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Vor scharfer interner Auseinandersetzung?

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Auf dem Terminkalender der V. Republik steht in nächster Zukunft nur eine einzige Volksbefragung: die europäischen Wahlen, die gleichzeitig auch in den anderen acht Mitgliedsstaaten der EG durchgeführt werden. Bisher zeigen sich in der öffentlichen Meinung Frankreichs jedoch noch keine Spuren, die darauf hinweisen, daß es sich bei diesem internationalen Wahlgang um ein europäisches Ereignis von höchster politischer Tragweite handelt. Nur die kommunistische Partei, die seit Jahrzehnten die europäische Integrationspolitik wie die internationalen Behörden mit allen Mitteln bekämpft, nimmt diesen Termin ernst. Und sie wird alle Instrumente ihrer gewaltigen Politmaschinerie in Anspruch nehmen, um in Straßburg mit den italienischen Kommunisten eine gemeinsame Fraktion bilden zu können.

Nach den Märzwahlen gab es für die Bürger nur ein kurzes Aufatmen. Schon jetzt wird davon gesprochen, daß 1981dasMandatGiscardd'Estaings ausläuft und ein neuer Präsident direkt gekürt werden wird. Also kann auch Mitterrand hoffen, daß er sich nach drei Jahren neuerlich als Kandidat - zwar nicht der geeinten Linken Union, aber seiner Partei - voraussichtlich zum letzten Mal in seinem Leben für das höchste Amt im Staate bewerben kann. Den Franzosen könnte also höchst verfrüht eine scharfe interne Auseinandersetzung bevorstehen, wenn die Politiker darauf abzielen.

Kein Zweifel: Giscard d'Estaing ist in seiner Position seit den Wahlen gestärkt und aus zahlreichen demoskopischen Untersuchungen (wenn sich die Institute nicht schon wieder täuschen) ist zu ersehen, daß er derzeit am Höhepunkt seiner Popularität angelangt ist. 60 Prozent der Bürger sind mit den Aktionen ihres Staatschefs einverstanden und würden im Fall von Präsidentschaftswahlen Giscard d'Estaing wiederum ihr Vertrauen schenken. Vor allem konnte er dank des Wahlsieges seine internationale Stellung festigen, da er nicht mehr mit der Wahlhypothek belastet ist. Bis auf weiteres existiert in Paris keine Volksfront! Bereits bei der Gipfelkonferenz in Kopenhagen bewies der französische Staatspräsident - in seinem Stil gemäßigter Europäer -, daß er bereit wäre, Frankreich wieder enger an die europäische Politik heranzuführen. Gemeinsam mit Bundeskanzler Schmidt zählt daher der Franzose zu den Schlüsselfiguren bei der Bildung einer europäischen Konföderation. Aber auch andere internationale Themen werden bereits vom französischen Staatschef anvisiert. Giscard d'Estaing will die Nord-Süd-Gespräche ankurbeln, dazu beitragen, daß ein vernünftiges Verhältnis zu den USA gefunden wird und der EG dazu verhelfen, einen weiteren Schritt in Richtung internationaler Zusammenarbeit der Westeuropäer vorzunehmen.

Obwohl der Beobachter die aufgewertete Funktion des Staatspräsidenten ins Kalkül zieht, muß auch Giscard d'Estaing selbst erkennen, daß im Inneren seines Landes gewisse Probleme herangereift sind, die unter keinen Umständen von der Staatsführung vernachlässigt werden dürfen.

Seit März gibt es eine Präsidentschaftsmehrheit, die sich UDF nennt und drei Mittelparteien unfaßt. Der letzte Präsident der christlich-demokratischen Partei MRP, Jean Lecanu-et, ist nun Chef der UDF geworden, die zahlenmäßig als vierte Partei Frankreichs klassifiziert werden kann. Dieser Partei ist es gelungen, in letzter Minute viele Wähler soweit zu bringen, daß sie ein Treuebekenntnis zum Regime und dem Hüter der republikanischen Legalität ablegten. Ohne es öffentlich laut werden zu lassen, hofft die UDF, daß sie mit der Zeit auch eine Reihe von gaullistischen Abgeordneten in die eigene Partei eingliedern kann.

Wie aber wird sich das auf die Beziehungen zwischen Jacques Chirac und Giscard d'Estaing auswirken? Wie wird sich dann das RPR - nach wie vor die erste Partei der V. Republik - weiterentwickeln? Niemand bezweifelt, daß dieses RPR in weiten Volkskreisen verankert ist und sich als Massenpartei deklarieren kann, was nicht unbedingt auf die anderen Partner der rechten Union zutrifft Gegenwärtig sind die Beziehungen zwischen den Gaullisten und den übrigen Mitgliedern der Präsidialmehrheit auf einem Tiefpunkt angelangt. Es vergeht keine Gelegenheit, bei der Jacques Chirac nicht vergiftete Pfeile auf den Elysee-Palast richtet'

Als es darum ging, einen neuen Präsidenten für das Parlament zu wählen, präsentierte das RPR den lange dienenden Edgar Faure. Als Konkurrent trat Chaban-Delmas - ein Baron des Gaullismus - auf, der 1974 der unglückliche Gegenkandidat Giscard d'Estaings war. Diesmal konnte Chaban-Delmas jedoch mit der Unterstützung des Staatspräsidenten rechnen. Da auch zahlreiche seiner einstigen politischen Feinde für ihn votierten, wurde er neuerlich zur vierten Person der Republik gewählt.

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