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Herzoge, Schlösser, Steuerämter

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Arthur Wellesley, Sieger von Waterloo, erster Herzog von Wellington und letzter englischer Feldherr, den die Nation mit jener Großzügigkeit beschenkte, die in unserer egalitären Zeit für die Totogewinner reserviert ist, hat das Wort geprägt: „Die englischen Landsitze sind der größte Beitrag unseres Landes zur darstellenden Kunst.” Zweifelsohne entspricht dies den Tatsachen. Die großen Landsitze, zu deren Ausgestaltung innerhalb der letzten sechs- oder siebenhundert Jahre die bedeutendsten Künstler herangezogen wurden, durchziehen, beherrschen und gliedern zusammen mit den großen Kathedralen die Grafschaften der britischen Inseln. Während . aber die Kathedralen steinerne Zeugen einer ganz bestimmten Mensch-Gott-Beziehung sind, die in der säkularisierten Welt zwar nicht mehr nachgelebt wird, aber auch nicht „anstößig” erscheint, symbolisieren die großen Schlösser und Landhäuser — das englische Wort „country house” steht, so man nur die großen Landhäuser ins Auge faßt, für beide Begriffe — eine ganz bestimmte gesellschaftliche Relation von Mensch zu Mensch, der die jeweils herrschenden Schichten zwar nachleben möchten, die aber anstößig geworden ist. Die berühmten Namen englischer Schlösser, Blenheim etwa oder Wilton House, Hatfield, Chatsworth und wie sie alle heißen mögen, klingen wie Fanfarenstöße durch die englische Sozialgeschichte.

Doch heute sind die steinernen Monumente einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft in die Zwickmühle von Haß und Unaufrichtigkeit geraten, sie dürfen weder erhalten werden noch verfallen, sie müssen das Leben aus- und die Geschäftigkeit einströmen lassen und stehen in rührender Ratlosigkeit in fremd gewordenen Landschaften. Wie sehr auch heute noch die ganze Debatte um die Erhaltung dieses Kulturbesitzes im Banne abgestandener Schlagworte steht, hat vor einigen Monaten der Streit und Zank klargemacht, die die Sondergesetzgebung für den Duke of Norfolk und seinen Besitz begleiteten. Besagter Herzog ist Erbmarschall von England, er hat bei der Krönung und anderen Anlässen gewisse Staatsfunktionen zti erfüllen. Die Bevölkerung nimmt, offensichtlich genug, ein Interesse an diesen Funktionen, strömt doch die Masse in unübersehbarer Zahl herbei, wenn die. mittelalterliche Eracht Jioch einmal aus der Tiiefe der Zeit emporsteigt. Ebenso wünscht das Publikum sicherlich die Erhaltung von Arundel, der schönen Burg des Herzogs, um die herum sich sein Besitz ausbreitet, der in den legalen Fesseln vergangener Jahrhunderte liegt, so daß der Herzog nichts verkaufen oder verändern darf, daher auch gewissen Verpflichtungen und Notwendigkeiten nicht nachkommen kann. Aus dieser Zwangslage konnte ihn nur das Parlament befreien, und in dem dazu nötigen Gesetzesantrag waren Bestimmungen enthalten, die so verstanden wurden, daß Arundel in Zukunft als „Dienstwohnung” des Erbmarschalls anzusehen sei. Eine höchst vernünftige Lösung: Das Haus wäre aus der Erbschaftssteuer ausgeklammert worden, die Kontinuität wäre erhalten geblieben, notabene eine Kontinuität, die längst mehr einbringt, als sie kostet, stellt sie doch für den dollarbewehrten Touristen eine Hauptanziehung dar, und das Publikum hätte seinen Willen gehabt, denn es scheint ja beides haben zu wollen, Burg und Herzog. Aber zugleich will es beides auch wieder nicht, man preist das Schöne, aber man möchte doch auch die Freude, es zu zerstören. Dieselben Leute, die die Straßen in endloser Zahl säumen, wenn die königliche Karosse vorbeifährt, und zu allen möglichen Anlässen Buckingham Palace umlagern und ob Princess Anne und Prince Charles in nicht endenwollende Sentimentalität versinken, sind durchaus bereit, sich schrecklich zu erregen, weil der Herzog von Norfolk privilegiert werden soll, und ihren Abgeordneten die Hölle heiß zu machen. So hat man sich in Westminster beeilt, zu erklären, daß das Sinnvolle in Wirklichkeit nie geplant, das einzig Vernünftige keinesfalls vorgesehen war. Es ist, als schwebe der Ausspruch Lloyd Georges: „Ein voll ausgerüsteter Herzog kostet ebensoviel Unterhaltung wie zwei Dreadnoughts, er ist ebenso furchteinflößend und wesentlich langlebiger”, noch immer über dem Land. Man ist in manchem über das, was Georg V. den „Fischhändlerjargon” des großen Wallisers genannt hatte, nicht wirklich hinausgewachsen.

