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Der Siegestaumeü über den Sturz der Regierung Stefanopoulos ist längst verrauscht. Die Eintracht der ersten Stunde zwischen der ERE und Papandreous Zentrum, deren Frucht Weihnachtsmann Paraskevo-poulos war, mußte den grimmigen Jännerfrösten des beginnenden Wahlkampfs weichen. Zäher als erwartet, behaupten Sich die abgedankten Liberaldemokraten in der Opposition und schreiben ihren Gönnern von gestern bittere Wahrheiten ins Stammbuch. Die Gendarmerie hat mit der Verteilung der ersten WahJforoschüren staatserhaltenden Inhalts begonnen, sofern sie nicht Studenten und Asylrecht aus den Hochschulen knüppelt, geschehen zu Athen unter Polizeiminister Tzanetis, dem Gestrengen. Indessen erlitten in Brüssel Griechenlands EWG-Erwartungen Schiffbruch, Makarios packt triumphierend die CSSR-Waffen aus, und Ankara bestellt in Bremen Torpedo-und Landungsboote. Inmitten dieses Treibens Pairaskevopoulos mit einem Vertrauensvotum, hunderterlei Vorbehalten, tausenderlei widersprüchlichen Bedingungen der Parteien, die ihn gewählt.

Der Weihnachtsfriede, den die politischen Führer dem griechischen

Volk verheißen hatten, als sie den Stern der Neuwahlen am düsteren Horizont aufleuchten ließen, entschwand mit dem alten Jahr. Am Neujahrsmorgen veröffentlichte die „Elevtheria“ ein groteskes Geheimprotokoll, das zu normalen Zeiten höchstens für die Faschingszeitung getaugt hätte, in der Atmosphäre der internen Spannungen der beiden großen Parteien jedoch wie Dynamit wirkte. Das berüchtigte „Mnimo-nion“ enthielt angebliche Notizen einer Besprechung zwischen dem ERE-Vorsitzenden Kanellopoulos, der Zeitungsverlegerin Eleni Vlachou und dem königlichen Sekretär Bitsios. In dem burlesken Text wurden dem konservativen Parteiobmann boshafte Äußerungen über seine Geigenspieler in der Fraktion in den Mund gelegt, was die ohnehin schon gespannten Beziehungen zwischen dem monarchistischen Flügel unter Pipineüis und Kanellopoulos verschärfte, der sich auf die Jugendorganisationen der ERE stützt. Anderseits steigerte dieses Pamphlet, ungeachtet der offenkundigen Fälschung, den Gegensatz zwischen Vater und Sohn Papandreou, einen Gegensatz, der in der Frage des Vertrauensvotums für die Üfoergangsregierung entbrannt war.

Wenn der Vater mit dem Sohne ...

Andreas Papandreou konnte rund 46 der 122 Zentrumsabgeordneten zur Unterzeichnung eines Manifestes bewegen, das die Regierung Para-skevopoulos als Marionetten des Hofes, den Vater Papandreou als Verräter am Auftrag des Volkes brandmarkte. Gemeinsam mit den Kommunisten wollten Andreas und seine Genossen Paraskevopoulos niederstimmen, und eine Zeitlang sah es fast so aus, als bekomme ihr radikaler Kurs die Oberhand in der Zentrumsunion. Erst als der Herr Papa dem ungehorsamen Sprößling mit dem Ausschluß aus der Partei drohte, gab Andreas zähneknirschend nach. Als Gegenleistung übernahm Papandreou sen. einige Forderungen der Ultras, so die Vorverlegung der Wahlen von Ende Mai auf April.

Die geglückte Vertrauensabstimmung hatte im Zeichen des wiederhergestellten Burgfriedens im Hause Papandreou begonnen. Das Kabinett präsentierte sich mit einer ausführlichen Regierungserklärung, viel zu lang für eine Übergangsregierung von fünf Monaten, wie die Parlamentarier bemerkten. Ein kommunistischer Abgeordneter errechnete mit volksoppositioneller Gründlichkeit, daß von den zwölf Seiten des Textes nur 129 Worte von den Wahlen handelten, und Georg Papandreou, der als erster das Wort ergriffen hatte, stellte nachdrücklich fest, daß seine Partei die Regierung nur zur Einbringung des neuen Wahlgesetzes ermächtige, und jede andere Gesetzesvorlage den sofortigen Entzug des Vertrauens der Zenitrumsunion zur Folge hätte.

