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Mitterrand ohne festen Boden

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Innenpolitisch befinden sich Frankreichs Präsident Mitterrand und seine sozialistische Regierung schon seit längerem auf dem Rückzug. Jetzt kommt auch noch in der Außenpolitik Schmach über sie.

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Innenpolitisch befinden sich Frankreichs Präsident Mitterrand und seine sozialistische Regierung schon seit längerem auf dem Rückzug. Jetzt kommt auch noch in der Außenpolitik Schmach über sie.

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Niemand rechnet heute noch damit, daß die Linksparteien die nächste Parlamentswahl 1986 gewinnen werden, von der schwer überbrückbaren Kluft zwischen Kommunisten und Sozialisten ganz abgesehen. Man kann sogar behaupten, daß — vorwiegend aus taktischen Gründen — die Zuversicht der Oppositionsparteien etwas geringer ist als der Pessimismus der Sozialisten.

Alle Nachwahlen und Meinungsbefragungen deuten in die gleiche Richtung hin. Die Kommunisten vermögen sich trotz aller Propaganda und trotz der durch den Kaufkraftschwund bedingten Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik nur ungefähr auf dem erreichten niedrigen Stand von rund zehn Prozent der Wählerstimmen zu halten, während die Sozialisten regelmäßig empfindliche Verluste verbuchen.

Alle Bemühungen Mitterrands um die Aufwertung seines Prestiges sind bisher gescheitert — schon gar nach seinem Debakel im Tschad (siehe Kasten). Es müßten schon sehr unerwartete und außergewöhnliche Ereignisse eintreten, damit sich das politische Klima in den nächsten 18 Monaten wieder grundlegend verändert.

Der französische Präsident befindet sich in einer eigenartigen Lage. Seine sozialistische Partei verfügt unverändert im Parlament über die absolute Mehrheit und vermag demnach ihren Willen durchzusetzen. Die öffentliche

Meinung gewährt dagegen mehrheitlich ihr Vertrauen der Opposition, von der sie einen mehr oder weniger radikalen Kurswechsel erwartet.

Inzwischen zwingen nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die politisch-psychologischen Realitäten Mitterrand zu einer Politik, die näher bei den Vorstellungen der Opposition als bei den Zielen seiner sozialistischen Hausmacht liegt. Es ist ihm jedoch nicht möglich, die Nabelschnur mit den Sozialisten zu zerschneiden, denn bis auf weiteres benötigt er ihre Unterstützung.

Ihnen gegenüber ist er auch zu einer gewissen Treue verpflichtet. Wenn die Partei nicht völligen Schiffbruch erleiden will, muß sie zusammen mit dem Präsidenten den Beweis liefern, daß sich selbst in einer Periode strenger wirtschaftlicher Zwänge das sozialistische Verhalten deutlich vom liberalen oder konservativen unterscheidet. Wie dies praktisch geschehen soll, liegt allerdings vorläufig noch im dunklen.

Inzwischen ergehen sich die politischen Kreise in allerlei Spekulationen über die mögliche oder wünschenswerte Entwicklung bis zum Ende des Präsidentschaftsmandats Mitterrands 1988.

Eine Gewißheit ist der Wille Mitterrands, an der Macht zu bleiben, selbst wenn für seine Partei die Parlamentswahl sehr ungünstig ausgeht. Einer der augenblicklich erwogenen Auswege ist ein Referendum im kommenden Jahr zur Verkürzung des Präsidentenmandats von sieben auf fünf Jahre. Hierfür gibt es keinerlei juristische Hindernisse. Die Entscheidung liegt in den Händen des Staatschefs.

Da sich fast alle Parteien und maßgebenden Politiker für eine derartige Reform ausgesprochen haben, würde es der Opposition schwerfallen, dagegen Stellung zu nehmen, sofern Mitterrand diese Entscheidung nicht! mit anderen Maßnahmen verkettet, wie zum Beispiel die Ernennung eines Vizepräsidenten und die Beseitigung der in der Verfassung vorgesehenen Sondervollmachten für den Staatschef in einer Krisenperiode.

