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Jaan de Coster, Ankara, über baldige Neuwahlen in der Türkei

In der Türkei kommt es wahrscheinlich, nachdem sich 23 der insgesamt 49 Abgeordneten der „Nationalen Heilspartei“ in der Frage der umfassenden Amnestie für politische Straftäter auf die Seite der Opposition und der Streitkräfte geschlagen haben, zum Sturz des sozial-

demokratischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit.

Die „Nationale Heilspartei“ ist eine erst im verflossenen Jahr gegründete extrem konservativ-nationalistischislamische Gruppe, die bei den letzten Parlamentsneuwahlen im ersten Anlauf einen nicht unbeträchtlichen

Erfolg erringen konnte. Ihr Chef, Professor Necmettin Erbakan, propagiert innenpolitisch die Rückkehr zu einem islamisch orientierten Staats- und Gesellschaftsmodell und steht damit“ in diametralem Widerspruch zu den laizistisch eingestellten Kräften bei den Kemalisten und in der Armee. Außenpolitisch befürwortet Erbakan den Abbau der Verpflichtungen innerhalb der NATO, die Abkehr von den USA und Europa und eine Hinwendung zum arabischislamischen Hinterland.

Nachdem bei den letzten Wahlen die kemalistisch-sozialdemokratische „Republikanische Volkspartei“ und die bürgerliche „Gerechtigkeitspartei“ einen annähernd gleich großen Stimmenanteil errangen, wurde die neokonservative „Heilspartei“ zum Zünglein an der Waage. Um die Macht nicht dem früheren bürgerlichen Premierminister Suleiman Demirel überlassen zu müssen, hatte sich der „Volksrepublikaner“-Chef Ecevit nach langen und schwierigen Koalitionsverhandlungen mit dem erzkonservativen Erbakan verbündet. So erleichtert man damals in Ankara darüber war, daß das Bosporusland nach rund zweieinhalbjähriger militärischer Ausnahmeherrschaft und viermonatiger Regierungskrise wieder zivil regiert wurde, so düstere Prognosen stellte man von Anfang an diesem „widernatürlichen Bündnis von Feuer und Wasser“.

Ministerpräsident Ecevit kam seinem frommen Koalitionspartner bei dessen Wünschen nach einer Re-islamisierung des öffentlichen Lebens weit entgegen. In der Frage einer außenpolitischen Neuorientierung deckten sich die Vorstellungen des islamisch-nationalistischen Erbakan ohnehin fast nahtlos mit denen des neutralistischen Ecevit. Der Premier täuschte sich jedoch, wie sich jetzt herausstellte, in der Hoffnung, der Koalitionspartner werde dafür auch die essentiellen Wahlversprechungen der Volksrepublikaner einlösen helfen. Das wichtigste war die Amnestie für die links- und rechtsradikalen Stadtguerrilleros, mit deren Hilfe die innerpoltische Atmosphäre entgiftet und das Land befriedigt werden sollte. Nachdem Staatspräsident Admiral Fachri Ko-rotürk das Amnestiegesetz unterzeichnet hat, ist es zwar in Kraft

getreten, doch es kommt kriminellen Straftätern mehr zugute als den politischen.

Für Ecevit mag das dennoch nicht der wahre Anlaß dafür sein, daß er jetzt mit Rücktrittsabsichten spielt. Vielmehr scheint der rasche Zerfall der Heilspartei zu beweisen, daß sie sich nicht als dauerhafte „dritte Kraft“ zwischen den großen Parteien behaupten kann. Dieser Umstand gibt sowohl den Volksrepublikanern als auch der Gerechtigkeitspartei eine neue reale Chance für einen Wahlsieg. Ecevit kann jetzt darauf hoffen, daß ihm die Bevölkerung das Mandat zur Alieinregierung gibt. Gerechtigkeitsparteichef Demirel hingegen kann die proeuropäischen Gefühle der Stadt- und die Furcht der Landbevölkerung vor sozialistischen Elementen mobilisieren. Selbst wenn sich das ungleiche Zweigespann Ecevit-Erbakan noch einmal auf die Fortsetzung ihres Experimentes einigt, stehen die Zeichen am Bosporus von nun an auf Neuwahlen.

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