Wer gewinnt vom einfachen Proporz?

Die Zentrumsuniion Papandreous, die 1961 durch den Zusammenschluß der Liberalen Partei, der Demokratischen Union und der Bauernpartei gebildet worden war, und 1964 bei den Februarwahlen die absolute Mehrheit von 53 Prozent erzielt hatte, kann beim einfachen Proporzsystem nur verlieren. Durch den mehrfachen Aderlaß der „Apostaten“, die sich in den Regierungen Athanasiadis-Novas, Tsirimokos und Stefanopoulos zusammentaten, ist die Stärke der Partei ohnedies auf uniter 30 Prozent herabgedrückt. Zieht man noch die Tatsache in Betracht, daß 1964 gut ein Drittel der Abgeordneten Papandreous mit kommunistischer Wahlhilfe über die Runde gebracht wurden und es diesmal mehr als fraglich ist, ob der Linksblock erneut dem Zentrum Schützenhilfe leistet, so hat Papandreou kaum Chancen auf eine Wiederholung seiner alten Triumphe.

Die konservative ERE hingegen, die unter der besonnenen Führung ihres Vorsitzenden Kanellopoulos mehr und mehr zur gemäßigten Mittelpartei wurde, je weiter Papandreous Liberale nach links abrückten, könnte durch den einfachen Proporz üm den verdienten Sieg gebrächt werden. Stabilisierend dürfte sich die Wahlreform lediglich auf die kleinen liberalen Parteien auswirken, die bisher dem Linkstrend standhalten konnten, der die heutige Krise aller Mittelparteien hervorruft: den Fortschrittlichen des ehemaligen Wiirtschaftsminlster Mar-kezinis, dem „Liberalen Demokratischen Zentrum“, der „Liberaldemokratischen Union“ und einigen Unabhängigen, die einst alle in der Regierung Stefanopoulos vereint waren, wird der einfache Proporz die Parlamentssitze warmhalten. Die kommunistische „Einige Demokratische Linke“ darf wieder mit ihren obligaten 10 Prozent rechnen, während das Auftauchen einer türkischen Partei in Thrakien ein Novum darstellt.

Unterdessen bleibt es jedoch ungewiß, ob die großen Partelen tatsächlich für die Wahlreform stimmen werden. Schon in der Vertrauensdebatte hatte Kanellopoulos, der nach Papandreou das Wort ergriff, indirekte Kritik am einfachen Proporz geübt. Am kommenden Abend feierte Stefanopoulos sein Debüt als flammender Oppositionsredner. Erst legte er Georg Papandreou eine Liste jener Fälle vor, in denen dieser zwischen 1930 und 1960 zwischen der äußersten Rechten und der radikalen Linken hin und her gependelt war. Kanellopoulos hingegen stellte er die unbequeme Frage, wieso er seine Regierung monatelang an der Einbringung des Wahlgesetzes gehindert habe, um jetzt zu diesem Zweck ein neues, arbeitsunfähiges Kabinett auf die Beine zu stellen, das weder in der Zypemfrage noch in den brennenden wirtschaftlichen Problemen zum Handeln bevollmächtigt sei.

Kanellopoulos, der denselben Vorwurf auch im Parteivorstand der ERE hatte hören müssen, versuchte am nächsten Tag eine großangelegte Verteidigung seiner Vermittlungspolitik. Er prangerte seine erzkon-servataven Gesinnungsgenossen vor dem Plenum an und schleuderte gleiohzeitig dem „Salonkommunisten“ Andreas Papandreou harte Anklagen ins Gesicht. Die gemäßigten Elemente beschwor Kanellopoulos eindringlich zur Eintracht und forderte sie auf, den Parteühader endlich zu begraben und gemeinsam für eine bessere Zukunft zu arbeiten.

Es ist gar nicht so ausgeschlossen, daß der leidenschaftliche Aufruf zur Eintracht, der in der Praxis auf eine große Koalition zwischen ERE und Zentrum hinausliefe, in die Tat umgesetzt wird.

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