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1981: Frankreich Jahr des Wandels

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In Frankreich wird Bilanz gezogen: Bilanz über das ereignisreiche und das Land grundlegend verändernde Jahr 1981.

Seit dem 10. Mai weht ein anderer Wind, in dem die bisherigen gesellschaftlichen Strukturen der Fünften Republik ins Wanken geraten sind. Angefangen vom jetzigen Staatschef Francois Mitter- rarid bis hin zum kleinsten Parteisekretär sind sich dabei alle Sozialisten einig, daß ihre Reformen entscheidende Veränderungen am Körper der Nation bewirken werden. Und die Amtszeit Mitter- rands dauert immerhin sieben Jahre.

Eine Fülle von politischer Literatur ist auf dem Büchermarkt erschienen, in der der Sturz Giscard d’Estaings und seiner bürgerlichen Regierung analysiert wird. Gründe, die dazu führten, gibt es ja genug.

So ist ganz gewiß der aristokratische Stil Giscards bei den Wählern nie angekommen. Man gewann manchmal den Eindruck, der Nachfolger von George Pom- pidou suche krampfhaft Kontakt mit der Bevölkerung, aber das Echo auf seine diversen Appelle war niemals besonders nachhaltig.

Der Sozialist Mitterrand hingegen versteht es ausgezeichnet, das Präsidentenamt zu führen. Er präsentiert sich mit Würde als oberster Hüter der Verfassung, spricht selten in der Öffentlichkeit und überläßt es seinem Regierungschef Pierre Mauröy, den Kontakt mit der Bevölkerung - besonders jedoch mit dem Unternehmertum , und den Gewerkschaften — aufzunehmen und einen regelmäßigen Dialog zu pflegen..

Ein weiterer Unterschied zwischen Gišcąrd und Mitterrand liegt in dem Umstand, daß der jetzige Präsident mit seiner sozialistischen Partei eine echte Hausmacht hinter sich hat, während die Anhängerschaft Giscards stets gespalten war und auch heute noch ist.

Die sozialistische Partei hat die absolute Mehrheit im Parlament und ist daher auf die Stimmen des kommunistischen Lagers nicht angewiesen. Einschränkend muß jedoch gesagt werden, daß die erste Regierungspartei kaum in der Lage ist, die Einheit im Parlament stets zu programmieren.

Nach der Übernahme der Parteileitung durch Mitterrand 1971 bildeten sich drei Gruppen, die seit dem Machtwechsel auch in der Regierung Sitz und Stimme haben.

Es ist klar, daß der Flügel Mit- terrand-Mauroy beim ersten Parteikongreß nach dem Wahlsieg des Frühjahres stürmisch gefeiert wurde und die Führung in der Partei bestätigen konnte.

Doch der neue Parteichef Jospin muß auch die CERES-Grup- pe im Auge behalten, die am äußerst linken Rand der sozialistischen Partei steht und eine engere Zusammenarbeit mit den Kommunisten befürwortet.

Schließlich sei auch noch an den Politphilosophen Michel Rocard erinnert, der als potentieller Nachfolger Mitterrands angesehen wird. Rocard ist nach Ansicht vieler Franzosen der vorzüglichste Politiker, über den die Sozialisten verfügen. Doch der Pragmatiker ist in den eigenen Reihen, besonders, bei der Linken, angefeindet, die ihn nur zu gern aus den Staats- unęį Parteiämtern entfernt sehen würde.

Was die sozialistischen Abgeordneten betrifft, sind viele ihren Aufgaben nicht gewachsen. Die Flutwelle, die am 10. Mai über Frankreich hereinbrach, hat viele Politiker ins Palais Bourbon geschwemmt, für die an sich gar kein

Parlamentssitz vorgesehen war. Diese Volksvertreter kann man sich auch eher in einem kleinen Landtag als in der nationalen Volksvertretung vorstellen.

Staatschef Mitterrand indes kümmert sich wenig um diese Vorgänge. In erster Linie geht es ihm darum, die Außenpolitik zu inspirieren und für Frankreich neue Positionen auszuloten — ebenso wie dies seine Vorgänger praktiziert haben.

Man kann Mitterrand einen gewissen Mut nicht absprechen, wagt er es doch zum Beispiel, das nukleare Verteidigunskonzept seiner Vorgänger konsequent weiterzuführen. >

Gegenüber Moskau zeigt der französische Staatschef auffallende Kühle. Auch hinsichtlich des Nahen Ostens geht der Außenpolitiker Mitterrand neue Wege: Die einstige Freundschaft zu Israel wird neu entdeckt. Und die bisherige französische Afrikapolitik hat keinen Bruch erfahren.

Dennoch: Die eigentlichen Veränderungen spielen sich in Frankreich selbst ab. Und dabei ist sicher: Das linke Regierungsteam ist in der Tat dabei, dem Land ein neues Gesicht zu geben.

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