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Monnet tritt aus der Kulisse

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Man nennt sie die Bedingungslosen. Der „Canard enchaine“ hat in humoristischer Mutation aus ihrer politischen Etikette „11. N. R.“ (Union für die Neue Republik) eine neue zoologische Gattung abgeleitet: „les Zueneres; ein Insekt, das stets in Mengen auftritt und sich durch das Fehlen jeder eigenen Initiative auszeichnet. Gemeint sind die gaullistischen Deputierten der französischen Nationalversammlung, deren völlige Selbstaufgabe an ihren Führer de Gaulle den oppositionellen Politikern jede Hoffnung geraubt hat, in der angebrochenen Legislaturperiode ien außenpolitischen Ambitionen des Generals jemals irgendwelche Widerstände in den Weg legen zu können. Solange 233 von den 482 Sitzen im Palais Bourbon von den „Zudneres“ besetzt sind, erscheint tatsächlich jeder Versuch, die Regierung in die Minderheit versetzen zu wollen, von vornherein aussichtslos. Manche Persönlichkeiten der Opposition haben sich deswegen resigniert in den Atombunker der politischen Überwinterung zurückgezogen oder mehr oder weniger demonstrativ auf ausgedehnte Auslandsreisen begeben.

Folge dem Chef im Zorn

Was heißt überhaupt Opposition in :inem Staate, wo die „große“ Politik /on einem Präsidenten der Republik gemacht wird, der laut Verfassung Weier hierfür zuständig ist noch jeman-lem darüber Rechenschaft schuldet? tVie kann opponiert werden, wenn lie Regierung selbst den geopoliti-;chen Gratwanderungen des unnahbaren Serenissismus bloß ahnungsvoll :rschauernd von ferne folgt und des-lalb gar nicht in der Lage ist, im roraus eine umfassende außenpoli-lische Konzeption zur Diskussion zu stellen, sondern sich damit begnügen muß, nachträglich eine Serie von Faits sc.complis mühsam zu rechtfertigen? Denn der General bleibt,- wie Raymond Aron im „Figaro“'wieder einmal auseinandergesetzt hat, seiner in der Mgerienkrise angewandten Taktik treu: „Das unmittelbar anvisierte Ziel ist nicht immer sichtbar, die langfristigen Intentionen werden sorgfältig zweideutig gehalten, von Geheimnissen umgeben und zum Rätsel gemacht (um Sir Winston Churchill zu zitieren). Wie imer das Ereignis ausfällt, General de Gaulle wird es vorausgesehen und gewollt haben.“ In Frankreich Opposition machen, bedeutet deshalb mit Zornröte den Fußstapfen zweier Generalsstiefel zu folgen, deren Ziel dunkel bleibt und höchstens vermutet werden kann.

„Alte Europäer“ und „atlantische Opposition“

Trotzdem wird der Versuch gemacht, die Unzufriedenen zu sammeln, die sich vor allem in zwei Gruppen finden: die „alten Europäer“ und die „atlantische Opposiiton“. Doch diesmal hat nicht ein Parteipolitiker die Führung übernommen, sondern Jean Monnet, der „Vater des Gemeinsamen Marktes“ und Präsident des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten Europas. Monnet hat sich nach dei Pressekonferenz de Gaulles in verschiedenen Erklärungen der gaullistischen Offensive gegen die europäische Integration und die atlantische Allianz entgegengeworfen. Am deutlichster tat er es vor kurzem in New York bei der Entgegennahme des „Freedom Award“. Zum Konflikt in Brüssel führte er dabei insbesondere aus: „Ei ist unerläßlich, daß sich Großbritannien unter denselben Bedingungen wi( die Sechs unserer Gemeinschaft anschließt ... Wir müssen uns daran erinnern — wie dies die beiden Weltkriege bewiesen haben —, daß Großbritannien zu Europa gehört, wenn di< fundamentalen Fragen gestellt sind. Ir England wie auf dem Kontinent müssen wir uns der überholten und statischen Konzeption entledigen, dai Großbritannien — weil es eine Inse ist — dazu verdammt ist, insular zt sein; daß es nicht zu Europa gehör: und daß seine Handelspolitik und seine Interessen es stets von der na türlichen Tendenz fernhalten werden die zur europäischen Vereinigung führt.“

Monnet wandte sich hierauf der atlantischen Allianz zu: „Europa und Amerika müssen erkennen, daß weder das eine noch das andere ein bestimmtes Land verteidigt, sondern daß beide zusammen ihre gemeinsame Zivilisation verteidigen. Sie in den Vereinigten Staaten müssen sich Rechenschaft davon geben, daß es natürlich ist, wenn Europa die Verantwortung und Entscheidung in Verteidigungsangelegenheiten — die nuklearen Mittel eingeschlossen — zu teilen wünscht, denn sie können die Existenz selbst der europäischen Völker in Frage stellen. Anderseits glaube ich, daß die Europäer verstehen müssen, daß die nukleare Drohung unteilbar ist, und daß auch sie einen adäquaten Teil der gemeinsamen Verteidigung tragen müssen.“ Außerdem hat Monnet in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit der gemeinsamen Lösung wirtschaftlicher Probleme hingewiesen.

Schließlich wandte er sich auch dem Problem des Weltfriedens zu: „Solange Rußland denken wird, daß der Westen geteilt werden könnte, wird es versucht sein, das Gleichgewicht der Kräfte zu seinen Gunsten zu verändern. Indem wir neue Formen der Beziehungen zwischen den Ländern des Westens schaffen, beweisen wir durch die Einheit Europas und durch gleichgestellte Assoziierung mit den Vereinigten Staaten zugleich uns, der Sowjetunion und dem Rest der Welt, daß der Westen nicht geteilt werden kann. Dann werden die Bedingungen gegeben sein, die für die Errichtung eines dauerhaften Friedens zwischen der Sowjetunion und uns notwendig sind.“

Ressentiments wegen Napoleon

Dieses klug formulierte außenpolitische Programm eignet sich gewiß zur Sammlung der geschlagenen und resignierten Häufchen der französischen Opposition von der gemäßigten Linken bis zum Zentrum. Aber man würde sich schwer täuschen, wenn man glauben sollte, es könne im Lande draußen das blinde Vertrauen in den französischen Staatschef erschüttern. Wer Kontakt hat mit dem französischen Volk kann immer wieder feststellen, daß den Engländern die Geschichte mit Napoleon noch längst nicht verziehen ist, während die Notwendigst der deutsch-französischen Zusammenarbeit kaum in Frage gestellt wird. De Gaulle befindet sich also völlig in Einklang mit den irrationalen Vorurteilen der breiten Wählermassen. Und dann darf vor allem nicht übersehen werden, daß die französischen Kommunisten Gewehr bei Fuß stehen, seitdem sie die Stoßrichtung der gaullistischen Offensive erkannt haben. Alles was an Vulgärphilosophien antiamerikanischen Gepräges in Frankreich virulent ist, wird überdies seit einiger Zeit durch eine raffinierte Kampagne gegen die amerikanischen Investitionen in Europa aufgerührt. In Anlehnung an die Sage vom trojanischen Pferd wird hinter vorgehaltener Hand von finsteren amerikanischen Lobbys gemunkelt, die sich in Europa wirtschaftlichen und politischen Einfluß erkauften. Auch in dieser Frage darf sich de Gaulle von weiten Schichten des Volkes verstanden wissen.

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