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Auf der Besuchergalerie der Großea türikisehen Nationalversammlung, deren repräsentatives Gebäude wegen Bombengerüchten schwer bewacht wurde, ereignete sich ein regelrechter Aufruhr. Im Plenarsaal kam es sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen den Abgeordneten, und zwei Vertreter der nun oppositionellen, sozialdemokratisch orientierten „Republikanischen Volkspartei“ erlitten Herzanfälle. Die Prognose ihres Vorsitzenden Bülent Ecevit, das Kabinett der „Nationalistischen Front“ werde sich keinesfalls durchsetzen, war leichtsinnig und falsch.

Für den einundfünf zigjährigen Süleyman Demirel ist es jetzt ein Triumph, seine vierte Regierung letzten Endes durchgebracht zu haben. Nach den Ereignissen des 12. März 1971 hätte das niemand mehr für denkbar gehalten. Eingedenk der Tatsache, daß Adnan Menderes 1960 nioht zuletzt wegen seiner allzu harten Hand der aufrührerischen intellektuellen Jugend gegenüber von einer Militärjunta abgesetzt und schließlich aufgehängt wurde, ließ Demirel die Zügel schießen, als sich neue Studentenunruhen ereigneten, und er nannte die Vorfälle kurzerhand „Dummejungenstreiche“. Zwar kostete das nicht seinen Kopf. Immerhin aber jagte ihn eine neue Militärjunta mit Schimpf und Schande davon. Damals, so- meinen die zahlreichen Gegner, hätte kein Hund einen Knochen von Demirel angenommen.

Mit welchem Geschick der einst bettelarme Kleinbauern junge, aus dem ein genialer Ingenieur, ein „König der Staudämme“ und zeitweise auch ein gutverdienender Vertreter amerikanischer Wirtschafts-

interessen wurde, zunächst die alte Hausmacht zurückeroberte, das ist nahezu das Meisterstück eines Zauberlehrlings. Seine Familie soll heute die drittreichste der Türkei sein und die Korruptionsaffären der Brüder taten dem Parteichef auf lange Sicht keinen Abbruch. Wie Demirel auch die von seiner „Gerechtigkeitspartei“ abgesplitterte „Demokratische Partei“ des ehemaligen Parlamentspräsidenten Ferruh Bozbeyli demontierte und neun ihrer Abgeordneten — ursprünglich deren zehn, aber einer wandte sich plötzlich Ecevit zu — an die „Nationalistische Front“ band, gehört gleich-

falls zu den raffiniertesten Leistungen politischer Taktik und Intrige.

Allzu genau war ihm bewußt, das Präsident Fahrd Korutürk nach einer mißglückten Vertrauensabstimmung die Regierung Demirel in die Wüste geschickt hätte. Schon durch ihre Zusammensetzung wird eine scharfe Opposition der jungen Intellektuellen und der — auch die wirtschaftlich ultraliberale Linke der Gerechtigkeitspartei ablehnenden — Gewerkschaften unvermeidbar sein. Deutlich erinnerte das Staatsoberhaupt, ein ehemaliger Admiral und hoher Diplomat, die neuen Herren, denen auch Spitzenpersönlichkeiten des Militärs mißtrauen sollen, an Atatürks reformatorisches Erbe und an dessen Vorstellungen von einem laizistischen Staat. Dieser Fingerzeig galt in erster Linie Professor Necmettin Erbakan. Unbestritten ist dieser Mann mit zwölf Prozent der Wähler und einer Million zahlender Mitglieder seiner „Nationalen Heilspartei“ der einflußreichste unter den drei stellvertretenden Ministerpräsidenten. ; .-

Der einstige Doktorand der Aachener Technischen Hochschule war als Forschungsingenieur bei den Klöckner-Bumboldt-Deutz-Werken an der Entwicklung eines luftgekühlten Panzermotors für die Bundeswehr beteiligt, war dann Universitätslehrer und zeitweise Präsident der Ankaraner Handelskammer. Obgleich also an seiner technischen Laufbahn nichts auf eine Wendung zu besonderer Frömmigkeit hindeutete, spielte er plötzlich den Ultrareligiösen, den kompromißlosen Anti-Freimaurer und Anti-Zioni-sten. Selbst wenn die Stimme des Muezzin nicht über Lautsprecher

vom Minarett ertönt, leitet Demirel jede politische Rede mit muslimischen Gebetsübungen ein. Er kämpfte gegen d&n Minirock, forderte mehr Moscheen, obgleich es deren hinreichend, aber zu wenig Schulen gibt, und würde lieber heute als morgen erneut das öffentliche Abhacken einer Hand für jeden Ladendieb verlangen, wie es die Scheria, das mittelalterliche islamische Gesetzbuch, vorschreibt. Wegen antilaizistischer Betätigung ist seine kurzlebige „Nationale Ordnungspartei“ verboten worden. Ständig hängt über der ihr nachfolgenden „Nationalen Heilspartei“ dasselbe Damoklesschwert. Gegen ihn selbst sollen bisher 41 Verfahren niedergeschlagen oder vertagt worden sein. Auch rein politisch machte er, damals alleiniger Stellvertreter des Ministerpräsidenten Ecevit, nicht zuletzt durch seine radikale Zypernpolitik und seine Ablehnung der allgemeinen Amnestie so große Schwierigkeiten, daß die Koalition nach sieben Monaten zerbrach. Selbst Bewunderer Demireis sind im „Falle Erbakan“ skeptisch. Bisher konnte ja noch niemand mit diesem eigenwilligen und seine Meinung gleich einer Wetterfahne wechselnden „Vize“ auch nur halbwegs fertig werden.

Kein geringerer Klotz am Bein ist Oberst Alspaslan Türkes, ein anderer Stellvertretender Ministerpräsident und Vorsitzender der „Partei der Nationalen Bewegung“, die nur drei Abgeordnete, jedoch zwei Minister stellt. Bekanntlich

bleibt Menderes das Idol Demireis. Hingegen gehörte Türkes jener Militärjunta an, die Demirel hinwegfegte. Bei der deutschen Bundeswehr erlernte der Oberst in Sonderkursen die Bedienung von Atomwaffen. Unbestrittenermaßen war er Nationalsozialist, blieb Rassist, ver-' folgte großtürkische Ziele und bildet die Schlägerkommandos der rechtsradikalen Studenten aus.

Anderes Format hat der erst 45jährige stellvertretende Ministerpräsident Turhan Feyzioglu. Weil sie Ecevit als „zu links“ ansahen, sagten er und seine Freunde sich von Ecevit los und begründeten die „Partei des Nationalen Vertrauens“ (etwa rechte Mitte). Schon unter Ismet Inönü Staatsminister, machte Feyzioglu sich auch einen Namen als Buchautor, Professor und Exdekan der Rechtsfakultät. Jedenfalls gilt Feyzioglu als einer der gebildetsten Männer der Türkei.

Wie lange sich die Regierung der „Nationalistischen Front“, die außer ihrem Antikommunismus kaum etwas Gemeinsames aufweist, halten kann, bleibt abzuwarten. Selbst in Ländern mit langer parlamentarischer Tradition wäre es schwierig, Ultraliberale, Ultareligiöse, Zentrumsleute und Faschisten zu einer Synthese zu bringen. Daher könnten eines Tages die von Ecevit, dem „Zypern-Helden“, geforderten Wahlen unumgänglich werden. Falls Demirel sie verlieren sollte, hätte ihm allein die Tatsache, nochmals Ministerpräsident gewesen zu sein, doch sehr viel Gesicht zurückgegeben.

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