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Linke gegen Nationalisten

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Die großen Wahlen liegen noch in weiter Ferne, werden voraussichtlich im Frühjahr 1973 stattfinden, aber die Mehrheitspartei UDR benimmt sich, als würde sie bereits in den nächsten Monaten diese innenpolitische Hürde nehmen müssen. Seit dem Tod des Gründers der Bewegung traten innerhalb dieser die absolute Mehrheit besitzenden Partei Risse und Sprünge auf. Sie wurden gelegentlich verkleistert. Hinter den Kulissen kam es aber immer wieder zu heftigen Diskussionen. Persönliche Animositäten reiften zu politischen Abgrenzungen heran.

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Die großen Wahlen liegen noch in weiter Ferne, werden voraussichtlich im Frühjahr 1973 stattfinden, aber die Mehrheitspartei UDR benimmt sich, als würde sie bereits in den nächsten Monaten diese innenpolitische Hürde nehmen müssen. Seit dem Tod des Gründers der Bewegung traten innerhalb dieser die absolute Mehrheit besitzenden Partei Risse und Sprünge auf. Sie wurden gelegentlich verkleistert. Hinter den Kulissen kam es aber immer wieder zu heftigen Diskussionen. Persönliche Animositäten reiften zu politischen Abgrenzungen heran.

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Zu Beginn des Jahres eröffnete der eben gewählte Generalsekretär Tomasini den Krieg gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Chaban-Deknas. Es ist eine sorgfältig gehütete Tradition, daß der jeweilige Regierungschef gleichzeitig die Partei führt. Pompidou spielte vorzüglich auf diesem Klavier. Er hat sich in seiner mehrjährigen Tätigkeit bis 1969 eine beachtliche parteipolitische Hausmacht geschaffen.

Chaban-Delimas ist ein solches Kunststück nicht gelungen. Er umgab sich vielmehr mit einer Reihe vorzüglicher Technokraten, meist

Linksgerichteten und aus dem Umkreis von Mendės-France stammenden Wirtschaftsfachleuten. Diese Männer konzipierten eine fort schrittliche Sozialpolitik und erarbeiteten das Programm einer neuen Gesellschaft. Als wichtigster Exponent durfte Simon Nora angesehen werden, der aus dem politischen Klub Jean-Moulin stammte. Nora ist in den letzten Julitagen zurückgetreten.

Die Erzgaullisten beobachten mit steigender Unruhe diese ihnen gefährlich erscheinenden Techniker der staatlichen Macht. Sie beklagen sich heftig .über die Eigenmächtigkeit des Ministerpräsidenten, der es selten der Mühe wert fand, Partei oder Fraktion zu konsultieren. Der harte Kern der UDR schuf sich eine Legion der Treuesten der Treuen, genannt „Gegenwart und Aktion des Gaullismus“, um das geistige Erbe und die Methoden des Generals zu verewigen.

Im Frühjahr verließen zwei Abgeordnete die Partei und Fraktion unter Eklat; der Schwager des Generals, Vendroux, und der langjährige Unterrichtsminister Christian Fou- chet. Ein weiterer Vertrauter des Generals, der dem Staatschef in den letzten Monaten seiner Machtausübung nahegestanden war und für das unglückliche Referendum 1969 verantwortlich zeichnete, Jeanneney, schleuderte seit Monaten von seinem urgaullistischen Olymp Blitze gegen die Regierung. Er reihte sich so in die Fronde ein, die gegen den Ministerpräsidenten aufgebaut wurde.

Die heftigsten Parteikritiker wagten es bis Juni nicht, Pompidou oder seine Schiedsrichterrolle innerhalb der Partei anzutasten. Obwohl theoretisch über den Parteien ste hend, ist das Staatsoberhaupt weiterhin das sichtbare Symbol der UDR. Vom 25. bis 27. Juni spielten in Dijon die Gaiuillisten der Nation ein bezauberndes Idyll der Einheit und politischen Freundschaft vor. Chaban-Delmas wurde wie der wiedergewonnene Bruder gefeiert. Der Nationalkongreß strahlte Wonne und Seligkeit aus. Um so überraschender wurde die Willenskundgebung fünf ehemaliger Minister, die gleichzeitig Präsidenten von Parlamentskommis- sionen sind, sowie des Vorsitzenden von „Gegenwart und Aktion des Gaullismus“, zur Kenntnis genommen.

