6867443-1978_09_07.jpg
Digital In Arbeit

Eine ganze Nation steht vor der Guillotine

19451960198020002020

Zur Zeit schmachten drei zum Tod verurteilte Häftlinge in französischen Gefängnissen und warten, ob der Staatspräsident von seinem Gnadenrecht Gebrauch macht oder sie den letzten Gang zur Guillotine antreten müssen. Seitdem Giscard d'Estaing das höchste Mandat in der Republik übernommen hatte, ließ er in drei Fällen der Justiz ihren Verlauf und die fürchterliche Zeremonie fand wie üblich im Morgengrauen in einem Gefängnishofstatt. Aber nicht nur drei Schwerverbrecher müssen damit rechnen, daß sie für ihre Taten mit dem Leben bezahlen: Man gewinnt den Eindruck, die ganze französische Nation sei vor einem gewaltigen Hinrichtungsapparat versammelt und müsse selbst entscheiden, ob ab diesem März der Lebensrhythmus bleibt, wie er sich in Jahrhunderten zwischen Rhein und Atlantik entwickelt hat, oder ein vollkommener Wechsel erfolgt.

19451960198020002020

Zur Zeit schmachten drei zum Tod verurteilte Häftlinge in französischen Gefängnissen und warten, ob der Staatspräsident von seinem Gnadenrecht Gebrauch macht oder sie den letzten Gang zur Guillotine antreten müssen. Seitdem Giscard d'Estaing das höchste Mandat in der Republik übernommen hatte, ließ er in drei Fällen der Justiz ihren Verlauf und die fürchterliche Zeremonie fand wie üblich im Morgengrauen in einem Gefängnishofstatt. Aber nicht nur drei Schwerverbrecher müssen damit rechnen, daß sie für ihre Taten mit dem Leben bezahlen: Man gewinnt den Eindruck, die ganze französische Nation sei vor einem gewaltigen Hinrichtungsapparat versammelt und müsse selbst entscheiden, ob ab diesem März der Lebensrhythmus bleibt, wie er sich in Jahrhunderten zwischen Rhein und Atlantik entwickelt hat, oder ein vollkommener Wechsel erfolgt.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Linksparteien, besonders die Kommunisten, versichern immer wieder, daß die bisherige Form des Lebens in Frankreich nicht mehr gleich verlaufen werde wie vor dem März dieses Jahres. Seitdem diverse Meinungsforschungsinstitute verschiedener Couleur und gelegentlich auch unterschiedlich in ihren Methoden den Puls der französischen Nation geprüft haben, erhielten die Forscher meistens ein und dieselbe Antwort: Die linke Union kann mit 51 bis 54 Prozent der abgegebenen Stimmen rechnen und kann damit als Mehrheit in das Palais Bourbon einziehen. Diese letztere Feststellung muß allerdings noch mit einem kleinen Fragezeichen versehen werden. Natürlich kann der Fall eintreten, daß sich zahlreiche Wähler im ersten Wahlgang für die Kandidaten der Linksparteien entscheiden, in der Stichwahl dann aber den bürgerlichen Repräsentanten ihre Stimme geben. Kein Zweifel aber darüber, daß es sich um eine reine Arbeitshypothese handelt, die wenig Chancen hat, Wirklichkeit zu werden.

Frankreich hat unter dem Regime der V. Republik eine gewaltige Aufbauleistung vorzuweisen. Unter den Präsidenten De Gaulle und Pompidou verwandelte sich das Land, das seine Kräfte zuvor aus dem Agrarsektor geholt hat, in einen modernen Industriestaat, der absolute Spitzenergebnisse in technologischer Hinsicht aufzuweisen hat. General De Gaulle hatte vor den Wahlen die Bürger jeweils darauf aufmerksam gemacht, daß sie zwischen ihm und dem Chaos zu entscheiden hätten. In wenigen Tagen ist die Bevölkerung wiederum aufgerufen, den bisherigen Kurs der Regierung zu bestätigen oder die Karten vollkommen neu zu mischen, der Linken damit die Chance zu geben, ihre Theorien in die Tat umzusetzen und die verschiedenen Forderungen des gemeinsamen Programms zu erfüllen. Aber selbst Experten, die den Linksparteien nahestehen, warnen vor der fürchterlichen Desorganisierung in Wirtschaft und Gesellschaft, falls die Linksparteien radikal vorgehen und ihre Reformen so schnell wie möglich verwirklichen wollen. In den letzten Wochen hat der Chef der kommunistischen Partei, Georges Marchais, immer wieder laut verkündet, daß eine kollektivistische Ordnung die bisher liberale ablösen soll.