Was steht dabei wirklich auf dem Spiel? Um wieviel Schlösser geht es, wie groß ist die Aufgabe der Erhaltung? Es zeigt sich sofort, daß es sich um ein leicht überschaubares, lösbares Problem handelt. Der „National Trust”, auf den wir gleich zu sprechen kommen, hat bereits 1939 eine Liste derjenigen Häuser angelegt, die aus historischem und künstlerischem Interesse erhalten werden müßten. Bereits damals war die Hälfte dieser Häuser nicht mehr bewohnt, was in dem ozeanischen Klima der britischen Inseln immer den Verfall bedeutet. Inzwischen sind einige auch noch abgerissen worden.

Die Ursachen dieses Verfalls sind so bekannt, daß sie hier nur in Kürze zusammengefaßt werden müssen: Die 1893 eingeführte „Estate Duty”, unserer Erbschaftssteuer vergleichbar, aber grausamer, und dümmer in der Konstruktion, und die Einkommensteuer, die es fast unmöglich macht, im Jahr mehr als 5000 Pfund einzunehmen.

Die Aussichten sind also nicht günstig. Immerhin hat man schon vor längerem ein Instrument geschaffen, um der Auflösung Einhalt zu gebieten, das „National Trust Country Scheme”, meist „National Trust” oder noch kürzer „Trust” genannt. Wer ein schönes Landhaus oder eine historische Burg sein eigen nennt, kann diesen Besitz dem „Trust” überantworten, vorausgesetzt, daß er ihm dazu auch Vermögenswerte überläßt, die zur Erhaltung des historischen Gebäudes erforderlich sind, ein Opfer, das in manchen Fällen größer erscheinen mag, als es ist, denn die Vermögenswerte haben dem Besitzer vielleicht 100 oder 200 Pfund eingetragen, da- alles übrige weggesteuert wurde, während sie dem „National Trust” 1000 oder 2000 Pfund ergeben, die zur Erhaltung der Objekte verwendet werden können. Liegt der historische Besitz in der Nähe großer Siedlungen, so können die Eintrittskarten vielleicht weitere 2000 Pfund im Jahr ergeben oder auch mehr. Blenheim, der Sitz der Herzoge von Marlborough, Wilton House, die Residenz des Earl of Pembroke, Chatsworth, Ham and Knole sind Anziehungspunkte erster Ordnung. Aber es war eine der Meriten des Feudalismus, daß er die Schönheit recht gleichmäßig übers Land verteilte, in den entlegensten Winkeln Englands gibt es schöne Landsitze, zu deren Unterhalt der

Touristenstrom nie viel beitragen wird. Der „National Trust” hat nichts mit der Regierung zu tun, es ist eine private Institution, die hervorragende Fachleute beschäftigt, das Land gut .bewirtschaftet und die Gebäude mit viel Geschmack in Ordnung hält.

Die Lösung ist trotzdem nicht ideal. Bei allem Sinn fürs Geschichtliche, bei dem Bestreben, die alten Familien auf den Schlössern weiterleben zu lassen, tritt mit dem Besitzwechsel trotzdem eine Zäsur ein, die sich nicht übersehen läßt. Dazu ergibt sich natürlich eine Zweigeleisigkeit der Verwaltung: während früher ein Mann den ganzen Besitz führte, kümmern sich nun die einen um den Anteil des „National Trust”, die anderen um das, was noch Privateigentum geblieben ist. Die Häuser selbst aber werden, sobald sie eben nicht mehr einer Familie gehören, „musealisiert”; noch liegt über Häusern wie Wilton der weiche Glanz des Lebens und Bewohntseins, aber das wird nicht allzulange anhalten. Schließlich wird alles so tot und mumifiziert sein, wie heute schon Hampton Court, das Schloß Heinrichs VIII., in dem statt dem Geist der Anne Boleyn nur mehr, der Geist der Langeweile anzutreffen ist. Der ganze Vorteil des „National Trust” liegt in dem Umstand, daß man sich hier die Erbschaftssteuer erspart. Das Parlament hätte demselben Zweck auf viel bessere und, vom Standpunkt der Nation aus gesehen, billigere Weise dienen können. Man hätte nur eine Liste der wirklich erhaltens werten Schlösser und Burgen zur Hand nehmen müssen und dann jenen Bestandteil des Familienvermögens, der zur Instandhaltung benötigt wird, von der Erbschaftssteuer befreien können.

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