Erweiterungs- und Renovierungsarbeiten im ehrwürdigen Palais Taroucca nicht alle: "Ich glaube nicht, dass sich das ausgeht. Die Ausschreibungen liegen noch nicht am Tisch, einiges ist ungeklärt, Geld ist auch noch nicht genug da. Aus den Mitteln des Wirtschaftsministeriums ist der Eröffnungstermin realistisch nicht möglich", meint Burghauptmann Wolfgang Beer. Schon vor Jahren wurden aufgrund einer groben Schätzung der Kubatur die Kosten der Sanierung auf eine Milliarde Schilling geschätzt, in Wirklichkeit dürften sie um 200 bis 300 Millionen höher liegen. Die müssen noch aufgetrieben werden.

Direktor Schröder setzt dabei auf private Sponsoren: "Das ist ein schönes, habsburgisches Palais. Das vor dem Verfall zu retten, eine zeitgemäße Ausstellungsform und zukunftsgewandte Architektur im Stadtraum zu ermöglichen: Das ist eine lohnende Investition!". Im Zusammenhang mit der Rampe hat das Sponsoring schon geklappt. Der Architekturwettbewerb konnte privat finanziert werden.

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