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Gewitter in Algier

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Als sich die im letzten September durch Einheitslisten zu Deputiertenwürde gekommenen algerischen Parlamentarier kürzlich zur ordentlichen Sitzung versammelten, waren die Diplomaten- und Journalistenränge zum Bersten gefüllt. Das zur Debatte stehende algerische Ehestandsgesetz konnte kaum der Grund für so großes internationales Interesse sein. Dafür schwang erwartungsvolles Raunen über den Beobachterren!jastman en seit, Monaten nicht mehr gesehenen Sprecher der Linksopposition Ait Ahmed unter den Abgeordneten entdeckte.

Ait Ahmed, ehemaliger Haftgenosse B e n b e 11 a s in der französischen Internierung und einer seiner Gegenspieler in den letzten Sommerkrisen, hat das internationale Sensationsbedürfnis noch selten enttäuscht. Prompt meldete er sich denn auch zu Wort, streifte den auf der Regierungsbank sitzenden Regierungschef sowie dessen Stellvertreter, den Obersten Boumedienne, kalten Blicks und schleuderte sodann der gespannten Versammlung in der ihm eigenen Art des enttäuschten und verbitterten Freiheitshelden eine vernichtende Kritik entgegen: Es sei wichtiger, über den Verfall der allgemeinen innenpoli-

Mitleidlos breitete er sämtliche peinliche Ereignisse der letzten Zeit vor der Öffentlichkeit aus — örtliche Miniaturrevolten unzufriedener alter Kämpfer, Bauern und Tag-löhner, die sich von Algeriens Unabhängigkeit rapid anbrechende bessere Zeiten erhofft hatten, den kalten Krieg zwischen Benbella, bürgerlichem Flügel und Armeeblock innerhalb der Regierung, den kritischen offenen Brief des algerischen Parlamentspräsidenten Ferhat A b b a s an Benbella und, als Clou des Ganzen, die Verhaftung einiger bekannter Regimegegner in der Vorwoche, darunter seines und Benbellas gemeinsamen Internierungs-genossen B o u d i a f.

Ait Ahmed brachte damit nicht nur an die „offizielle“ Öffentlichkeit, was man in Algier sonst nur auf Diplomatenempfängen und in vertraulichen Zirkeln debattierte. Er löste auch das erste Wetterleuchten eines innenpolitischen Gewitters aus, das sich seit langem zusammenbraut und in den kommenden Augustwochen erst richtig austoben mag. Die Kräfte und Gruppen, die Benbella im Bündnis mit Boumedienne und dessen Volksarmee seit der Unabhängigkeitserklärung Algeriens — nunmehr über ein Jahr her — von der politischen Bühne vertrieben hatte, sind allzu zahlreich geworden. Grob gesprochen sind die tischen Lage als über das Mindestalter algerischer Bräute zu reden.

Feinde des Benbella-Boumedienne-Re-gimes in einen bürgerlichen und einen linksextremistischen Block aufzuteilen. Um dem letzteren Wind aus den Segeln zu nehmen, schritt Benbella zu zweifellos überhasteten Sozialisierungs-maßnahmen — Erlässen, die oft der nüchternen Voraussetzungen entbehmenhang mit dem Profumo-Keeler-Iwanow-Fall demnächst zwei weitere Regierungsmitglieder — angeblich sogar Kabinettsmitglieder — „aus persönlichen Gründen“ zurücktreten werden. MacMillan, dessen persönliche Integrität nicht angezweifelt wird, muC schon mit Rücksicht auf den amerikanischen Partner rücksichtslos durchgreifen. Das amerikanische Nachrichtenmagazin „Newsweek“ fordert da Abgehen von „der Weigerung eine Harrowianers oder Etonianers, die Integrität eines anderen Old Boy anzuzweifeln“. Gerade der Fall Philby isi für dieses Verhalten symptomatisch Und MacMillan wird die Neugierde der Amerikaner nach den Antworten auf die Fragen: „Wann wies die britische Regierung seine Eigenschaft als .dritter Mann' nach? Und wie lange arbeitete er für die Sowjets?“ in einer zufriedenstellenden Weise befriedigen müssen.

Die englische Regierung wird, und davon ist schon eine wachsende Anzahl von Publizisten, Beamten und Politikern überzeugt, in vielen Belangen eine höhere Wirksamkeit oder „efficiency“, wie man hier sagt, anstreben müssen. Dies wird nicht zuletzt von den Engländern selbst abhängen, die ihr so sympathisches Verhalten doch ein wenig der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anpassen werden müssen. Das siegeewohnte Schlagwort des Premierministers: „England, du hast es nie so gut gehabt“, erzeugte jedenfalls in den letzten Wochen nicht nur bei politischen Gegnern der Regierung einen bitteren Geschmack. ren und mehr oder weniger unausgeführt bleiben -, womit er sich nicht nur die Feindschaft der Bürgerlichen, sondern auch den Unmut seiner letzten organisierten Stütze, der für einen „geplanten Militärsozialismus“ optierenden Armee, zuzog.

