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Europapolitik mit einigen Vorbehalten

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Im Kampf um die Macht, der sich in Frankreich zwischen den Regierungsparteien und der Linken Union abspielt, wurden bisher nur wenige Argumente außenpolitischer Natur vorgebracht. Die Außenpolitik des Staates wird, seitdem General de Gaulle die V. Republik gegründet hat, als eine Domäne betrachtet, die ausschließlich vom Staatspräsidium persönlich inspiriert wird. Weder das Parlament, noch die politischen Parteien sind vorläufig in der Lage, internationale Probleme zur Unterstützung des Wahlkampfes heranzuziehen. Seit Giscard d’Estaing Präsident geworden ist, hat sich die Entwicklung zur Ein-Mann-Politik im internationalen Bereich verstärkt. Es wurde bereits zur Gewohnheit, Berufsdiplomaten als Außenminister mit der Aufgabe zu betrauen, die internationale Rolle des Staates nach den Weisungen Giscard d’Estaing zu orientieren.

Als Paris sich in den Ostertagen verpflichtet fühlte, der bedrängten Regierung des afrikanischen Staates Zaire zu Hilfe zu kommen, wurden jedoch Stimmen laut, die empfahlen, der Staatspräsident möge persönlich die Nation aufklären, welchen Platz Frankreich in Europa und der Welt einnehmen wolle. Nach den Osterfeiertagen fühlte sich der Staatspräsident denn auch tatsächlich veranlaßt, seine bisherigen und künftigen Aktionen auf internationaler Ebene öffentlich zu analysieren.

Giscard d’Estaing widmete dabei den europäischen Problemen nur verhältnismäßig kurze Worte und ging schnell dazu über, weltweite Perspektiven zu öffnen. Natürlich will Giscard , d’Estaing die Verpflichtung, die Frankreich in der Europa-Politik eingegangen ist, voll und ganz erfüllen. Dadurch gewinnt der Plan, ein Europäisches Parlament direkt, durch Volkswahl, zu konstituieren, besondere Bedeutung. Allerdings muß der Staatspräsident Rücksicht auf jene Kreise nehmen, die seit längerem einen Feldzug gegen dieses Projekt eingeleitet haben. Obwohl die italienische kommunistische Partei ebenfalls für eine Direktwahl des Europäischen Parlamentes eingetreten ist, folgen die französischen Kommunisten nicht dem Vorbild Berlinguers. Gerade das Gegenteil ist der Fall.

Wie schon in der IV. Republik, steigen auch jetzt zahlreiche Gaullisten auf die nationalen Barrikaden und wollen die von ihnen behauptete Gefahr abwehren, daß sich die vom Volk gewählte europäische Versammlung Befugnisse anmaße, von denen die nationale Souveränität bedroht werden könnte. Der frühere Ministerpräsident Debre hat vor kurzem eine Bewegung gegründet, deren ausschließliches Ziel es ist, eine solche Entwicklung zu torpedieren. Zahlreiche politische Beobachter weisen darauf hin, daß schon anläßlich der Diskussion um die Bildung einer Europäischen Armee in den fünfziger Jahren Gaullisten und Kommunisten stillschweigend einen Pakt geschlossen hätten, um diese Lieblingsidee der damals regierenden

Christlich Demokratischen Parteien in Frage zu stellen.

Der neue Bürgermeister von Paris, .Jacques Chirac, ist uneingeschränkter Meister seiner Partei (RPR) geworden. Chirac hat mehrfach zu verstehen gegeben, daß er die ersten europäischen Wahlen durchaus nicht verdammen wolle. Aber er muß natürlich mit dem harten Kern der Gaullisten rechnen und darum wird er sich von Giscard d’Estaing entsprechende Garantien geben lassen. Bisher ist noch ungeklärt, ob Giscard d’Estaing die Ratifizierung des Abkommens der europäischen Wahlen in diesem Jahr noch dem Parlament zuleiten wird. Andere europäische Initiativen sind im ge genwärtigen Klima kaum zu erwarten. Trotzdem hat der Staatspräsident versprochen, Frankreich werde im europäischen Zuge nicht das Schlußlicht bilden.

Mit Unruhe stellte schließlich Giscard d’Estaing fest, daß die Politik der Entspannung, wie sie bei der Konferenz von Helsinki kodifiziert worden ist, von einer Krise befallen sei. Paris will natürlich die Fäden, die zwischen der Seinemetropole und dem Kreml seit Jahren gesponnen werden, nicht zerreißen. Aber der Einsatz französischer Transportflugzeuge zwischen

Marokko und Zaire beweist deutlich, daß Frankreich nicht gewillt ist, einem Afrika Hilfe zu gewähren, das mehr und mehr zür östlichen Einflußsphäre wird. Das Eingreifen der französischen Luftwaffe in Afrika war eine symbolische Geste, die besagen sollte: bis hierher und nicht er.

Soweit es das französische Regierungslager betrifft, werden im allgemeinen Stimmen laut, die dem Staatschef bestätigen, daß er einen Akt gesetzt habe, für den es großen Mutes bedurfte. Ein mutiger Akt, der allerdings wenig Einfluß auf die französische Innenpolitik haben wird.

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