6796034-1971_11_07.jpg
Digital In Arbeit

Im Fettnäpfdien

Werbung
Werbung
Werbung

Während der hohen Zeit General de GauUes rätselten die Beobachter der französischen Innenpolitik über den Fortbestand der Sammelpartei UDR nach Abgang des Insiwrators. Bekanntlich bat de Gaulle 1947 das RPF gegründet, aber 1958 die Initiativen seines Leutnant Jacques Sou-

stelle mit Skepsis betrachtet, der verschiedene gaullistische Gruppen in einer Union versammeln wollte. Schließlich wurde die UNR geboren, die sich zur heutigen UDR mauserte. Nach den Maiereignissen 1968 erhielt die Partei die absolute Mehrtieit und gab sich in dem fähigen Robert Poujade einen vorzüglichen politischen Generalsekretär, der bis Jänner 1971 der Partei beachtliche Impulse schenkte und die Bezirks- und Departementsverbände aufbaute.

Die UDR schien sich im eine konservative Partei mit radikalsoaiallsti-schen Zügen zu verwandeln. Gelegentlich tauchten Iniformationen über Spaininungen innerhiallb dieser bürgermeisters knapp, aber ausreichend bestätigt. Damit ist die erste Runde in der Auseinandersetzung mit der extremen Parteilinken, insbesondere mit den Jung-sozialiisten, positiv für die Partei-mltte entschieden worden. Vogel hat sich aber gehütet, die Jungsozialisten pauschal zu verketzern und ihnen jegliches Demokratieverständnis abzusprechen. Paradoxerweise waren es gerade sie, die durch eine Änderung der Parteiisataung dieses ausschlaggebende Mißtrauensvotum gegen einzelne Vorstandsmitglieder erstmals ermöglicihten.

Mehrheitsgruppieruing auf, unvergessen bleibt die Fronde eines Teiles der Parlamentsfraktion gegen den Ministerpräsidenten Obaban-Delmas im Spätherbst 1970, aber die Partei zeigte bedeutende Kohärenz und nichts deutete auf das Aufflammen emer Krise vor den Gemeinderatswahlen hin. Es gab nur ein Problem in Lyon, wo der Gegner de Gaulles, Jacques Soustelle, auf eine Mehr-heitslisfte des neutralen Bürgermeisters Pradel gereiht wurde. Diese lokalen Ereignisse erschütterten zum erstenmal die mächtige Partei. Vollkommen überraschend demissionierten der Exinnen- und Unterrichtsminister de Gaulles, Fouchet, und der Schwager des Generals, Vendrpux. Kaum war dieses Gewitter abgeklungen, sah ®ich die Mehrheit mit einem viel schwierigeren Konflikt konfrontiert. Robert Poujade wurde im Jänner als Dank für seine vorzüglichen parteipolitischen Leistungen zum Umweltminister ernannt. Sein Nachfolger wurde der als Organisator berühmte Renė Tomasini, der aber bisher wenig innenpolitisches Profil gewonnen hatte. Es war ein offenes Geheimnis: Tomasini sollte die Gemeinderatswahlen vom 14. März vorijereiten, aber man dachte daran, ihn’ nach diesem Volksentscheid durch einen politischen Generalsekretär zu ersetzen. Der eben gekürte Parteichef — die UDR besitzt keinen Obmann oder Präsidenten — wünschte jedoch keine Beschränkung seiner Aktion sfreiheit und eiblickte weitere politische Horizonte.

Alis erste Tat nach seiner Wahl lud er die parlamentarischen Journalisten ein und hielt eine Pressekonferenz ab, die so wirkte, als hätte er während der friedlichen Cocktailparty Dynamitpatronen entzündet. Er beschuldigte die in Frankreich besonders geschützte Justiz als feige, klagte das er^ Fernsehprogramm an, in die Hände der Feinde der Freiheit gefallen zu sein und beschuldigte im gleichen Aufwaschen Ministerpräsident Chaban-Delmas, diese Feinde der Freiheit zu favorisieren. So viel Porzellain auf einmal hat in den letzten Jahren kein französischer Spitzenpolitiker zerschlagen.

Ob extrem links oder extrem rechts, der würdige Justizminister Pleven ebenso wie der Generalsekretär der Unaibhängigen, Prinz Poniatowski, die mächtige christliche Gewerkschaftsbewegung CPDT, die Radikal sozialisten, Richter und Staatsanwälte, sie alle verurteilten Tomasini mit einer Hefftigkeit, wie sie in der Innenpolitik der V. Republik bislang unbekannt war. „Le Monde" griff den Generalsekretär mit einer Vehemenz an, die die Leser überraschte. Richter und Staatsanwälte marschierten in Amtsroben demonstrativ schweigend durch die verstaubten Gänge des Pariser Justizpalastes. Staatschef und Regierung desavouierten einstimmig die vorlauten Bemerkungen Tomaslnis, der aber bisher nicht eingeladen wurde, zurückzutreten und bis dato keine Absichten bekundete, sein Amt niederzulegen. Die Parteibürokra-tie versuchte ihren Chef zu verstehen und verniedlichte seine Erklärungen, die improvisiert und falsch ausgelegt worden seien. Tomasini selbst hat bereits einen strategischen Rückzug eingeleitet. Durch den Vorfall wurden die Spannungen innerhalb der gaullistischen

Partei akuter. Einer der klügsten französischen Saatsmänner. Edgar Faure, der auf die Unterstützung von 75 bis 80 Abgeordneten reebnet, bekämpft den Rechtsruck der Partei. Edgar Faure, Exlandwirtschafts-und Unterrichtsminister de Gaulles. will die von ihm inspirierte Bewegung innerhalb der Partei so weit akzentuieren, cJaß daraus eine Alternative zum gauiUist’ischen KernkrÄs erwächst. Diese Absicht wurde von ihm und seinen Freunden ziemlich unverblümt bekanntgegeben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung