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Fürst im Sperrfeuer

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Auch der am politischen Geschehen Uninteressierte ist mit einem Bück auf die Zeitungskioske darüber informiert, welche nationalen oder internationalen Probleme zur Diskussion stehen. Die bunten Titelblätter der drei wichtigsten Nachrichtenmagazine, „I'Express“', „Le Nouvel Observateur“ und „Le Point“, die verschiedene politische Standpunkte vertreten — „I'Express“ ist die Hausgazette Servan-Schreibers und gegenwärtig eher regierungsfreundlich; der „Observateur“ steht Mitterrand und der sozialistischen Partei nahe; ^,Le Point“ repräsentiert eine gemäßigte Rechte — beschäftigen sich jede Woche mit dem gleichen Zentralthema. - Die Ausgaben vom 15. September zeigen die Photographie des Staats- und Innenministers Michel Poniatowski, der seit Sommeranfang im Kreuzfeuer heftiger Kritik steht. Die linke Union verurteilt den starken Mann des Regimes immer öfter und verlangt seine Demission. Aber auch sogenannte politische Freunde verfehlen es nicht, die Mißerfolge des Ministers zu analysieren und sprechen diskret von einer Ungnade, in die er beim Präsii-denten gefallen sei. Auf der anderen Seite beweisen demoskopische Umfragen, daß 40 Prozent der Bevölkerung die bisherigen Methoden Ponia-towskis gutheißen und in ihm den Garanten für die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit sehen.

Fürst Michel Poniatowski erhielt nach 20j ähriger Tätigkeit als hoher Funktionär des Finanzministeriums 1973 erstmals ein Ministeramt. Er verwaltete das Gesundheitsressort, ^wodurch Frankreich auf einen Politiker aufmerksam wurde, dem man alle Qualitäten eines Staatsmannes .zubilligte. Auch General de Gaulle 'mußte eingestehen, daß Poniatowski bedeutende politische Fähigkeiten besitze. Unvergessen bleibt das Urteil des Begründers der V. Republik, Poniatkowski sei der einzige Elefant, der einen Porzellanladen betreten könne, ohne etwas zu zerbrechen. Man war sich bewußt, . daß die scheinbar unüberlegten Äußerungen Poniatowskis wohl überlegt waren und Sich ,in seine Pläne zur Eroberung der Macht durchaus einfügen ließen. Er dient Giscard d'Estaing in anerkannter Treue und hat wesentlich dazu beigetragen, ihm die Wege zu ebnen.. Vielfach wurde angedeutet, Poniatowski spreche aus, was Giscard. d'Estaing denke. Als der bisherige Finanzminister 1974 das höchste Amt im Staate erhielt, tauchte sofort die Frage auf, welche Position sein Meritor einnehmen werde. Da das Amt des Ministerpräsidenten einem Gaullisten gebührte — die gaullistische Sammelpartei

UDR war weiterhin die zahlenmäßig stärkste Fraktion der Majorität —, blieben nur das Außen- und das Innenministerium zur Auswahl. Um die Gaullisten nicht zu beunruhigen, die mit Sorge jede Abweichung von ihrem Konzept auf dem Sektor der Außenpolitik beobachten, wählte Poniatowski das Innenministerium. Die Prärogativen des Inneren wurden zugunsten des neuen Inhabers ausgebaut. So wurde Poniatowski nicht nur Chef sämtlicher Polizeieinheiten und verschiedener Geheimdienste, sondern auch mit der nationalen Raumordnung und der Überwachung der Finanzen von Städten und Dörfern betraut. Dadurch erhielt die Graue Eminenz, außer der Kontrolle über die innere Sicherheit des Staates, die Kontrolle aller Kredite, die den lokalen Kollektivitäten zustehen. Es handelt sich dabei um eine wirkungsvolle Waffe; so mancher Bürgermeister oder regionale Abgeordnete fühlt sich dem Innenminister verpflichtet, wenn dieser seine Projekte fördert und finanziert. Schließlich wurde Poniatowski auch ein gewisses Recht zugesprochen, in der Außenpolitik Frankreichs mitzumischen. Er bereitete die offiziellen Besuche Giscard d'Estaings in Algerien und Polen vor und trat als Sonderbotschafter der V. Republik in Kanada auf. Michel Poniatowski glaubte seine politischen Ambitionen weiterhin verfolgen zu können, ohne dabei die eigentlichen Aufgaben als Innenminister zu vernachlässigen. Er hoffte, mindestens ein Viertel seiner Zeit der Neustrukturierung der Mehrheit widmen zu können. Mehr als einmal gab er offen zu, er wolle die gaullistische Partei verkleinern, die Zahl ihrer Abgeordneten im Parlament verringern/ und als Gegengewicht eine liberal-konservative Partei schaffen, die bedingungslos dem Staatspräsidenten zur Verfügung stehe. Er erwartete ein Abbröckeln des rechten Flügels der Opposition. Zumindest in dieser Hinsicht dürfte er klug gerechnet haben, denn die linken Radikalsozialisten fühlen sich durch die Aktionen der beiden mächtigen Partner, Sozialisten und Kommunisten, in ihrer Substanz bedroht. Nachdem sich bereits der Vizepräsident der linken Radikalsozialisten selbständig gemacht hat, hofft nun der Obmann Robert Fabre, vom Staatspräsidenten empfangen zu wer-werden. Es treten Risse in der Linken Union dadurch auf, daß die Kommunisten bisher jeden Dialog mit dem Regime abgelehnt haben. Auf der anderen Seite gelang es Poniatowski nicht, die bestehenden Mittelparteien zu einigen und das Gegengewicht zur UDR zu schaffen. Überraschenderweise vermochte Ministerpräsident Chirac in den wenigen Monaten seiner Amtszeit als Generalsekretär, die UDR zu beleben, so daß sie weiterhin ein wichtiger Faktor der Majorität ist. Häufig wurden Meldungen verbreitet, denen zufolge das Zentrum seine Einheit gefunden habe. Aber die drei Parteien der Mitte sind so individualistisch, daß sie nicht in der Lage sind, ihre persönlichen und sachlichen Differenzen beiseite zu schieben; so gibt es derzeit eine Mitte rechts, eine Mitte links und eine mittlere Mitte. Die Grenzen verschwinden oft für einen Tag, um am kommenden Morgen erneut aufzutauchen. Darum ist Giscard d'Estaing weiterhin auf die absolute Ergebenheit der UDR angewiesen und hat zahlreichen Empfehlungen von seifen dieser Partei nachzukommen.

