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Griechenlands Uhren gehen anders

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Athen, Ende Februar Der Staatsstreich fand nicht statt. In der Nacht nach dem Wahltag telephonierte George Papandreou, der Führer der vereinigten Oppositionsparteien, mehrmals mit dem Innenministerium. Nachrichten waren ihm zu Ohren gekommen, daß seine Gegner einen Militärputsch planten. Das war zu einem Zeitpunkt, als er auf Grund der vorliegenden Wahlergebnisse stimmenmäßig klar in Führung lag und mit einer Mehrheit von 10 bis 20 Sitzen im Parlament rechnen durfte. Aber man beruhigte ihn. Seine Befürchtungen seien unbegründet — ebenso unbegründet aber waren auch seine Hoffnungen, als Premierminister ein liberales Kabinett leiten zu können. So sicher war er schon, seines Sieges gewesen, daß bereits die Vergebung einiger Ministerposten seines zukünftigen Kabinetts bekanntgegeben wurde. Sein Kampfgefährte Sophokles V e n i z e 1 o s, der Führer der linksgerichteten Liberal-Demokratischen Union, sollte das Außenministerium übernehmen und unter Umständen auch Präsident des Abgeordnetenhauses werden.

Ein solcher Staatsstreich wäre in Griechenland nichts Außerordentliches gewesen. Wahlen in Hellas, wie der griechische Staat offiziell heißt, sind etwas anderes als bei uns; die griechischen Uhren gehen anders: daß schon am Vortage strenges Alkoholausschankverbot bestand, ist auch uns nicht fremd.

Der Wahltag selbst aber hatte ein anderes Gesicht. Sämtliche Kinos und Kaffeneions (Kaffeehäuser) bleiben geschlossen. Die Gaststätten schließen früh am Abend, ehe die ersten Auszählungsergebnisse von Radio Athen, das die ganze Nacht hindurch seinen Sendebetrieb aufrechterhält, bekanntgegeben werden. Auto-besitzer, die am Wahltag fahren wollten, brauchten dazu eine Sondergenehmigung, die sie an der Vorderscheibe des Wagens anbringen mußten. „Zusammenrottungen“ von mehr als drei Personen sind untersagt. Es herrscht eine Art „Belagerungszustand“. Tagsüber bot Athen ein ruhiges Bild: die Einwohner gingen spazieren, lehnten vor ihren Haustoren oder standen Schlange vor den Wahllokalen. Als Wahllokale dienten Aemter, Schulen, auch Kaufhäuser und Fabriken, nicht selten sogar Kirchen.

Die Wahl begann mit Sonnenaufgang um 7.12 Uhr (osteuropäische Zeit) und dauerte bis Sonnenuntergang um 18.06; in Einzelfällen, wo noch Wähler vor den Lokalen warteten, wurde bis zu zwei Stunden länger offengehalten. Vor dem Eingang zu den Wahllokalen patrouillierten Polizisten und Soldaten; nach Wahlschluß, wenn drinnen die Stimmen gezählt wurden, hielten draußen Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten Wache. Der während des Wahlkampfes oft gehörte Vorwurf, das Militär werde eingreifen, wenn nicht „eine bestimmte Partei“ gewinne (gemeint war die National-Radikale Union des jetzigen Ministerpräsidenten Konstantin Karamanlis), wurde vom griechischen Verteidigungsministerium energisch zurückgewiesen. Der befürchtete Anlaß eines Militärputsches trat aber gar nicht ein. Karamanlis ging, wenn auch knapp, so doch als Sieger hervor. Der Staatsstreich, den Papandreou befürchtete, fand nicht statt.

