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Kleine Geschichte in alten Häusern

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In einem vielgelesenen, jetzt vergriffenen Buch von Adam Müiler-Gutenbrunn, dem Lenau-Roman, zweiter Band: „Dämonische Jahre“, findet sich eine stimmungsvolle Schilderung eines Wiener Landstraßer Landhauses.

Eben hat Herr Hofrat Klevle — es ist der Vater von Sophie Löwenthal, die in Lenaus Schicksal eine verwirrende Rolle spielt — den Besuch des jungen Nimbsch von Strehlenau empfangen. Der Hofrat und der junge Dichter durchschreiten einen sonnig durchleuchteten Gartensaal. Sie treten in den weitausgedehnten Arenberg- Park hinaus, blicken zurück auf die langgestreckte Front des dreifach gegliederten Landhauses. Sie schauen empor zu dem Dachgesims des rechtsseitigen Gebäudes. Es trägt damals noch die Inschrift „Tempore progredimur“ und die Jahreszahl 1785. Den First des Dachgesimses krönt eine Sandsteingruppe. In olympischer Gelassenheit sitzt dort der Zeitengott Saturn auf einem Felsen. Drei Putten weilen spielend in seiner Nähe. Ein kleiner Bienenkorb hinter dem rechtseitigen Putto ist von lebendigen Bienen umschwärmt. Sie kommen aus dem Rosengarten des Erzherzogs Karl.

Der Sieger von Aspern bewohnt dieses Landhaus, das er nach 1805 bezog, nicht mehr. Er ist seit 1815 in die Weilburg nach Baden bei Wien übersiedelt Von den 100 verschiedenen Sorten von Rosen, die er aus England und Holland hatte kommen lassen, ist nur mehr ein Restbestand im Park verblieben. Der holländische Großhändler Kaan hat nach 1815 bis 1817 den Besitz übernommen, ihn dann an den Fürsten Arenberg veräußert.

Nun verwaltet Hofrat Kleyle die Domänen des Fürsten und besitzt eine Dienstwohnung im Arenbergischen Landstraßer Landhaus. Das Gartengebiet des Parkes erfreut ihn. Es erstreckt sich von der 'Landstraßer Hauptstraße bis zur Ungarsasse. Es ist eine Fläche von 1485 Quadratmeter Klafter, 100 Klafter die Länge, 60 Klafter die Breite. Hofarchitekt Amann hat den Park gestaltet.

Tempore regredimur. Es ist 1785. Ein fürstlicher Wagenzug rattert durch das Gebiet der Ungargasse. Er kommt von Eisenstadt herauf, vom Sommerpalais des Fürsten Nicolai von Esterhazy. Joseph Haydn, der Kompositeur der Abschiedssymphonie, erzählt eben seinem Gönner von seiner Landstraßer Junggesellenzeit, von jenen Tagen, da er als Untermieter beim Hofbarbier Kellner in der Ungargasse wohnte. Zwei Töchter führten den Haushalt. Joseph Haydn wollte Maria freien. Sie hat eine himmlische Ehe vor-' gezogen, war von ihrem Entschluß, Nonne zu werden, nicht abzubringen. Der Werber Haydn hat ihr die Einkleidungsmesse geschrieben. Dann hat er es gewagt, das Ehekreuz mit ihrer Schwester Therese zu tragen. Seine wahre Ehe aber ist die Musik. Doch Freude an schöner Natur, ein eigenes Heim, wie braucht dies der Künstler, er braucht auch längeres Verweilen in Wien.- Joseph Haydn zählt die Vorzüge der Landstraßer Vorstadt, der Nicolai-Vorstadt, auf. Welch freundliche Gegend! 1400 Kuehel- gärten, zahlreiche Meierhöfe, die „Hendelgasse“, die Mozart gerne aufsucht, und die zahlreichen schönen Adelslandhäuser. Das Heim der spanischen Granden Don Raverra (Hauptstraße 74) wäre eine gute Nachbarschaft. Oben am Alten Gaisruck, den steilen Weinberghügeln der Jesuiten, haben seit 1715 Prinz Eugen und sein Rivale Graf Mansfeld-Fondi längst ihre herrlichen Sommerpalais. Anders denkt, plant und handelt die Kaiserin Maria Theresia und ihre Freundin Gräfin Leslie. Am Beginn der Nicolai-Vorstadt ist das Kloster der Elisabethinen errichtet worden auf dem Grund des Bartelottischen Lustgartens, alternde, kranke, weibliche Hofangestellte habęn damit ein Krankenheim gesichert. Am Ende der Vorstadtstraße plante man in einem Riesenbau eine Zuckerfabrik. Der