Um nicht gänzlich in deren Abhängigkeit zu geraten, ist Benbella anderseits gezwungen, weiter mit einem liberalen Restflügel des bürgerlichen Blocks zu regieren, dem einzigen, der über nichtmilitärisches Verwaltungs-ühd „Kader'personal verfügt. Damit geriet der algerische Regierungschef in die kuriose Lage, ein dem Anhang der Linken gefälliges Programm mit Hilfe sozialisierungsfeindlichen bürgerlichen Fachpersonals unter dem Schuta einer sowohl mit Bürgerlichen wie Linken verfeindeten und von allen Seiten bekämpften Armee verfolgen zu müssen.

Vergiftetet Atmosphäre

Diese einzigartige Klemme, in dei Algeriens unbestrittenes Volksidol Benbella steckt, war allzu verlockend fürs bunte Feindlager, sich nicht zu verbünden und Stimmung für einer Kurs-, wenn nicht Regimewechsel nach Ablauf des „Probejahres“ zu machen, das sich Benbella bei seinei endgültigen Machtübernahme im Herbst vorigen Jahres erbat.

Mit dem Schlachtruf: „Echte“ Sozialisten und „wertvolles“ nationales Bürgertum vereint gegen Benbellas „Anachronismus“, gelang es der verbündeten Opposition tatsächlich, „die Atmosphäre zu vergiften“, wie derer Aktivität offiziell umschrieben wird. Bürgerlich beherrschte arbeiten gegen armeebeherrschte Ministerien, klagen die letzten linientreuen Regierungsbeamten. Die Armee hat es darauf abgesehen, ihre bürgerlichen Mitregenten abzuschießen, diese wieder fühlen sich bereits im Vorgeschmack erhoffter künftiger Vormachtstellung. Die Masse der Schwankenden läßt sich einfach beurlauben, um den Ausgang des erwarteten Sturmes auf „neutralem Boden“ zu überstehen. Im Volk wühlen gleichzeitig die Linken unter den Massen der Unzufriedenen, die sich vom algerischen Sozialismus allgemeine Landverteilung, Bereicherung oder wenigstens garantierte Vollbeschäftigung versprachen. Schon für den Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung gedacht, spätestens jedoch für den Herbst, erwartet folglich jedermann den allgemeinen Krach, aus dem entweder ein Militärregime oder eine von Linken und Bürgerlichen aufgezäumte Mischregierung, vorzugsweise mit dem unentbehrlichen Volksliebling Benbella an der Spitze, jedoch zur Attrappe abgewertet, hervorgehen würde.

Sei es, daß der Armeeblock vorzeitig nervös wurde oder die vereinte Opposition planmäßig eine Provokation suchte — erst unlängst wurde jedenfalls der bekannte Benbella-Gegner Boudiaf von Militärpolizei „ausgehoben“. Boudiaf, Kabyle und anerkannter Marxist unter den „historischen Chefs“ des algerischen Aufstandes, hatte keinerlei Aussicht, sich allein mit seinen Ideen zum tonangebenden Machtfaktor aufzuschwingen und dürfte kaum das gefährlichste Glied im kombinierten links-rechts-oppositionellen Einkreisungsring um Benbella und Boumedienne gewesen sein. Seit einiger Zeit aus dem freiwilligen Exil in Frankreich nach Algier zurückgekehrt, nahm er zwar Kontakte mit seiner persönlichen Gefolgschaft, dem im Jänner abgesetzten ehemaligen Gewerkschaftsvorstand, auf. soll freilich auch mit der weit gewichtigeren bürgerlich-politischen Elite „verdächtige Gespräche“ geführt haben.

Sein fatales Bravourstück war indessen, in französischen Kreisen, darunter beim hiesigen Pariser Botschafter, de la G o r c e, für das bürgerlich-linksoppositionelle Gegenstück zu Benbellas siarmeegieschfttztem Ghadirf'' ijrp'ehwm Zeitpunkt zu werben, als Benbellas Abgesandte in Paris hart1 um die'Modalitäten des französisch-algerischen Finanzabkommens zu kämpfen hatten.

Verfrühter Startschuß

Noch versuchte der angeblich mit der aufwendigen militärischen Aktion gegen Boudiaf durchaus nicht zufriedene Benbella, den verfrühten Startschuß zum neuen allgemeinen politischen Boxkampf mit Schweigen zu übergehen. Freilich mußte er damit rechnen, daß die Opposition ihren durch Deputiertenimmunität geschützten Sprecher Ait Ahmed bei nächster Gelegenheit vorschicken würde, der Sache den propagandistisch nützlichen Öffentlichkeitseffekt zu verschaffen, und begab sich vorsorglich zur besagten Parlamentsdebatte über Algerien neues Heiratsgesetz. Es blieb ihm dort nichts anderes übrig, als diese erste politische Verhaftung seit seiner Machtübernahme nachträglich mit der Begründung zu decken, daß sie der Abwendung eines staatsfeindlichen Komplotts gedient habe.

Diese „Richtigstellung“ Benbellas hat den gordischen Knoten der algerischen Innenpolitik indes keineswegs entfilzt, ja nicht einmal durchschlagen.

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