Das griechische Volk ist wie kaum ein anderes am politischen Geschehen interessiert. Jeder Grieche hat seine persönlichen politischen Ansichten und sein individuelles Rezept, „wie alles zu machen wäre“. Auch wer nicht Neugriechisch (das sich von Altgriechisch mehr unterscheidet wie Italienisch von Latein) spricht, merkt, daß in diesen Wochen in Griechenland von nichts anderem geredet wurde als von den Wahlen; die Namen Karamanlis, Papandreou und Venizelos waren unvermeidlicher Bestandteil jedes Gesprächs, ob es nun von Taxichauffeuren, Schuhputzern, Tavernenkellnern oder gleich wem geführt wurde. Der Verfasser dieser Zeilen war Zeuge, wie es in einem engen Landautobus in der Nähe von Lewadia beinahe zu einer Schlägerei gekommen wäre, als sich ein alter Bauer offenbar heftig gegen Karamanlis wandte. (Die Regierung Karamanlis hat ihre Anhänger hauptsächlich auf dem Lande, während insden Städten Athen, Piräus und Saloniki sowie auf Kreta, der Heimat Venizelos, die liberalen Elemente stärker sind.)

Trotzdem war das Bild, das der Wahlkampf bot, angenehmer als bei uns. In den Landstädten gab es überhaupt keine Wahlplakate, in Athen ein einziges, das das Bild Karamanlis zeigte und die Namen der Männer anführte, die auf seiner Liste kandidierten. Griechenland ist ein armes Land; da müssen eben auch die politischen Parteien sparen. Die Agitation beschränkte sich hauptsächlich auf Werbelokale, die von oben bis unten mit den Bildern der wichtigsten Parteikandidaten tapeziert waren; viele Flugzettel wurden verteilt. Die Parteipresse sparte allerdings nicht mit Bosheiten über die Gegner. So nannte das Organ der rechtsradikalen Partei des besonders deutschfreundlichen Spiios Markezinis die Regierung Karamanlis eine „Quisling-Regierung, die Griechenland ins Un-* glück stürze“; Markezinis und seine Gefolgsleute wurden hinwiederum die „300 von den Thermopylen“ genannt — ein Wort, das Markezinis gerne aufgriff und erklärte, er und die Seinen würden zwar vielleicht fallen, aber nicht weichen. Tatsächlich konnte Markezinis keinen ifler 300 Sitze im Parlament erobern. — Das schlimmste Schimpfwort, das fiel, war — „Gauleiter“!

Die Wahlbeteiligung hatte sehr unter dem starken Regen zu leiden, betrug aber immerhin nicht ganz 90 Prozent; alte und gebrechliche Personen wurden mit Autos, die die politischen Gruppen einsetzten, zur Wahlurne (die in Griechenland wie in Oesterreich aus einem Pappkarton besteht) gebracht. Sie nahmen die Schwierigkeiten gerne auf sich — auch sie sind am politischen Geschehen interessiert; auch sie mußten dabei sein, als es galt, eine neue Regierung zu wählen.

Das Wahlgesetz, nach dem jetzt gewählt wurde, stammt aus dem Jahr 1952 und wurde noch von dem im Vorjahr verstorbenen Ministerpräsidenten Marschall P a p a g o s durchgesetzt. Es bedeutet eine einwandfreie Bevorzugung der herrschenden Partei. Es ist sehr kompliziert und verwendet verschiedene Schlüssel zur Sitzverteilung im Parlament, je nach der Zahl der Abgeordneten, die ein Wahlbezirk ins Parlament entsendet. Seine wichtigste Bestimmung ist vielleicht die „15-Prozent-Klausel“: Eine Partei, die nicht 15 Prozent (oder eine Parteikoalition, die 25 Prozent) der abgegebenen Stimmen erreicht, karm. keine Sitze im Parlament erhalten; an dieser Klausel scheiterte die rechtsextreme Partei der „Fortschrittlichen“ Spiros Markezinis'. Es sind Listenbündnisse möglich. So kam es bei den eben vergangenen Wahlen zu einem Bümünis aller Oppositionsparteien, die links von der National-Radikalen Union des jetzigen Ministerpräsidenten standen: vom liberalen Kentron (Zentrum) Papandreous bis hin zu den Kommunisten.

