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Demokratie auf ägyptisch

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Am 15. März 1971, als sich

Sadat endgültig gegen

seine Rivalen um die Erbfolge Abdel Nassers durchsetzen konnte, deklarierte er diese Machtergreifung als „Berichtigungsrevolution“ im Zeichen einer Demokratisierung des autoritären ägyptischen Regiments. Seitdem hat jedes Jahr ein paar erfreuliche Schritte zu größerer Freiheit gesehen: Lockerung des Polizeistaates, Aufhebung der Vorzensur, Liberalisierung der bisherigen Staats- und Planwirtschaft, und 1977 zum ersten Mal seit dem Offiziersputsch von 1952 die Wiederzulassung mehrerer Parteien, bisher vier an der Zahl.

Das alles scheint Sadat aber langsam schon wieder ein Zuviel an De-

mokratie geworden zu sein. Jedenfalls hat er nun zum siebten Jahrestag seiner Berichtigungsrevolution neue Berichtigungen diktiert, diesmal aber ein kräftiges Zurück in Richtung Gleichschaltung, Lenkung und Bevormundung aller politischen Meinungsäußerungen und Regungen.

Was jetzt unter dem Schlagwort „Freiheit nur für die ihrer Würdigen“ im Gange ist und yon den ägyptischen Wählern in einer sogenannten Volksabstimmung auch fast hundertprozentig bejaht wurde, ist eine große Säuberungsaktion des politischen und öffentlichen Lebens, von Redaktionsstuben und Standesvertretungen der freien Intelligenzberufe. Die ganze Hexenjagd stützt sich auf eine Art von Sadat promulgierten „Radikalenerlaß“, der Kritiker seines Regimes vom passiven Wahlrecht, dem gehobenen Staatsdienst, vom Beruf des Lehrers, Journalisten und Anwalts ausschließt.

Der Begriff „Radikaler“ betrifft dabei drei völlig verschiedene oppositionelle Gruppen: Zunächst einmal und vor allem die ägyptischen Konservativen, die sich erst seit wenigen Monaten wieder an die Öffentlichkeit wagen durften. Mit ihrer Parole „Zurück zur guten alten Königszeit vor dem Nasserismus“ haben sie im städ-

tischen Bürgertum und als erste der neuen Parteien auch unter den sonst politisch desinteressierten Fellachen auf dem Land aber schon einen solchen Anhang gefunden, daß sie den regierenden Sadat-Sozialisten schon bei den nächsten Wahlen gefährlich werden könnten. Der Staatschef hielt es daher für angebracht, diese restau-rative Strömung schon jetzt zu unterbinden, bevor sie sich zu einem alles mitreißenden Strom auszuwachsen vermag.

Zweitens treffen die neuen Maßnahmen den an und für sich kleinen ägyptischen Linksblock beziehungsweise jene Kaderreste, die von ihm nach einer ganzen Reihe von Verhaftungswellen noch übriggeblieben sind. Ihr Ruf nach dem in

Ägypten völlig fehlenden Streikrecht und wirklich freien Gewerkschaften hat ihnen aber in Kreisen der Arbeiter, Studenten und öffentlichen Bediensteten einen breiten Kreis von Sympathisanten gesichert.

Eine dritte und sehr weit gezogene Kategorie von Betroffenen fällt unter den Vorwurf der „Freigeisterei“. Diese sehr willkürlich zu fassende Festlegung hat daher schon große Unruhe in der gebildeten Bevölkerung hervorgerufen, aber auch eine ganze Flut von Denunziationen ausgelöst. Bisher ist noch nicht klar überschaubar, ob es nur den ägyptischen „Freidenkern“ oder überhaupt allen „Freisinnigen“ an den Kragen gehen soll. Damit wäre nämlich auch das Schicksal der einzigen noch verbleibenden Oppositionspartei, der Liberalen, besiegelt. Ihr Führer Mustafa Kamel Murad hat sich Sadats besondere Ungnade zugezogen, da er sich als einziger dem an das Parlament gerichteten Ultimatum des Staatschefs zu sofortiger Billigung eines neuen Steuergesetzes zu widersetzen wagte. Und unter den neuen Sonderbestimmungen sind Aufhebung der parlamentarischen Immunität und Ab ins Gefängnis eine Formsache von wenigen Minuten geworden.

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