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Die Empfänge des französischen Senatspräsidenten Alain Poher gelten in Paris als die schönsten gesellschaftlichen Ereignisse. Der zweite Mann der Republik versteht es ausgezeichnet, eine sympathische und oft auch freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen. Jahrelang war das Palais Luxembourg der Treffpunkt all jener Politiker, die eine unbedingte gaullistische Herrschaft ablehnten. So konnte man in den festlichen Sälen die Repräsentanten der verschiedenen Zentrumsparteien begrüßen, die nicht bereit waren, die linke Union zu verstärken, aber sich auch nicht Willens zeigten, die Suprematie der UDR anzuerkennen. Die zweite Kammer, die im wesentlichen die Gemeinde- und Regionalfreiheiten verteidigt, war dem Gründer der V. Republik, General de Gaulle, ein Dorn im Auge. Durch ein Referendum (1969) wollte er den Senat entmachten, ist damit aber gescheitert. Der Vorsitzende dieser parlamentarischen Institution übt die Funktion eines Staaffcschefs aus, wenn der eigentliche Inhaber demissioniert oder gestorben ist. Alain Poher hat diese Position zweimal, und zwar 1969 und 1974, mit Geschick und anerkannter Würde übernommen, Der Stellvertreter des Staatsoberhauptes ist weiterhin ein Symbol für eine politische Richtung, die das Frankreich der Gegenwart mindestens ebenso mitgestaltet hat wie der Gaullismus und der nichtmarxistische Sozialismus. Der Senatspräsident, engster Mitarbeiter des Vaters Europas, Robert Schu-man, ist der einzige wirklich bekannte Exponent der christlichen Demokratie.

Mitte März feierte Alain Poher mit einigen ehemaligen Führern der christlich-demokratischen Bewegung den fünfzigsten Jahrestag der Gründung einer christlich-demokratischen Partei, die sich damals unter dem Titel „Partei der Volksdemokraten“ (P. D. P.) vorstellte. Die Partei hatte in der Regel 13 bis 15 Abgeordnete und wurde lediglich bei schwankenden Parlamentsmehrheiten aufgefordert, eine Regierung zu unterstützen, die im allgemeinen von der allmächtigen radikalsozialistischen Staatspartei gebildet wurde. Bei dieser Gedenkstunde im Palais Luxembourg fanden sich Männer ein, die bereits der Geschichte angehören, wie der Präsident des obersten Rats der Widerstandsbewegung, der mehrmalige Ministerpräsident und Außenminister Georges Bidault, sowie Robert Bichet, erster Präsident und späterer Generalsekretär der Internationalen Union Christlicher Demokraten (NEI). Dieses Häuflein der Aufrechten mußte mit einer gewissen Wehmut an die glanzvolle Zeit der christlichen Demokratie (1944 bis 1958) zurückdenken. Wie die radikalsozialistische Partei in der III. Republik, identifizierten sich die Volksrepublikaner (MRP) mit dem Regime und nahmen von der Befreiung bis zum Machtantritt General de Gaul-les fast an allen Regierungen teil. Nur während des Zwischenspiels Mendes-France hielt sich die Partei von den Staatsgeschäften fern. Das Verschwinden dieser einst so mächtigen Bewegung in den Jahren 1964/65 gehört zu einem der verblüffendsten Phänomene der französischen Innenpolitik.

Vielfach wird von Ausländern und den in manchen Staaten regenerierten christlich-demokratischen Parteien gefragt, ob sich in Frankreich eine Gruppe ähnlicher Tendenz neuerlich etablieren könne. Der Kenner parteipolitischer Vorgänge muß jedoch auf eine solche Hoffnung mit einem Nein antworten. Wohl bekennt sich Jean Lecanuet, Präsident einer Zentrumspartei und letzter Vorsitzender des MRP, zu den Maximen der christlichen Demokratie, aber die hinter ihm stehende Partei zeigt im wesentlichen konservativ-liberale Züge und hat selbstverständlich mit der betonten Sozialideologie des MRP nichts gemein. Im Rahmen der UDR versuchte die langjährige Staatssekretärin im Sozialministerium, Fräulein Dienesch, Christ-Demokraten in einem eigenen Flügel zu versammeln. Dieses Vorhaben wurde, allerdings mit wenig Nachdruck, von Maurice Schumann, damals Außenminister, unterstützt. Es handelte sich dabei jedoch um eine Eintagsfliege und durch das Ausscheiden von Made-moiselle Dienesch aus der Regierung versandete diese Initiative.

Nachdem die katholische Kirche sich völlig aus der Tagespolitik zurückgezogen hatte, die zahlenmäßig starken Organisationen der katholischen Aktion, wie auch die Gewerkschaft CFDT, fast geschlossen in das linke Lager eingeschwenkt sind, ist von dieser Seite nicht mit einer Renaissance der christlich-demokratischen Partei zu rechnen. Während es in der zweiten Hälfte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts profilierte christlich-demokratische Denker und Philosophen gab, die das Terrain vorbereiteten, erscheint das letzte Sprachrohr der christlichen Demokratie, die Monatszeitschrift „France-Forum“, . ohne nennenswertes Echo. Der letzte Ideologe des MRP, Etienne Borne, zeichnet als Chefredakteur, hat aber bisher der christlichen Demokratie keine neuen Akzente gegeben.

So mußten die Gäste Alain Pohers am 13. März in die Vergangenheit statt in die Zukunft blicken. Aber das Erbe der christlichen Demokratie lebt, zumindest in verwässerter Form, in der UDR und den unabhängigen Republikanern Poniatowskis weiter, die sich selbst gelegentlich als die Verwandten der christlichen Demokratie bezeichnen.

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