In zweifacher Hinsicht war das neue Wahlgesetz revolutionär: Zum ersten Male in der Geschichte Griechenlands durften die Frauen — in einer allgemeinen Wahl — wählen, und zum ersten Male waren auch Priester vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen. Die Heilige Synode der griechisch-orthodoxen Kirche legte es den Geistlichen aber nahe, womöglich vom Wahlrecht keinen Gebrauch zu machen. Die Frauen dagegen nützten das ihnen zugestandene Wahlrecht nachhaltig aus; allgemein wird der etwas überraschend gekommene Wahlsieg Karamanlis' ihren Stimmen zugeschrieben. Einige wenige Frauen kandidierten bereits.

Insgesamt bewarben sich diesmal tausend Kandidaten um die 300 Parlamentssitze; der LImstand, daß die Wähler durch Ankreuzen oder Streichen ihnen sympathischer bzw. unsympathischer Namen eine Reihung auf den Wahllisten vornehmen konnten, veranlaßte den Block der Oppositionsparteien, mehrere Kandidaten verschiedener politischer Richtungen zur Auswahl vorzuschlagen. Eine Tatsache, aus der man dann auch entnehmen konnte, welcher der Parteien innerhalb dieses Blockes die meisten Stimmen zu danken sind.

Was bedeutet der Wahlsieg Karamanlis'? Seine Partei läßt sich vielleicht am ehesten noch mit unserer „Volkspartei“, die auch aus mehreren Bünden besteht, vergleichen; allerdings fehlt ihr die ausgesprochen christliche Orientierung. Es gibt in Griechenland, das insgesamt 33 Parteien hat (die meisten haben nur lokale Bedeutung), keine, die in ihrem Namen das Wort „christlich“ führen würde. Die griechischorthodoxe Kirche steht völlig abseits der Politik (eine Ausnahme bildet Zypern).

Für das liberale Zentrum Papandreous und die Linksliberalen Venizelos' fehlt es an Vergleichsmaßstäben; auch eine rechtsextreme Partei ist in Griechenland etwas anderes als bei uns; nur die Kommunisten sind auch hier das, was sie' überall sind: eine straff organisierte Partei, die ihre Weisungen aus dem Ausland bezieht.

Die Hauptverdienste Karamanlis', der die Regierung erst seit einigen Monaten führt (unter Marschall Papagos war er Verkehrsminister), sind der großzügige Ausbau des Straßennetzes und eine Senkung der Arbeitslosenziffer. Die wenigen guten Straßen, die Griechenland hat, sind Karamanlis zu danken. Die Arbeitslosenziffer ist mit etwa 150.000 aber auch heute noch sehr hoch und ein ernstes Problem, wenn man bedenkt, daß es in Griechenland k einer-1 e i Arbeitslosenversicherung oder Notstandsunterstützung gibt und die Arbeitslosen buchstäblich zum Hungern verurteilt sind.

Die Hauptschlagworte, unter denen der Wahlkampf stand, waren: Nationale Einheit im Kampf gegen den Kommunismus (von Karamanlis, der als besonders amerikafreundlich gilt, vertreten), Freiheit Zyperns von England und Anschluß an Hellas (von allen Parteien gefordert) und Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit (ebenfalls von allen Parteien angekündigt).

Der Sieg Karamanlis' darf als ein Zeichen der Stabilität gewertet werden. Er wird ohne Zweifel den Kurs weiterverfolgen, den früher Papagos steuerte und den er von diesem übernahm. Das Bündnis der Oppositionsparteien hat sich unmittelbar nach Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses aufgelöst. Karamanlis wird, obwohl er stimmenmäßig mit etwa 150.000 Stimmen (bei 4 Millionen Wahlberechtigten) gegenüber dem Block der Oppositionsparteien in der Minderheit blieb, im Parlament über eine tragfähige Mehrheit von über 20 Sitzen verfügen. Man erwartet, daß sein neues Kabinett gegenüber dem alten nicht viele Veränderungen aufweisen wird.

Die Entscheidung über die Mehrheit im Parlament brachten die Stimmen des Militärs, das nach den offiziellen Resultaten mit über 90 Prozent für Karamanlis stimmte. Die Opposition hat die Gültigkeit dieses Ergebnisses der Armeestimmen angefochten.

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