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Sadat und die Parteien

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Die vorläufige Blockierung der ägyptischen Nahostpolitik durch den israelischen Regierungswechsel hat in Kairo die interne Auseinandersetzung um das neue Parteiengesetz überraschend heftig und publik werden lassen. Das scheint zwar nicht unbedingt in der Absicht der dadurch in ihrer Monopolstellung bedrohten Arabischen Sozialistischen ParteiAgyptens, -jedoch im Interesse Anwar as-Sadats zu liegen, der Opposition und Bevölkerung von seinen auswärtigen Schwierigkeiten ablenken möchte. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, daß die Vorlage für den gesetzlichen Rahmen der Wiederzulassung politischer Parteien in Kairo genau am 18. Mai veröffentlicht worden ist, am Tag nach dem Wahlsieg des Likud in Israel. Die schon Anfang Juni auf Protest der oppositionellen Abgeordneten abgebrochene Debatte über den Gesetzentwurf ist inzwischen wieder aufgenommen worden und hat zur liberaleren Abänderung einer Reihe von Artikeln geführt. So trifft es sich, daß Ägypten ziemlich genau zum 25. Jahrestag des Offiziersputsches vom 21. Juli 1952, der die organische Entwicklung des Landes lahmgelegt und es fast ein Vierteljahrhundert lang in die Zwangsjacke der Diktatur geschnürt hatte, zum Mehrparteiensystem zurückkehren durfte.

Sehr zum Unterschied von den landläufigen Vorstellungen über die korrupte „Faruk-Ära“ ist das Königreich Ägypten eine hochentwickelte, freiheitliche und gutfunktionierende konstitutionelle Monarchie gewesen. Ihre führende Wafd-Partei, die sich dem Thron nicht selten erfolgreich entgegenstellte, stand zuletzt unter der Führung von Ministerpräsident Mustafa Nahas Pascha. Zweitgrößte Fraktion war die Al-Kutla unter Makram Obeid. „Muslimbrüder“ und ägyptische Kommunisten waren außerparlamentarische, teil- und zeitweise sogar illegale Gruppen mit darum nicht minder bedeutendem Anhang in bestimmten Bevölkerungsgruppen.

Die zunächst von Muhammad Naguib geführte Julirevolution versuchte anfangs, die Parteien auf ihre Seite zu ziehen, was jedoch hauptsächlich am Streben des machthungrigen Abdel Nasser nach Alleinherrschaft scheiterte. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, daß sich Naguib jetzt am 20. Juni in einer Depesche an Präsident Sadat für die Wiederherstellung der Parteifreiheit eingesetzt hat.

Kairoer Beobachter rechnen überhaupt damit, daß der eigentliche Vater des revolutionären Ägypten bei den bevorstehenden Feiern offiziell rehabilitiert wird. Davon erwartet man sich auch positive Reaktionen der christlich-koptischen Minderheit, die Naguib bis heute gr&ße Anhänglichkeit bewahrt hat.

Die Nasser-Ära war von drei, in ziemlich gleicher Weise versagenden Einheitsparteien gekennzeichnet: Zunächst von der völlig unfähigen Befreiungs-Organisation „Al-Tahrir“ der frühen fünfziger Jahre; sodann von der „Vaterländischen Union“ des Itti- had al-Watani, die an der unerfüllbaren Aufgabe scheiterte, die „Vereinigte Arabische Republik“ Ägypten plus Syrien in beiden Teilstaaten populär zu machen; dritte Totgeburt des Nasserismus war die „Arabische Sozialistische Union“, die als Dachorganisation der drei inzwischen selbständig gewordenen sozialistischen Fraktionen der Liberalen, des regierenden Zentrums und eines kleinen Linksblocks auch heute nicht nur auf dem Papier weiterbesteht. Gerade der meistumstrittene, im Juni leicht abgeänderte Artikel 7 des neuen Parteien gesetzes will dem Zentralkomitee der alten Einheitspartei weitgehende Kontrollrechte bei der Zulassung neuer Parteien und der Auflösung bestehender politischer Gruppierungen zusprechen.

Zur Zeit gibt es in Ägypten bereits drei im Magless al-Schaab, der Volksversammlung, vertretene Parteien; Die Arabische Sozialistische Partei Ägyptens (mit 310 Sitzen Regierungspartei); die Partei der Liberalen Sozialisten (13 Sitze); die linksgerichtete National-Progressive Sammlungs-Partei (2 Sitze). Dazu kommen 35 unabhängige Abgeordnete, in denen sich die 1972 nach Sadats Amtsantritt erstmals eröffnete Möglichkeit fortsetzt, den Wahlwerbern der Sozialistischen Union parteilose Kandidaten entgegenzustellen.

