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Die zweite Chance ist gekommen

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Der Tod von Georges Bi- dault erinnerte noch einmal an die große Zeit der christlichen Demokraten nach Kriegsende - und an eine mögliche Zukunft, wenn richtig reagiert wird.

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Der Tod von Georges Bi- dault erinnerte noch einmal an die große Zeit der christlichen Demokraten nach Kriegsende - und an eine mögliche Zukunft, wenn richtig reagiert wird.

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In den letzten Monaten konnte der politische Beobachter viele internationale 1 Ereignisse registrieren und es ist anzunehmen, daß die bisherigen Vorstellungen von der Machtverteilung in Europa eine gründliche Verwandlung finden wird. In diesem Trubel ist der Tod eines Mannes kaum der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht worden, obwohl er zuerst in Frankreich, dann in Europa ei-

ne nicht zu unterschätzende Rolle gespielt hatte. Es war dies Georges Bidault, Mitbegründer der christlich demokratischen Partei MRP.

Doch nicht nur unter dieser Fahne segelte der Geschichtsprofessor, er war auch der Nachfolger des ersten Präsidenten des obersten französischen Widerstandsrates, Jean Moulin, von dem in den letzten Wochen in Frankreich viel gesprochen worden ist. Nach dem Kriege bekleidete Bidault mehrfach das Amt eines Ministerpräsidenten und Außenministers. Er hatte auch die Initiative dazu ergriffen, mit dem neuen Stern der deutschen christlichdemokratischen Parteien, Konrad Adenauer, Geheimgespräche in Genf zu führen und noch vor Robert Schuman den deutsch-französischen Ausgleich einzuleiten.

Nachdem er sich nie mit General de Gaulle verstanden hatte, sah er sich gezwungen, wegen der Algerienpolitik des Begründers der Fünften Republik ins Exil zu gehen — zuerst nach Brasilien, dann in die Bundesrepublik Deutschland und nach Österreich.

Wie immer man auch über Bidault denken mag, so kann man doch behaupten, daß er viel dazu beigetragen hat, um die Internationale der christlichdemokrati schen Parteien zu festigen. Nun leben von der alten Garde, die nach 1947 in allen Staaten des westlichen Europas die christlichdemokratischen Parteien in Staatsparteien verwandelte, nur noch wenige Staatsmänner und Politiker, die sagen: „Ich war dabei, als es darum ging, an Stelle eines Friedens von Versailles eine intime Zusammenarbeit der freien europäischen Nationen zu finden und ein neues Europa zu gestalten.“

Die christlichdemokratischen Parteien haben diesen Auftrag ihrer Wähler zum Großteil erfüllt. Angefangen vom Europarat bis zum gegenwärtigen Europäischen Parlament wurden internationale Institutionen geschaffen, die es erlaubten, eine einheitliche Wirtschafts-, Finanz- und auch Außenpolitik zu entwickeln.

Vieles ist geleistet, manches ist unterlassen worden. Der schwerste Schlag, der das werdende Europa bedrohte, war 1954 die Ablehnung einer gemeinsamen westeuropäischen Armee durch eine eigenartige Koalition im französischen Parlament. Robert Schuman erklärte später, daß dieser Schlag auf Jahre hinaus den Willen vernichtet hatte, ein politisches Europa zu begründen.

Es würde zu weit führen, um alle Elemente zu studieren, die den Abstieg der christlichdemokratischen Parteien förderten. Dfe alten politischen Kräfte machten sich wieder bemerkbar und die christlichdemokratischen Repräsentanten ließen sich ausschließlich von der Tagespolitik einfangen, ohne fahiązu sein, Alternativen den Wählern vorzuführen, die genügend attraktiv waren, um die heranwachsende Generation für eine Idee zu gewinnen, die auf ein reiches Erbe zurückblicken konnte.

An die Stelle des Wortes „christlich“ traten liberale Ideen, und die Gruppen mit dem „hohen C“ rückten immer mehr nach rechts, obwohl sie einstens in den Gründerjahren die Etikette „linkes Zentrum“ präsentiert hatten.

Dieses Hinüberwechseln von ei ner sozialen Politik zu einer liberalen wurde von den Wählern nicht honoriert. In diesem Hohlraum drängten die Sozialisten und sozialdemokratischen Parteien; als bestes Beispiel dafür kann man die Entwicklung der deutschen SPD nennen. Die einst so mächtigen Parteien mußten ihr karges Brot in der Opposition verteilen. Eine der einflußreichsten und mächtigsten der christlichen Parteien, das französische MRP, kapitulierte sogar vor dem legendären Staatschef de Gaulle und löste sich einfach auf.

Das westliche Europa ist gegenwärtig zutiefst beeindruckt von deiji triumphalen Wahlsieg, den die CDU/CSU gewonnen hatte. Nachdem es sich herausgestellt hat, daß die italienischen Christdemokraten zu sehr in interne Machtkämpfe verwickelt sind, vermag die deutsche CDU/CSU den neuen Kern zu bilden, um den sich die anderen christlichdemokratischen Parteien gruppieren können. Die Bildung einer eigenen „Europäischen Volkspartei“ zeigt an, daß sich zum ersten Mal auch eine Partei gebildet hat, die über Grenzen hinweg Europa als Ganzes sieht.

Auch die bisher in Rom beheimatete ECDU hat Konsequenzen aus der Situation gezogen und ist nach Brüssel übersiedelt. Damit fällt der Schatten des Vatikans weg, der von den Gegnern der christlichen Demokratie immer wieder aus der Mottenkiste der Geschichte hervorgeholt wird.

So bietet sich der christlichen Demokratie eine neue Chance, Europa in das Jahr 2000 zu führen. Die Parteien müssen sich nur im klaren darüber sein, daß nicht mehr alte Schlagworte ziehen, sondern der Bürger und Wähler echte Alternativen zu einem System sucht, das nicht in der Lage war, die schwere Krise, welche die freie Welt befallen hat, zu bannen und neue Horizonte zu eröffnen.

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