Unternehmer hat seinen Plan nicht durchführen können. Die Kaiserin hat nun dort eine Waisenanstalt für 300 Waisen aus der ganzen Monarchie, geleitet durch den Jesuiten Ignaz Parhammer, ins Leben gerufen. Eine dazugehörige Kirche am Rennwegteil 1st dem Riesengebäude eingegliedert worden. Es ist ein himmlischer Traum, ganz in Weiß und Gold, helle Sonne bestrahlt die wunderbaren Altäre. Eine Wundermesse hat bei ihrer Einweihung stattgefunden, der 12jährige Mozart hat sie im Dreivierteltakt komponiert. Die Karitas der Barockzeit kann mit reichen Mitteln die erste soziale Fürsorge durchführen.

Auch Joseph Havdn wird einmal zu selbständigem Wohlstand kommen und Wohltäter der Armen in St. Marx, den Leuten im Landstraßer Bürgerspital, werden. Während Haydn seine Kunstfahrt nach England wagen wird, muß Mozart jene letzte traurige Todesfahrt auf den St.-Marxer Friedhof antreten. Haydn wird es vergönnt sein, Hausherr in Gumpendorf zu werden, er wird noch die „Schöpfung" und die „Jahreszeiten" schreiben und im Mai 1805 sein geliebtes Kaiserlied bei Kanonendonner am Hammerklavier spielen. Der Zeirengott Saturn wird diese Zeit bereits vom First seines Hauses am Landstraßer Grund als Hausgenosse des Erzherzogs Karl teilen.

Der Fürst Esterhazy hat sich die Erwägungen seines Hofdirigenten überlegt. Er fährt in die Vorstadt, findet dort drei kleine bescheidene Häuschen. Sie tragen die Numerierung: 142, 143, 144, Als der Fürst Bauherr und Grundbesitzer geworden ist, wird für den neuen dreiteiligen Gebäudekomplex die Numerierung 276 ins Grundbuch eingetragen. Der weite Gartengrund wird zuerst ausgehoben, während der Landhausbau vor sich geht. Der Fürst wünscht Besonderheiten. Ein Springbrunnen mit Puttenknaben, Saturn auf dem Dachfirst sind ihm nicht genug Fortschritt mit der Zeit.

Der kaiserliche Hof hat oben am Rennweg eben einen Heeresmedikamentengarten für das Natorpsche Labor aus dem alten Römergrund ausheben lassen. Ein botanischer Gart p mit Gewächsen aus allen Kontinenten ist im Aufbau begriffen. Durch welche Besonderheit könnte also der Fürst mit jenem Garten wetteifern?

Der Romantik und der Wissenschaft zugleich macht er seine Reverenz. Er läßt eine Grotte aufführen. Sie ist aus petrifi- ziertem Schilfrohrmorast, wie ihn die Gegend aus Eisenstadt, wie ihn das Gebiet um den Neusiedler See liefert.

Der Fürst ist mit dem Bau seines Landstraßer Landhauses zufrieden. Der Landstraße zu ist das neue Übergangsheim wahrhaft ländlich, schmucklos, klein, wie die meisten Häuser der Vorstadt es noch heute sind. Auf die Sonnenseite der Innenhöfe aber wird besonders geachtet.

Zwei Höfe entstehen. Der rechtsseitige Bau hat eine Oktogonform, sie rundet sich in den vier Ecken ab, sechs zu fünf Fenstern gliedern die zweitgeschossigen Hoffronten. Eine schöne barocke Sonnenuhr über dem breiten gewölbten Einfahrtstor wartet täglich wie Saturn auf dem Dachfirst auf die wärmende, zeitenregelnde Sonnenbestrah lung. Der zweite, linksseitige Hof ist ein Viereckhof, mit Kletterwein übersponnen. Im zweiten Geschoß ist die Baulinie nach einem Innengang ausgeriebtet, im ersten Geschoß ist, gleich dem Hauptgebäude, der Einbau eines Gartensaales durchgeführt. Auch hier ziert eine barockverzierte Sonnenuhr das mittlere Dachfenster. Es ist der Brunnenhof des fürstlichen Heimes.

Jedem Großstadtmenschen von heute ist ein Warmwasserspeicher der Wunschtraum seiner Zeit. Der Wunsch träum der theresia- nischen Zeit muß es gewesen sein, Höfe mit sonnigen Gängen, einen Hofbaum und selbstverständlich Brunnen zu besitzen. Ein Brunnen mit Brunnenmaske und gar mit ziseliertem, besonderem Auslaufrohr muß letzter Schrei gewesen sein.