Innenminister Poniatowski wurde bereits kurz nach Übernahme der Geschäfte mit einer Welle von kriminellen Attentaten konfrontiert und mußte sich mit den Forderungen zahlreicher Autonomiebewegungen, auf Korsika und in der Bretagne, auseinandersetzen. Es kann also keine Rede davon sein, daß er den laufenden Geschäften weniger Zeit widmen müßte. Oft bleibt er 16 Stunden in seinem Ministerium, und eine Raumpflegerin überraschte ihn kürzlich am frühen Morgen auf seinem Diwan. Das Verbrechertum ist in Frankreich zu einem Großangriff angetreten und die Unsicherheit nimmt gefährliche Dimensionen an. Die neuen Formen der Kriminalität wurden von den Sicherheitsbeamten nicht richtig analysiert, und die beliebte Methode der Verbrecher, Geiseln zu nehmen, stellt den obersten Chef der Polizei vor immer neue Probleme. Poniatowski versuchte, durch den Einsatz von Spezialkom-mandos, der Lage Herr zu werden. In den letzten Monaten verzeichnete die Polizei eine Reihe von schweren

Mißerfolgen, die nun Michel Poniatowski zur Last gelegt werden. Die Männer der Spezialkommandos waren teilweise zu wenig ausgebildet, die Befehle, die sie erhielten, zu unklar formuliert. Mehrere unschuldige Bürger wurden von Polizisten getötet. Auch der politische Terrorismus konnte nicht unter Kontrolle gebracht werden; weiterhin wird nach dem legendären Attentäter „Carlos“ gefahndet.

Ein zusätzlich gefährliches Element ist seit einiger Zeit innerhalb der Polizei zu vermelden. Die Beamten, die durch rund 40 verschiedene Gewerkschaftsorganisationen repräsentiert werden, treten mit massiven Forderungen auf. Der Innenminister muß viele Stunden darauf verwenden, mit den Abgesandten der Polizeigewerkschaften zu diskutieren und ihren Vorschlägen Gehör zu schenken. Seine Untergebenen verlangen nicht nur materielle Verbesserungen, sie erwarten auch eine Definierung ihrer Aufgaben in Staat und Gesellschaft. Sie wollen nicht mehr einem bestimmten Regime dienen und ausschließlich dieses verteidigen, wie es Georges Pompidou und Marcellin projektiert hatten.

Hat Poniatowski wirklich das Vertrauen des Staatsoberhauptes verloren, wie es einige Kassandren wissen wollen? Opferte Giscard d'Estaing seinen loyalen Mitarbeiter, wäre dies ein Eingeständnis der eigenen Schwäche. Denn einer Sache ist man sich in Paris durchaus bewußt: die Attacken sind gegen Poniatowski gerichtet, aber gemeint ist Giscard d'Estaing! So darf angenommen werden, daß trotz der Spannungen, welche die Beziehungen der zwei Männer belasten, Poniatowski weiterhin seine Funktion ausüben und den starken Mann des Regimes spielen wird.

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