Mit dem neuen Gesetz soll nun theoretisch dem Auftreten beliebig vieler Parteien über diese „heilige Dreizahl“ hinaus der Boden geebnet werden. Wie die Vorlage ursprünglich aussah, hätte sie aber mit dem von ihr gesetzten Minimum von 20 Abgeordneten selbst den beiden schon bestehenden Oppositionsparteien die Existenzberechtigung entzogen, von Neugrün dungen ganz zu schweigen. Kein Wunder also, daß die Oppositionsführer Mustafa Kamel Murad (Liberal-Sozia- listen) und Chaled Muhieddin das Parlament nach den Debatten vom 28. Mai und vom 1. Juni unter dem Vorwurf einer „Diktatur der Mehrheitspartei“ protestierend verlassen haben.

Regierungs- und Zentrumschef Mamduh Saleh hat jedoch ebenso gute Gründe für seinen Widerstand gegen eine echte Öffnung zum Mehrparteiensystem vorzuweisen. Er befürchtet eine Spaltung seiner Mammutfraktion, die nur noch von dem Verbot zusammengehalten wird, zu anderen Parteien überzuwechseln oder neue Parteien zu gründen.

Die Kritik an der Gesetzesvorlage richtet sich zunächst gegen deren Grundhaltung, die Parteigründungen nicht zum Zwecke politischer Volksvertretung, sondern erst durch bereits gewählte Volksvertreter zulassen will: Jede neue Partei muß für ihre Zulassung die Unterschrift von mindestens

20 Abgeordneten beibringen; Parteien, die bei den Wahlen von 1980 diese Zahl nicht erreichen, werden ebenfalls aufgelöst. Das neue Gesetz betrifft also nur parlamentarische Fraktionen und keine regelrechten Parteien. Während der Linksblock Chaled Muhieddins gegen den Artikel Sturm läuft, der allen künftigen Parteien die Aufnahme und Unterhaltung von Auslandskontakten verbietet, weil sein kleines Fähnlein entscheidend auf die Unterstützung der kommunistischen „Brüder“ in aller Welt angewiesen ist, sind die Liberalen über die finanziellen Bestimmungen der Gesetzesvorlage empört. Beide Oppositionsparteien bemängeln das Fehlen aller Vorkehrungen für die Schaffung einer freien Parteipresse.

Mamduh Salem und sein Parteisekretär Fuad Muhieddin begründen diese „Sicherheitsmaßnahmen“ mit dem Bestreben der alten vorrevolutionären Parteien, sich neu zu konstituieren. Dieses Bestreben ist nicht nur vorhanden, sondern hat gerade hinsichtlich der Wafd-Partei schon breitesten öffentlichen Widerhall gefunden. Ein Parteiengesetz, das seine Aufgabe gerade in der Unterdrückung solcher Entwicklungen sieht, wird Ägypten jedoch keinen Segen bringen.

Zum Glück scheint Sadat anders als seine derzeitigen Subalternen zu denken. Zwar hat der Staatschef bei einem jüngsten Treffen mit der ultralinken Transportarbeitergewerkschaft - sie war für den wilden Streikvom Vorjahr verantwortlich - jede Rückkehr zu den Verhältnissen vor 1952 ausgeschlossen. Und die Links-Ülustrierte „Rose al-Jussef“ darf das um die Wiederbelebung des Wafd bemühte „Pascha- Triumvirat“ mit beißenden Karikaturen verhöhnen. Anderseits hat Sadat dem altgedienten Wafd-Publizisten Ahmad Abu al-Fatih nicht nur. die Rückkehr aus zwanzigjährigem Exil ermöglicht, sondern auch die Leitartikelspalte des „Al-Achbar“ geöffnet, wo dieser seitdem für Parteifreiheit in Ägypten zu Felde zieht. Wie aus der Umgebung des Präsidenten verlautet, will dieser zum Revolutionsjubiläum diese Freiheit einfach dekretieren, falls sich Mannschaft und Partei Mamduh Salėms nicht liberaler geben wollen.

Davon abgesehen, hat die ganze Par- teien-Debatte gezeigt, daß den Ägyptern Freiheit und Wohlergehen im eigenen Land bedeutend wichtiger als alle Nahostprobleme sind. Und das ist ein gutes Zeichen!

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