Tempore progredimur. Über die Sandsteinbildhauer und Metallgießer jener Zeit fehlt uns die Aufzählung, der gewerbliche Nachweis. Aber Saturn und die Brunnenmasken der Landstraße dürften aus der gleichen Werkstatt stammen, die ziselierten Auslaufrohre aus gleichen Gießereien. Am Beginn der Ungargasse (Ungargasse 5) beginnt das Brunnenmaskenfest. Eine recht freundliche Wasserfrau, es könnte auch eine Meduse sein, die einen Doggenkopf als Auslaufrohr besitzt, beginnt den Reigen. Das Brunnenbecken wird am Sockel von Engelsköpfen, es können auch Putten sein, getragen. Als Beethoven .hier seine Neunte Symphonie vollendete, trank er ihr Brunnenwasser. Zwei Nachbarhäuser, das gräflich Thunsche Haus (Hauptstraße 72), besaßen laut Archivbild einen prächtigen Tritonkopf. Von seinen Übersiedlungen weiß man merkwürdige Wege. Im Nachbarbause des Don Raverra, Hauptstraße 74, ziert ein netter kleiner Delphin noch heute, in verwahrlostem Hof, die Wand und läßt es sich gefallen, daß man ihm Radiodrähte als Zügel anlegt.

Der Grandseigneur aller Brunnenmasken am Landstraßer Grund ist aber zweifellos der ernste Wassermannschädel im Arenberg- komplex (Hauptstraße 92). Aus zweifacher Steinplattenumrahmung ragt sein gewaltiges Haupt gebietend hervor und tragt das bronzene Auslaufrohr, gleich einer umgekehrten Pfeife, im kaum geöffneten Munde. Die Wa erpfeif ist fein ziseliert. Sie zeigt ein lachendes Gnomengesicht. Dieses Köpfchen lacht über den barocken Scherz, Ernst und Spaß so launig zu vereinen. Oder lacht es über den zweiten ziselierten Brunnenauslauf im Hofe, den fletschenden Pantberkopf gegenüber?. Er besitzt keine Brunnenmaske. Und doch,- wie nahe wäre ihm Im Nachbarhofe (Hauptstraße 96) der prächtige Tritonschädel! Muscheihörner mit Perlenwinden krönen ihn, die Augenbrauen sind so buschig und wulstig, daß er gar keine Stirne zu haben braucht. Sie ersetzen ihm die Sorgenfalten, die er doch haben müßte, denn er besitzt keine ziselierte Wasserrohrpfeife. Seine kuge'igen Fischaugen aber mit den tiefgebohrten Pupiüenlöchern sind schreckhaft geweitet. Hätte er seinen Flossenbart nicht mit zwei Muscheln behängt, sein rundes Fischmaul verzöge sich weinerlich über dreifachen Jammer. Einerseits weil sein Wasserrohr nur billigst'’ Fabrikware ist, zweitens weil er überhaupt nur als Montage an gar keiner Brunnenstelle angebracht wurde, drittens weil ein leibhaftiger Zwillingsbruder von ihm trf‘ einem ziselierten Krötenkopf als Auslauf rohr, giftig-grün angestrichen, ebenfalls als leere Montage in einem nüchternen Zinshaushof (Erdberger Straße 90) den gleichen barocken Jammer dem Denkmalamt vorwerfen möchte.. Die beiden Tritonmasker sind Umsiedler in der Zeit nach 1848 geworden. Tempore progredimur. Wer kann einem Erdberger Hausbesitzer es übelnehmen, daß er Anhänglichkeit zu dieser Maske hatte, als sie sozusagen obdachlos wurde durch Abriß des früheren Hause'? Die Tritonmaske im Arenberger Oktogonhof ist zumindestens gut entschädigt durch bedeutende Nachbarschaft. Nicht unweit von ihm hängt eine Brahms-Erinnerungsplakette; sie erzählt, daß der Meister ab 1893 hier gerne im Heime der Familie Fel- linger weilte. Eine Beamtin aus den Siemens-Schuckert-Werken, Frau Schlcrvak, hat aus eigenen Ersparnissen diese Plakette anbringen lassen. Die Zeit ist vorbeigerauscht, Beethovens Wasserfrau in der Ungargasse, der Tritonschädel und die Brahms-Plakette schließen als letzte stumme Zeugen eine Zeit ab, in der die Stimmun des Hauses eng verbunden war mit den Menschen, die es behausten.

(Ein zweiter Aufsatz folgt)

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