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Spaltpilze am Bosporus

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Noch ehe der neuernannte Ministerpräsident Nihat Erim, der als Vertrauensmann des Staatspräsidenten Cevdet Sunay und des Oberkommandos der Streitkräfte gilt, seine Kabinettsliste abgeschlossen und Präsident und Parlament zur Billigung vorgelegt hat, begünstigen Verfallserscheinungen im traditionellen türkischen Parteiengefüge seine parlamentarische Uberlebenschance.

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Noch ehe der neuernannte Ministerpräsident Nihat Erim, der als Vertrauensmann des Staatspräsidenten Cevdet Sunay und des Oberkommandos der Streitkräfte gilt, seine Kabinettsliste abgeschlossen und Präsident und Parlament zur Billigung vorgelegt hat, begünstigen Verfallserscheinungen im traditionellen türkischen Parteiengefüge seine parlamentarische Uberlebenschance.

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Dem demonstrativen Rücktritt des bisherigen Generalsekretärs der oppositionellen „Republikanischen Volkspartei“, Buelent Ecevit, und des von ihm geleiteten Exekutivkomitees der Partei folgte die Einleitung einer strafrechtlichen Ermittlung gegen den demissionierten Politiker wegen Beleidigung des Staatschefs und der Armee durch die Generalstaats- anwaltschaft. Ecevit hatte in einem Rundfunkinterview behauptet, der

Eingriff der Streitkräfte in die parlamentarische Demokratie, den Präsident Sunay und Generalstabschef Tagmac zuvor als legal sanktioniert hatten, sollte das griechische Modell auf noch raffiniertere Weise imitieren. Der Politiker, der als linker Flügelmann dar von dem Atatürk- Veteran und früheren Staats- und Regierungschef Ismet Inönü geführten Republikaner gelten kann, wollte sich vor der Presse nicht zu dem Ermittlungsverfahren des General-

Staatsanwaltes äußern, das von seinen Anhängern als Versuch gebrandmarkt wird, einen den Militärs unbequemen Demokraten mit strafrechtlichen Mitteln mundtot zu machen.

Die von der türkischen Presse groß herausgestellte gerichtliche Machtprobe zwischen den empfindsamen Offizieren und dem vorlauten Politiker verdeckt kaum die sich unter der dünnen Oberfläche zeigen-

den Spaltungstendenzen im Parteden- gefüge von Ankara.

Links oder rechts

Bei dem Meinungsstreit geht es jedoch um mehr als nur um Personen. Die RVP entwickelte sich in den letzten Jahren von der ideologisch nicht eindeutig fixierten Sammlungsbewegung nationalistischen Zuschnitts allmählich zur sozialdemokratischen Refonmpartei. Parteichef Inönü machte diese Schwenkung jedoch nicht mit, ohne daß die Partei sich des 87jährigen nationalen Heros entledigen mochte. Er störte die Linkskreise in der Partei vergleichsweise weniger als etwa der mehr traditionaJistische und liberale Erim. Dessen Wahl zum Ministerpräsidenten machte die innerparteiliche Machtprobe jedoch unvermeidlich. Dabei zeigte sich, daß der sozialdemokratische Flügel doch schwächer ist, als politische Beobachter bisher annahmen. In der Fraktionsabstim- mumg über den „Fall Erim“ unterlagen die Sozialdemokraten, und mit

Ecevit und seinen Anhängern stimmte nur ein Drittel der Deputierten. Der sozialdemokratische Flügel will bei der bevorstehenden

Vertrauensfrage jedoch trotzdem gegen Erim stimmen, und Ecevit plant dem Vernehmen nach die Gründung einer sozialdemokratischen Partei. Im Fall der von dem neuen Ministerpräsidenten beabsichtigten Wahlrechtsreform hätte sie jedoch vorerst nur geringe Chancen.

Auch die bisher regierende „Gerechtigkeitspartei“ ist von Spaltungstendenzen bedroht. Der aus ihr hervorgegangene bisherige Regierungschef Suleiman Demirel beschuldigte RVP-Ohef Inönü in einer Fraktions- sitzung der gegen ihr« gerichteten „Konspiration“ mit den Offizieren. Die Partei sprach sich zwar trotzdem für eine Unterstützung eines von Erim geleiteten Allparteienkabinetts der Nationalen Konzentration aus, doch trägt sich der gestürzte Demirel mit dem Gedanken, ebenfalls eine eigene Partei zu gründen. Beide Gründungen hätten keine Aussicht, die klaren parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse, die Erim durch seine Wahlrechtsänderung anstrebt, zu gefährden.

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