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Hysterie gefährdet die Drachme

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Doch um Weihnachten kam es auf Zypern zu den ersten blutigen Zusammenstößen. Der alte, immer geschürte Haß zwischen Griechen und Türken schaffte sich Luft in abscheulichen Greueltaten. (Immerhin beinhaltet dieser Haß keine gegenseitige diskriminierende Verachtung.) Schlichtungsversuche der NATO stießen in Zypern und in Athen auf Widerstand. Griechenland forderte und fordert Selbstbestimmung für die Insel, ein vieldeutiger Begriff in diesem Zusammenhang, hinter dem sich ziemlich offen die Hoffnung nach einer möglichen Heimholung der Insel zum Mutterland verborgen hält. Zu dieser außenpolitischen Belastung trat das Schwanken der Währung. Die großen Versprechungen Papandreous hatten einen Run mißtrauischer Griechen auf die Goldpiunde ausgelöst, was die Stabilität der Drachme unterminierte. Sofortige und energische Maßnahmen der provisorischen Regierung

verhinderten eine Panik. Doch eine Unsicherheit griff um sich. Da die griechischen Parteien nicht auf festgeformten sozialen Gruppen fußen, standen auf einmal wieder alle Möglichkeiten offen. Die ERE schöpfte Hoffnung und ging mit Spyros Markesinis, dem Führer der Progressiven Partei, die im November von 14 auf 2 Mandate zurückgefallen war, einen Koalitionspakt ein. Die sich steigernde Zypernkrise ließ die patriotischen Emotionen durchbrechen. Aus taktischen Gründen sahen sich alle Parteien gezwungen, einen harten Kurs zu steuern.

Eine Kältewelle Anfang Februar ließ den Wahlfeldzug in der Provinz ins Stocken geraten. Doch auch nachher wurde die archaische Ruhe des Landes kaum berührt. Die politische Propaganda Griechenlands bedient sich noch nicht der ausgeklügelten Methoden moderner Werbetechniker. Ausgestreute Handzettel und auf Autos aufgeklebte Photographien der Parteiführer sind die wenigen Anzeichen des Wahlkampfes. Der persönliche Kontakt ist Wichtig und alle Parteiführer absolvierten getreulich ihre Provinztour.

Das unerschütterliche Siegesbewußtsein Papandreous hatte die politische Desintegration überwunden. Die ERE hatte sich nicht aus der Defensive herausarbeiten können. In Thessaloniki rief Papandreou der begeisterten Menge zu: „Wir befinden uns auf einer Pilgerfahrt. Wir haben keinen ernstzu-nehmenden Gegner, da die ERE durch eigene Schuld so tief gesunken ist.“ Doch die Konservativen warfen die Flinte nicht ins Korn. Nachdem die linksradikale EDA am Dienstag vor dem Wahlsonntag mit den großen Schlußveranstaltungen in der Hauptstadt begonnen hatte — wie üblich den Austritt aus der NATO und die Legalisierung der Kommunistischen Partei verlangend —, versammelte die ERE ihre Anhänger donnerstags am Klafthmonos-Platz. Es sprachen die Führer der zwei Koalitionsparteien, Markezinis und Canellopoulos. Letzterer ritt eine, scharfe Attacke auf das Zentrum: „Nur der ERE sei der Aufstieg der letzten Jahre zu verdanken. Papandreou bringe nichts als Inflation, Instabilität, unnötige Opfer. Ihm sei nicht zu trauen, vor allem seit dem Tode von Venizelos, wodurch die besonnenen Elemente der Partei führerlos geworden seien. Ja, Papandreou müsse im geheimen Einverständnis mit den Kommunisten stehen, da die EDA in 24 Wahlbezirken auf eigene Kandidaten verzichtet habe, um für das Zentrum stimmen zu können. Papandreou bedeute Volksfront.“

Papandreou rief seine Anhänger am Freitag zusammen. Zwischen Omonia- und Syntagma-Platz drängten sich die Massen der größten politischen Kundgebung, die Athen gesehen hatte. Papandreou konterte: „Die ER bekämpfe Tyrannei von Links und von Rechts. Die EDA sei nicht mehr, als ein ungefährlicher Ladenhüter, die Gefahr drohe von der autoritären Bürokratie vergangener Perioden. Die ER sei für eine offene Demokratie, die alle Bürger des Landes umfasse. Man sei dabei, die üblen Auswüchse einer alten Periode abzuschütteln.“

Die Veranstaltung war ein ungeheurer Erfolg. Redner und Zuhörer steigerten sich gegenseitig in einen politischen Mystizismus. Unter dem Eindruck dieser Kundgebung veröffentlichte Papandreou ein Wahlmanifest: „Christus ist auferstanden! Unser Land steht am Anfang. Die Mächte der Finsternis werden geschlagen und ein Griechenland voll Sonne und Zeugungskraft wird geboren. Unser Volk, lange gequält, feiert seine Befreiung.“

Ab Samstag früh waren alle politischen Demonstrationen untersagt, um eine ungehinderte Durchführung der Wahlen zu gewährleisten. Restaurants und Kinos sperrten. Bei Sonnenaufgapg begann der Urnen-gang?%HesnW wären“äl^ mögMchS* Vorkehrungen getroffen worden, um inkorrekte Machinationen zu verhindern. Es gab keine Zwischenfälle. Die Mittagsausgaiben der Montagszeitungen brachten groß das Siegerlächeln Papandreous und die endgültigen Wahlresultate. Das Zentrum wird im neuen Parlament .mit 173 von 300 Sitzen vertreten sein, gefolgt von ERE (105) und EDA (22).

Die Probleme Griechenlands sind dringlich, und harte Arbeit erwartet die neue Regierung. Zypern wird für Monate eine harte außenpolitische Belastung darstellen. Die ökonomischen Probleme sind noch dringlicher. 1961 hatte Griechenland das Assoziierungsabkommen mit der EWG unterzeichnet. Der Abbau der Zölle ist für den Zeitraum von 12 bis 22 Jahren vorgesehen. In den ersten fünf Jahren wird das Land Wirtschaftshilfen in der Höhe von 125 Millionen Dollar erhalten. Eine rasche und durchgreifende Industrialisierung soll den Prozentsatz der griechischen Industrienomaden, die nach Westeuropa auswandern müssen, beträchtlich senken, den Analphabetismus tilgen, dem Landproletariat zu Leibe rücken, die Landwirtschaft ertragreicher machen und Griechenland dem Standard der westeuropäischen Länder angleichen, ein Prozeß, der tiefgreifende Verlagerungen innerhalb der Infrastruktur des Landes verlangt. Griechenland ist schwer auf einen Nenner zu bringen. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt in Athen, einer Stadt des 20. Jahrhunderts, in deren Umgebung neun Zehntel der Industrie konzentriert sind. Athen absorbiert alle Talente und läßt den Rest des Landes Provinz bleiben, Dekaden hinter der Hauptstadt einhep-hinkend.

Heute bewegt sich Athen wieder im lärmenden Alltagsrhythmus. Die Wahlen sind vorbei. Papandreou ist optimistisch, eine arbeitsfähige Regierung vorhanden.

Man diskutiert wenig die politisch fragwürdige Entwicklung der EWG. Die Athener wollen ihre Chance wahrnehmen. Papandreou hat große Pläne und die Zukunft wird schon eine Antwort wissen.

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