Ein massives Jawort der Franzosen wäre ein Prestigegewinn für den Präsidenten, der es sich nicht versagen würde, darin — zweifellos wenig realistisch — einen Vertrauensbeweis für seine Person zu sehen. Dann wäre er in •seiner Optik auch berechtigt, nach einer klaren Niederlage der Parlamentswahl weiterhin an der Spitze des Staates zu verharren.

Diese Zukunftshoffnung erscheint jedoch recht gewagt, denn man könnte sehr wohl Mitterrand nahelegen, sich nach einer Amtszeit von fünf Jahren bei einem veränderten politischen Kräfte-

Verhältnis zurückzuziehen, da er diese kürzere Frist gerade für seine Nachfolger durchgesetzt hatte. Er würde auf wenig Verständnis stoßen, wenn er sich an die Macht klammerte.

Daher erwägt seine Umgebung eine zweite Lösung, nämlich seinen Rücktritt unmittelbar nach dem erfolgreichen Referendum, um sich erneut zur Wahl zu stellen, in der trügerischen Hoffnung, dann über den nötigen Elan für einen siegreichen Kampf zu verfügen.

Ein Referendum ist aber kein Zauberstab, der die Unzufriedenheit in Nichts auflöst, die feindlichen Kommunisten in Bundesgenossen zurückverwandelt, den sozialistischen Niedergang aufhält und die Mehrheit der Franzosen veranlaßt, einem Politiker, der sie offensichtlich enttäuscht hat, die Möglichkeit zu geben, ihre Geschicke während zehn Jahren zu lenken, statt der ihrer Ansicht nach schon zu langen Siebenjahresperiode.

Zur Diskussion steht andererseits das Zusammenleben Mitterrands mit der jetzigen Opposition. Es entspricht der verfassungsmäßigen Logik, denn der Präsident ist Garant der Kontinuität und steht grundsätzlich über den Parteien. Nach dem Buchstaben und vor allem dem Geist der Verfassung der V. Republik bestimmt er aber den Kurs des Staatsschiffes und soll sich nicht einer Parla-• mentsmehrheit unterordnen.

Die Opposition ist natürlich nach einem Wahlsieg entschlossen, ihr Programm zu verwirklichen. Seine politisch wichtigsten Punkte, wie die Reprivatisierung der verstaatlichten Unternehmen und die Auflockerung des Entlassungsschutzes, sind mit den sozialistischen Vorstellungen unvereinbar. Mit ihrer Billigung oder Duldung würde sich Mitterrand selbst desavouieren. Seine Zusammenarbeit mit der jetzigen Opposition käme einer moralischen und politischen Abdankung gleich.

Außerdem fordert die öffentliche Meinung einen fühlbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel, das heißt einen klaren Bruch mit jeder Form des Sozialismus.

Einen taktischen Kompromiß zwischen Opposition und Präsident empfände sie als enttäuschend und entmutigend. Die sich abzeichnende politische Unsicherheit könnte dann mit allen ihren negativen Folgen bis 1988 andauern und Frankreich bedenklich lähmen. Vordringlich ist daher für das Land eine baldige Beendigung des in mancher Hinsicht zweideutigen Interregnums.

In dieser Perspektive stellt sich natürlich die Frage nach dem Ausgang des Wettlaufs der sich im Scheinwerferlicht befindenden drei Nachfolgekandidaten, des ehemaligen Präsidenten Gis-card d'Estaing sowie seiner beiden Premierminister Chirac und Barre. Es gilt für die Opposition als kategorischer Imperativ, daß nur zwei der drei sich für den ersten Wahlgang in die Arena begeben.

Niemand sieht jedoch, wie man den unglücklichen Dritten zum Verzicht veranlassen könnte und wer von den Dreien die nötige Seelengröße für den Opfergang besitzt. Infolgedessen beginnt man, den deus ex machina in einem vierten Kandidaten, der sich noch diskret im Hintergrund befindet, zu sehen. Es werden sogar schon Namen genannt, wahrscheinlich mit der etwas diabolischen Absicht, gegenüber einer drohenden Gefahr das Trio Gis-card - Chirac - Barre zum zwingenden Kompromiß zu veranlassen.

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