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Regime- oder Parteikrise?

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Seit Wochen sorgen nun schon einige dubiose Skandale in der französischen Hauptstadt für stete Aufregung. Und zum ersten Mal in seiner Amtszeit ist Frankreichs Staatschef, Giscard d’Estaing, persönlich in eine der Affären verwickelt. Aber die Diamanten des zentralafrikanischen Exkaisers Bokassa (siehe FURCHE Nr. 43) wiegen nicht so schwer wie der Freitod von Arbeitsminister Robert Boulin.

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Seit Wochen sorgen nun schon einige dubiose Skandale in der französischen Hauptstadt für stete Aufregung. Und zum ersten Mal in seiner Amtszeit ist Frankreichs Staatschef, Giscard d’Estaing, persönlich in eine der Affären verwickelt. Aber die Diamanten des zentralafrikanischen Exkaisers Bokassa (siehe FURCHE Nr. 43) wiegen nicht so schwer wie der Freitod von Arbeitsminister Robert Boulin.

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Einer der Spitzenmanager der regierenden Majorität, der Gaullist Michel Debre, spricht in Zusammenhang mit den jüngsten innenpolitischen Skandalen sogar von einer Krise des Regimes und empfiehlt der Regierung, zurückzutreten. Nun, Michel Debrö ist dafür bekannt, daß er jeden Anlaß dazu benützt, mit dramatischen Erklärungen an die Öffentlichkeit zu treten.

Seitdem Giscard d’Estaing die Geschäfte des Staates lenkt, gab es keine nennenswerter politischen Skandale in Frankreich, wie dies etwa von der Ausrufung der Dritten Republik an noch der Fall war. Umso stärker wirkte nach Jahren die Gewißheit, daß noch immer Kräfte am Werk sind, die die hinterhältigsten Methoden der Demokratie anwenden, um politische Gegner fertigzumachen.

Und das in einer Zeit, in der die Innenpolitik darauf konzentriert werden sollte, die immer größer werdenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Nation zu behandeln und der Bevölkerung dadurch eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit zu garantieren. Trotz aller Anstrengungen des Ministerpräsidenten Barre ist es nämlich nicht gelungen, die beiden schwierigsten Kapitel - Arbeitslosigkeit und Inflation - zu lösen.

Nachdem sich Frankreichs Linke noch immer in den Haaren liegt und es keine Anzeichen dafür gibt, daß sich Sozialisten und Kommunisten in naher Zukunft einigen werden, liegt die gesamte Verantwortung auf dem Staatspräsidenten sowie seiner Regierung.

Das derzeitige Kabinett verfügt im Parlament über eine Mehrheit, gebildet aus den Zentrumsparteien UDF und der gaullistischen Sammelpartei RPR. Nach dem Abgang des Chefs der Gaullisten, Jacques Chirac, als Ministerpräsident, stellte sich schon bald heraus, daß zwischen diesen beiden politischen Gruppierungen nicht unbedingt traute Eintracht herrschte - ja daß die Mißverständnisse von Monat zu Monat größer wurden.

Der Dialog zwischen dem Elysee- Palast und dem Rathaus von Paris, wo Chirac nach seinem Abgang aus der Regierung wirkte, wurde beinahe abgebrochen. Man sagte dem Pariser Bürgermeister sogar nach, daß er allen Ernstes daran denke, durch ein Abgleiten in die Opposition den Staatspräsidenten zu zwingen, Neuwahlen auszuschreiben. Allerdings verfolgten eine beträchtliche Anzahl der gaullistischen Spitzenfunktionäre mit Sorge die starre Politik Jacques Chirac’s gegenüber Staatspräsident Giscard d’Estaing.

Die gaullistischen Minister, an ihrer Spitze Justizminister Alain Peyrefitte, haben sichtlich den Kontakt zur Parteibasis verloren. Das ging sogar soweit, daß die zuständige Lokalorganisation des RPR’s ihrem Vorsitzenden Peyrefitte das Recht absprach, im Namen der Partei Erklärungen abzugeben.

Analysiert man unter diesem Gesichtspunkt die gegenwärtige Situation der Fünften Republik, kann man nicht unbedingt von einer „Krise des Regimes“ sprechen. Es handelt sich viel eher um eine Krise der gaullistischen Sammelpartei RPR, die allerdings Auswirkungen auf die Strukturen des Staates haben könnte.

Bekanntlich ist gemäß der gaullistischen Verfassung der französische Staatspräsident mit Vollmachten ausgestattet, wie sie weder die Dritte noch die Vierte Republik kannten. Obgleich es immer hieß, die Angriffe seien nur gegen die Person Giscard d’Estaings gerichtet und hätten mit den Institutionen an sich nichts zu tun, war doch klar, daß mit diesen Spannungen auch eine Schwächung der allgemeinen Position des Präsidenten einherging.

Der Selbstmord des profilierten Politikers Boulin hat nun den Franzosen diesen Konflikt an der Spitze des Staates bewußt gemacht. Der tote Arbeitsminister hatte in seinen Abschiedsbriefen auf das tiefste bedauert, daß ihn seine politischen Freunde - Boulin war ein Spitzenfunktionär des RPR - fallengelassen hätten. Denn sie hätten seinen Beteuerungen nicht glauben wollen, daß er in Zusammenhang mit der nebulösen Affäre um einen Grundstückskauf ungerechtfertigt in Zusammenhang gebracht worden sei.

Aus den unzähligen Verlautbarungen und Erklärungen geht hervor, daß die Angriffe gegen den Arbeitsminister von der Parteiführung des RPR’s selbst nicht angestiftet worden waren. Dennoch wurde immer wieder behauptet; die Presse sei in erster Linie aus der gaullistischen Partei nahestehenden Quellen versorgt worden.

Trotzdem ist es nicht klar, wer jene Leute nun wirklich sind, die Minister Boulin mit Hilfe der Massenmedien in den Selbstmord getrieben haben.

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