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Giscards Dilemma

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Wer aufmerksam die Bilanz der Kantonalwahlen vom März 1976 analysiert und ohne Leidenschaft die Strukturen der politischen Parteien wie ihre vermutliche Entwicklung studiert, muß zu dem Schluß kommen, daß Frankreich noch nie so nahe einem Volksfrontregime gegenüberstand als in diesen Tagen des Frühjahrsanfanges. Die Ergebnisse der eben durchgeführten Volksbefragung demonstrieren, was sämtliche Meinungsumfragen seit Monaten ohne viel Varianten verkündeten. Der geradlinige Aufstieg der sozialistischen Partei und ihres ersten Sekretärs Mitterrand ist vorläufig durch keine Maßnahme von seiten der Regierung zu bremsen. Würden im gegenwärtigen Augenblick Parlamentswahlen stattfinden, müßte bereits 1976 „eine Regierung Mitterrand“ gebildet werden. Denn zum ersten Mal seit Gründung der V. Republik ist die linke Union in der Lage, eine sichere parlamentarische Majorität zu finden.

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Wer aufmerksam die Bilanz der Kantonalwahlen vom März 1976 analysiert und ohne Leidenschaft die Strukturen der politischen Parteien wie ihre vermutliche Entwicklung studiert, muß zu dem Schluß kommen, daß Frankreich noch nie so nahe einem Volksfrontregime gegenüberstand als in diesen Tagen des Frühjahrsanfanges. Die Ergebnisse der eben durchgeführten Volksbefragung demonstrieren, was sämtliche Meinungsumfragen seit Monaten ohne viel Varianten verkündeten. Der geradlinige Aufstieg der sozialistischen Partei und ihres ersten Sekretärs Mitterrand ist vorläufig durch keine Maßnahme von seiten der Regierung zu bremsen. Würden im gegenwärtigen Augenblick Parlamentswahlen stattfinden, müßte bereits 1976 „eine Regierung Mitterrand“ gebildet werden. Denn zum ersten Mal seit Gründung der V. Republik ist die linke Union in der Lage, eine sichere parlamentarische Majorität zu finden.

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Natürlich taucht in einem solchen Fall die Frage auf, wie die Beziehungen zwischen dem Staatschef und der neuen Mehrheit gestaltet werden können. Die Verfassung 1958 räumt dem Präsidenten der Republik große Vollmachten ein. Er bestimmt die wesentlichen Richtungen in der Innen- und Außenpolitik. Die Regierung ist gegenwärtig ein Organ, welches den Willen des Staatsoberhauptes in die Tat umsetzt. Kann man sich also vorstellen, daß Staatschef Giscard d'Estaing mit einem Mini-

sterpräsidenten, der Mitterrand heißt, harmonisieren könnte? Das gemeinsame Programm zwischen Sozialisten und Kommunisten, wie die gesamte Struktur der Linksparteien erlauben so gut wie keine Zusammenarbeit zwischen dem liberalen Konzept eines Giscard und dem Willen der Linksparteien, eine, sozialistische Ordnung in Frankreich einzuführen. Dem Staatsoberhaupt steht die Möglichkeit offen, ein Parlament mit sozialistisch-kommunistischer Mehrheit aufzulösen und

Neuwahlen auszuschreiben. Man erinnert sich, daß Georges Pompidou 1973 bei einem eventuellen Erfolg der linken Union an diese Möglichkeit gedacht hat. Aber würden die Wähler diesmal von der Angst gepackt, wieder in den ruhigen Hafen des konservativ-liberalen Regimes einfahren? Es ist kaum anzunehmen, daß Giscard d'Estaing den nachdrücklich zu Tage getretenen Volkswillen ignorieren und mit dem berühmten Paragraphen 16 der Verfassung regieren würde. Der Paragraph 16 verleiht dem Präsidenten der Republik in Krisenzeiten faktisch diktatorische Vollmachten. Das wäre ein Sprung in ein risikoreiches Abenteuer und könnte sogar zu einem Bürgerkrieg führen.

Man braucht kein Prophet zu sein, um zu sagen, daß Giscard d'Estaing die Konsequenz aus einen für ihn negativ verlaufenen Wahlgang ziehen müßte.

Aber auch eine mächtige politische

Partei, wie es die Sozialisten 1978 sein könnten, muß auf die langjährigen Partner Rücksicht nehmen. Gelegentlich wurde in den letzten Monaten mit dem Gedanken gespielt, die sozialistische Partei zur Mitar-

beit an der gaullistisch-liberalen und reformatorischen Majorität einzuladen. Bisher sind allerdings sämtliche Versuche gescheitert, diese gewagte innenpolitische Operation durchzuführen. Während der Präsidentschaftskampagne 1974 hatte Mitterrand die Bildung einer Linksregierung im Falle seines Sieges verkündet, zu der er sieben Minister aus dem kommunistischen Lager einladen wollte. Obwohl seit über einem Jahr die Kommunisten nicht gezögert haben, ständige Angriffe gegen die Sozialistische Partei und ihren wichtigsten Funktionär zu richten, hat Mitterrand bisher immer bestätigt, daß er seine Verpflichtungen gegenüber der KPF einzuhalten gedenkt. Zahlreiche Kenner der Materie befürchten jedoch, daß die straff organisierte und höchst disziplinierte kommunistische Partei das lose Gefüge der SP schnell unter Druck setzen würde. Mögen die Sozialisten sich der Gunst der Wähler erfreuen, so sind sie in ihrer bisherigen Organisation mit der KPF kaum zu vergleichen. Soweit es sich um ehemalige Mitglieder der Kommunistischen Partei handelt, wird die Version vertreten, daß sich nichts geändert habe. Marchais und sein Team opferten aus taktischen Gründen so manches Tabu, aber der doktrinäre harte Kern besteht weiter.

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