Kommt es zum Sieg der Linksparteien, werden unzählige Fallbeile auf gewisse Schichten des Volkes niedersausen und in erster Linie den kleineren und höheren Mittelstand in seiner Substanz bedrohen, ja wahrscheinlich sogar vernichten. Vor kurzem legte der frühere Staatsminister und intime Freund Giscard d'Estaings, Michel Poniatowski, der Öffentlichkeit eine Liste vor, welche die verschiedenen Ministerien angibt, die im Falle eines kommunistischen Wahlsieges von der KPF beansprucht würden. Obwohl in der Öffentlichkeit keinerlei offizielle Verhandlungen über die Konstituierung der Völksfrontregierung stattfinden, sind die Angaben Poniatows-kis von keiner Seite dementiert worden, und es scheint sicher, daß diese Wünsche der KPF zumindest in großen Zügen realisiert würden.

So verlangt Marchais und sein Politbüro eines der sogenannten großen Ministerien. Dazu zählen das Armeenministerium, das Innenministerium und das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten. Nachdem die Kommunisten wiederholt auf den Umstand hingewiesen haben, daß unter General De Gaulle Kommunisten in der provisorischen Regierung saßen, muß doch darauf aufmerksam gemacht werden, daß De Gaulle niemals daran gedacht hatte, eines der drei Schlüsselministerien in die Hände der KPF fallen zu lassen. Aber auch sonst bietet die Liste Poniatows-kis einige besonders attraktive Lek-kerbissen. Die Kommunisten beanspruchen zusätzlich das Arbeitsministerium, das Ministerium für soziale Sicherheit und Familien, jenes für die öffentliche Verwaltung, weiters das Portefeuille für die verstaatlichten Betriebe, das Ministerium für Jugend und Sport und das Finanzministerium, das geteilt werden soll, so daß der KPF sämtliche wirtschaftliche Funktionen in einem neu zu bildenden Ministerium zukommen würden.

Klar, daß die Kommunisten auch im Innenministerium eine entsprechende Teilnahme zu sichern beabsichtigen, in erster Linie im Sektor für die Gemeindeverwaltungen. Dabei muß darauf hingewiesen werden, daß es diese Stelle ist, die den Gemeinden die staatlichen Kredite zubilligt. Das Armeenministerium soll- wenn es nicht direkt der KPF übergeben wird - ebenfalls geteilt werden. Die Kommunisten wollen den Sektor Bewaffnung und Ausrüstung übernehmen. Zusätzliche Staatssekretäre sollen in den anderen Ministerien stets darauf achten, daß die Orthodoxie der Partei den nicht-kommunistischen Kollegen Tag für Tag vor Augen geführt wird.

Es stellt sich nun die Frage, was auf dieser Menükarte für die Sozialisten übrig bleiben wird. Wenn der Plan der Kommunisten durchgeht, würde die liberale Ordnung des Staates von zwei Seiten her bedroht, eingeengt und noch mehr verbürokratisiert werden. An der Basis stehen die Gewerkschaftsverbände der CGT und Tausende aktive kommunistische Betriebszellen bereit, um einer Regierung, in der die Kommunisten nicht vertreten wären, durch organisierte soziale Konflikte jede konstruktive Form einer normalen Wirtschaftsplanung unmöglich -zu machen. Leicht auszumalen, wie schnell auf der anderen Seite in den erwähnten Ministerien eine Machtübernahme größten Stils erfolgen würde.

In den Gemeindeverwaltungen, die seit den letzten Kommunalwahlen vielfach in die Hände der Kommunisten gefallen sind, wurde bereits in wenigen Monaten die Bürokratie aufgebläht und zahlreiche kommunistische Parteigänger fanden dort ihre Pfründe. Es ist so gut wie unmöglich, in solchen Verwaltungsbezirken als Nichtkommunist eine Wohnung zu erhalten oder von der Gemeinde einen Auftrag zu übernehmen. Was sich im kleinen Rahmen eines Bürgermeisteramtes schon abspielt, wird, in staatliche Dimensionen übersetzt, dazu führen, daß die Kommunisten den Staat in die Hand bekommen, bevor die Sozialisten mit ihren theoretischen Überlegungen fertig geworden sind.

So ist es undenkbar, daß eine sozialistische Regierung allein das Erbe der gaullistischen Ministerpräsidenten sowie Raymond Barres übernehmen kann. Die gewaltigste Politmaschine der westlichen Welt arbeitet systematisch und gleich einem Generalstab daraufhin, die Sozialisten aus den verantwortlichen Zentren herauszuma-növrieren und endlich Staatsstrukturen in Frankreich zu schaffen, wie sie in Osteuropa schon seit Jahrzehnten existieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung