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Fruhjahrsreierendum als reigenblatt

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Eines muß man dem französischen Staatschef zubilligen: seine Grundgedanken bezüglich Staat und Gesellschaft haben seit Kriegsende fast keine Änderung erfahren. Als der provisorische Regierungschef überraschend Anfang des Jahres 1946 zurücktrat, wollte er sein Mißbehagen über den vorgelegten Entwurf einer Verfassung demonstrieren. Diese räumte der Exekutive so gut wie keine Rechte ein und spielte den gesetzgebenden Versammlungen die Macht im Staate zu. Die IV. Republik scheiterte unter anderem an ihrem Unvermögen, die Einrichtungen des Gemeinwesens zu reformieren.

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Eines muß man dem französischen Staatschef zubilligen: seine Grundgedanken bezüglich Staat und Gesellschaft haben seit Kriegsende fast keine Änderung erfahren. Als der provisorische Regierungschef überraschend Anfang des Jahres 1946 zurücktrat, wollte er sein Mißbehagen über den vorgelegten Entwurf einer Verfassung demonstrieren. Diese räumte der Exekutive so gut wie keine Rechte ein und spielte den gesetzgebenden Versammlungen die Macht im Staate zu. Die IV. Republik scheiterte unter anderem an ihrem Unvermögen, die Einrichtungen des Gemeinwesens zu reformieren.

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In einer bemerkenswerten Rede am 16. Juni 1946 in Bayeux definierte der pensionierte General die Grundlagen eines Verfassungswerkes. Die damaligen Ausführungen besitzen bis auf den heutigen Tag Gültigkeit. De Gaulle proklamierte das Prinzip eines Präsidialregimes und die direkte Teilnahme der Berufsstände am politischen Leben.

Nach der Machtübernahme im Mai 1958 richtete de Gaulle ein durchaus autoritäres Regime ein, das als wichtigste Waffe das Referendum kannte. Sobald der Staatschef eine Verfas-sungs- oder außenpolitische Frage lösen will, schaltet er das Parlament aus und verlangt von den Wahlberechtigten ein eindeutiges und klares Ja oder Nein. So wurde über das Grundgesetz der V. Republik ebenso abgestimmt wie über eine Verfassungsänderung am 28. Oktober 1962. Auf dem Höhepunkt der Mai-Krise 1968 versuchte de Gaulle wieder seine Lieblingsidee durchzusetzen und schlug am 24. Mai — Frankreich war durch die Studentenrevolten und den Generalstreik fast vollkommen gelähmt — ein Referendum vor, um die Zauberformel „Partizipation“ von der Nation sanktionieren zu lassen. In Wirklichkeit ging es ihm darum, einen massiven Vertrauensbeweis zu erhalten. In dem damaligen Klima schien die Durchführung einer Volksbefragung aus rein technischen Motiven überaus problematisch. Der amtierende Ministerpräsident Pompidou ventilierte den Gedanken allgemeiner Wahlen und vermochte dadurch der gaullistischen Bewegung den bisher größten Erfolg seit Bestehen zu sichern. Nachdem sich de Gaulle des unangenehmen Konkurrenten entledigt hatte, benützte er die damit gegründete Situation, um durch ein Referendum seine persönliche Position neuerlich zu bestätigen.

Die Abhaltung einer Volksbefragung im Frühling dieses Jahres kann gewisse Krisenerscheinungen überdek-ken, die Beständigkeit der V. Republik bezeugen und als Feigenblatt bisheriger Mißerfolge dienen. Der Senat mit dem Sitz im Palais Luxembourg umfaßt künftighin nach der Volksbefragung Vertreter der Provinziallandtage und der sozialen Organisationen. Nach den publizierten Andeutungen wird dieser Ständekammer lediglich eine beratende Funktion zugeordnet. Die legislative Tätigkeit liegt zur Gänze in den Kompetenzen des Parlaments. Der bisherige Senat war mehrheitlich antigaullistisch eingestellt. Er konstituierte sich aus Notabein kleiner Landstädte. Im Senat sammelten sich die Reste des einst stolzen MRP und der unabhängigen Rechten, die unter Ministerpräsident Pinay in bemerkenswerter Weise das Antlitz der IV. Republik geprägt hatten. Der jahrzehntelange Präsident der zweiten Kammer, der farbige Politiker MonnertuUe, wuchs zu einem hartnäckigen Gegner des Staatschefs heran. Er erhielt wegen „Elysee-Beleidigung“ Hausverbot im Palast des Staatschefs. Inzwischen ist er vom scharf profilierten christlichen Demokraten Alain Poher abgelöst worden, der ein besseres Verhältnis zu de Gaulle herstellte, aber das Harakiri des Senates ebenso höflich wie entschieden ablehnt. Es ist selbstverständlich, daß die gaullistische UDR sämtliche Willensäußerungen des Staatschefs gutheißt und für das Referendum eintritt. Die zur Mehrheit gehörenden unabhängigen Republikaner Giscard d'Estaings sind gespalten. Der Chef der Partei und frühere Finanzminister denkt, „daß ein Referendum nicht wünschenswert ist“. Der Innenminister dagegen, ebenfalls der gleichen Partei angehörend, lobt das Referendum und möchte „eher heute als morgen“ die Strukturen des Staates regionalisieren und den diversen' Ständen die Möglichkeit bieten, abseits der Straßen in der gedämpften Plüschatmosphäre des Palais Luxembourg ihre Erwartungen vorzutragen und sich in endlosen Prozedurfragen zu erschöpfen. Die Zentrumsparteien sind, wie schon so oft in der Vergangenheit, unfähig, eine klare Entscheidung zu fällen. Natürlich treten sie für den Föderalismus ein und fordern für die ihnen nahestehenden Stände, besonders die Bauern, ein verstärktes Mitspracherecht in den staatlichen Angelegenheiten. Sie gedenken, der zweiten Kammer mehr Verantwortung einzuräumen, als es die Pläne vorsehen. Sie kritisieren die plebiszitäre Form, welche die Volksbefragung in eine Vertrauenskundgebung für den Staatschef umwandelt. Das Parlament hätte in grundlegenden Diskussionen die Texte studieren müssen.

Die oppositionelle Linke, zutiefst durch Spannungen im eigenen Lager erschüttert, dürfte kaum imstande sein, das bekannte Kartell der Neinsager auf die Beine zu bringen. Die bisherige Zusammenarbeit zwischen Sozialisten und Kommunisten hat weitgehend aufgehört. Die nichtkommunistische Linke verlor ihre Dachorganisation, die sozialistische und demokratische Föderation. Die politischen Klubs unter Führung ihres Präsidenten Hernu sind wenig geneigt, für den konservativen, sprich reaktionären Senat auf die Barrikaden zu steigen. Die S.F.I.O. wieder erhofft ihre Wiedergeburt für April 1969. Sie zeigt sich ungenügend vorbereitet, um während des Kampfes für oder gegen das Referendum eine maßgebende Rolle zu spielen. Die zusammengeschmolzene radikalsozialistische Partei krähte in die Öffentlichkeit stolz ihr eisernes Nein. Die einst einflußreichen Radikalsozialisten sind eine bessere politische Sekte geworden. Die Kommunisten wünschen in der eisigen Abgeschlossenheit der orthodoxen Opposition ihr Mißfallen auszudrücken. Damit wird angenommen, daß auch diesmal de Gaulle als Sieger aus der Volksbefragung hervorgeht.

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