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Bis auf weiteres ohne Parteieinfluß

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Als der Generalsekretär des Elysée am 30. März den versammelten Journalisten die Liste der neugebildeten Regierung Barre vorlas, vermochten diese Experten der Innenpolitik daraus sofort entsprechende Schlüsse zu ziehen. Wegen des Verschwindens sogenannter „politischer Minister“ wurde das neue Kabinett alsbald als ein Aeropag parteiungebundener Fachleute eingestuft. Von offizieller Seite wurde, entgegen der Tradition, den Namen der neuen Minister keine Parteietikette hinzugefügt. Der Staatspräsident hatte eine Regierung gebildet, die sich voll und ganz mit seinen Zielen identifizierte. Wie die Pariser Morgenzeitung „Le Figaro“ dazu jedoch bemerkte, zeichnet sich das Kabinett Barre II eher durch die Abwesenheit der drei Staatsminister Ponia- towski, Guichard und Lecanuet aus als durch die Ernennung dieser oder jener bisher eher unbekannten Persönlichkeit. Es handelt sich in Wirklichkeit um eine Regierung, die jenseits der Parteienstreitigkeiten, Intrigen und Machtansprüche die Legislativwahlen des Jahres 1978 vorbereiten soll. Damit kehrt Giscard d’Estaing zu den Quellen der 5. Republik zurück. Schon der Gründer des Regimes - General de Gaulle - hatte zahlreiche Barrieren errichtet, um die Parteien, wie immer sie heißen mochten, von den eigentlichen Regierungsgeschäften femzuhalten. Sogar jene Gruppe, die sich selbst als „gaullistisch“ bezeich- nete, fand wenig Gnade in den Augen des ungekrönten Königs,

Aber nach wie vor ist die Gaullistische Partei infolge ihrer beachtenswerten Organisation ein ausschlaggebender Faktor innerhalb der Majorität. Nur muß daraufhingewiesen werden, daß die Gaullisten - jetzt also das RPR - von einer schweren Vertrauenskrise gegenüber der Staatsführung erschüttert ist. Gab es noch vor einem halben Jahr starke Spannungen innerhalb dieser Partei, so ist es dem neuen Vorsitzenden und jetzigen Bürgermeister von Paris - Jacques Chirac - gelungen, ein Instrument zu schmieden, das die Entscheidungen des Staatsoberhauptes beeinflussen wird.

Alle Versuche, besonders vom früheren Innenminister Poniatowski inspiriert, ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Parteien der Majorität herzustellen, sind gescheitert. Der Berater und starke Mann vieler Kabinette seit 1974 - Poniatowski - macht sich gegenwärtig Gedanken, wie er seiner Partei, den Unabhängigen Republikanern, einen vergrößerten Spielraum verschaffen könnte. Denn immer noch sind die Unabhängigen Republikaner eine Versammlung von Notabein und können nicht mit den Strukturen einer modernen Partei aufwarten, wie dies beim RPR oder bei den Kommunisten der Fall ist.

Beobachtet man die verschiedenen Zentrumsparteien, so muß man sich mit Jean Lecanuet die Frage stellen, welche Ansatzpunkte zu einer Union aller dieser oft mehr oder weniger unbedeutenden Parteien des Zentrums denn überhaupt vorhanden sind. Eine große Zahl von Wählern, die bisher in der Mitte angesiedelt waren, hat diese

Parteien verlassen. Etwas überspitzt könnte man daher sagen, es handle sich um „Generalstäbe ohne Truppen“.

Niemand glaubt in Paris, daß eine als unpolitisch deklarierte Regierung ohne Unterstützung der Parteien auf. die Dauer existieren kann. Denn im Hintergrund stehen bereits die Kompanien und Divisionen der Linksparteien bereit, um die Gaullisten, Unabhängigen Republikaner und Zentrumsleute zu überrollen.

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