In einer Botschaft an den Vorsitzenden der Kammer drückten sie ihr Mißbehagen über die Zusammenarbeit zwischen Exekutive und Legislative aus. Dieses Dokument war natürlich weder mit den Alliierten der UDR abgesprochen noch von den eigenen Parteiinstanzen diskutiert worden. Aber Männer wie San- guinetti, Foyer und Peyrefitte können mit Recht den Ehrentitel ,.Baron des Gaullismus“ in Anspruch nehmen. Sie waren die engsten Kampfgefährten des Generals und ver meinen im gegenwärtigen Kurs Abweichungen von der Orthodoxie festzustellen.

Die sechs Ritter vertreten die klassische, französisch-nationalistisch orientierte Rechte. Der Zwischenfall Tomasini deutete bereits anv daß sie innerhalb der UDR triumphierte und die konstruktive Sozialpolitik der Regierung keineswegs akzeptierte. Mit Heftigkeit wird in dem Dokument der sechs Aufrechten der Dialog zwischen Regierung und Gewerkschaften angegriffen. Nach Meinung der Verfasser seien die Gewerkschaften keineswegs repräsentative Partner für Sozialverhandlungen, vielmehr in Wirklichkeit Pressure Groups.

Es bestehe Gefahr, daß die alten Parteien durch die Pressure Groups ersetzt werden. Dieser Gefahr könne ausgewichen werden, wenn der Staat seine Stärke zeige und die nationale Idee in den Vordergrund rücke. Die Nation müsse sich verjüngen und eine breitangelegte Familienpolitik betreiben, um den Anspruch auf absolute Souveränität zu rechtfertigen. Natürlich werden die gaullistischen Slogans bezüglich Europas wiederholt, ohne im geringsten die weltpolitischen Veränderungen zu respektieren.

Die Philippika wirkte auf die übrigen Gaullisten wie eine unerwartete kalte Dusche. Die Partei, bereits durch einen politischen Finanzskandal in Anspruch genommen — ein Abgeordneter der UDR wurde darin verwickelt und mußte in Urlaub geschickt werden —, fürchtet, daß die Gegensätze innerhalb der eigenen Reihen während des Sommers noch stärker werden.

Aber nicht nur die konservative Rechte marschiert auf, sammelt ihre Gruppen und versucht die Partei zu dominieren. Am linken Flügel ängstigen sich die Linksgauilisten. Sie sehen in der Stellungnahme der Honoratioren eine Bedrohung der sozialpolitischen Linie der gaullistischen Bewegung. Der Exminister und ehemalige Hochkommissar im

Saarland, Gilbert Grandval, unternahm es mit dem Segen des Ministerpräsidenten, diese kleineren Verbände am Rande der UDR zu einigen. Persönlicher Rivalitäten wegen konnte Grandval keinen Erfolg verzeichnen.

Später lud Staatssekretär Dechar- tre die gleichgesinnten Freunde des linken Flügels zu Unionsgesprächen ein. Am widerspenstigsten zeigte sich der einzige echte Theoretiker und Ideologe des Gaullismus, Jacques Dauer, der die „Front des Fortschrittes“ animiert. Also stand auch die zweite Initiative vor dem Scheitern. Darauf schaltete sich einer der wohl begabtesten politischen Köpfe des Regimes, der frühere Ministerpräsident und Unterrichts- wie Landwirtschaf tsmin ist er de Gaulles, Edgar Faure, ein.

Er hatte schon kürzlich seinen Willen bekanntgegeben, für das höchste Staatsamt au kandidieren. Edgar Faure liebt die Etikette „Gaullist“, ist aber in Wirklichkeit das typische Produkt des Parteiregimes der IV. Republik. Er kommt von den Radikalsozialisten und fühlt sich einer jahrzehntealten republikanischen Tradition verbunden.

Der Exministerpräsident hat vor längerem innerhalb der UDR eine „Studienzentrale“ gegründet, die sich mit sozialen Problemen theoretisch beschäftigt. Ohne darin organisiert zu sein, bekannten sich rund 70 Abgeordnete aur Geisteshaltung Fau- res. Man sprach daher schon erwartungsvoll von einem „Faurismus“.

Nun präsidiert Faure also die Einigungsbestrebungen der linken Gaullisten. Er bat bereits 30 aktive Mitglieder unter den Abgeordneten und einige frühere Minister für seine Ideen gewonnen, während 45 weitere Parlamentarier ihre Sympathie bekanntgaben. Die UDR steht vor der harten Entscheidung, eine konservative Rechte und eine progressive Mitte zu vereinen, oder sich endgültig für eine der beiden Tendenzen zu entscheiden.

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