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Chirac im Vorstoß

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Wie jeder Politiker, der oft Reden und Ansprachen hält, verwendet auch Giscard d'Estaing Worte und Redewendungen, die immer wiederkehren. So etwa den Begriff „friedliche Gesellschaft“, die er in einem neoliberalen Geist aufgebaut sehen möchte. Leider sind die bisherigen Resultate seiner Amtsführung nicht so, daß er sich weiterhin auf die Gunst der Wähler so wie bisher verlassen kann.

Eine schwere Wirtschaftskrise erschüttert Frankreich. Als letztes Opfer gut die Stahlindustrie, die gezwungen ist, Entlassungen vorzunehmen und sogar modern eingerichtete Fabriken schließen muß. In Lothringen kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Ordnungshütern und empörten Arbeitern, die auf der Straße standen. Der Pariser Bürgermeister Jacques Chirac wirft der Regierung und den Industriellen vor, sie seien nicht bereit oder in der Lage, die Betriebsräte entsprechend zu informieren, neue Arbeitsplätze zu schaffen, Industrien in den Notstandsgebieten zu errichten.

Die Krise wurde aber bisher von den Gewerkschaften nicht ausgenützt, um die Regierung auf der Straße zu bekämpfen. Die Aktionen in Longwy und Denain wurden vielmehr von der Basis sowie von Kräften, die wahrscheinlich der extremen Linken zugeordnet werden können, ausgelöst. Die Opposition hat in diesen schweren Arbeitskonflikten ein Mittel erkannt, die Regierung Barre zwar nicht zu stürzen, aber ihr Un-glaubwürdigkeit vorzuwerfen.

Während also ein politischer Kleinkrieg, entfesselt durch die kommunistische Partei, begann, sahen sich natürlich auch die Sozialisten Mitterrands veranlaßt, ihr Markenzeichen als Partei der Arbeiter unter Beweis zu stellen. Aber auch die Gaullisten benützen die Gelegenheit, um zu beweisen, daß sie die Interessen aller Staatsbürger wahrnehmen. Als Trommler tritt der Bürgermeister von Paris Chirac auf, der, nach einem Autounfall schwer gehbehindert, seine Fraktion sowie die Partei RPR mobilisiert, um ebenfalls die Autorität des Staatschefs auf die Probe zu stellen. Er sagt Barre, meint aber natürlich Giscard d'Estaing.

Dieser ehrgeizige Politiker hat ein hohes Ziel vor Augen. Er möchte 1981 die Nachfolge Giscard d'Estaings antreten und braucht dazu die Stimmen all jener, die zwar nicht kommunistisch oder sozialistisch eingestellt sind, aber das Vertrauen zum Regime verloren haben. Untersucht man jedoch die gegenwärtige Position des Gaullistenchefs, so geht klar hervor, daß Chirac den Bogen in letzter Zeit etwas überspannt hat Umgeben von einigen grauen Eminenzen, die seinerzeit Berater des Staatschefs Pom-pidou waren, verlor er die unmittelbare Unterstützung der Altgaullisten oder, wie sie auch genannt werden, der „Barone“ dieser Bewegung. Unter anderem zählt zu dieser Gruppe der frühere Ministerpräsident Debre, der Parlamentspräsident Chaban-Delmas und der ruhigste von ihnen, der bereits mehrfach als Kandidat für die Nachfolge Barres genannt wurde, Olivier Guichard.

Chirac hebt es, De Gaulle zu kopieren und ist ebenfalls ein Mann einsamer Entschlüsse. Dank der Verteilung der Fraktionen im Parlament ist es ihm gelungen, mit Hilfe der beiden Linksparteien den Staatschef zu zwingen, eine Sondersitzung des Parlaments zu gestatten. Die Aktion fand keineswegs die Zustimmung aller seiner Weggefährten, da das Parlament ohnehin ab 2. April zu einer verfassungsmäßigen Sitzung einberufen war. Chirac wollte jedoch unter Beweis stellen, wie gut seine Partei sei, konstruktive Vorschläge zur Bewältigung der Sozial- und Wirtschaftskrise zu finden. Leider kam während dieser Debatten zeitweise die Würde des Parlaments abhanden und es kam zu Ausbrüchen, die nicht gerade eine Werbung für die pluralistische Demokratie darstellten.

Der Regierung Barre wurde so zwar „der Prozeß gemacht“, aber weder die Gaullisten noch die Linksparteien verstanden es, wirklich neue Pläne zu entwickeln, die als Alternative zu den Ideen des Ministerpräsidenten Verwendung finden können. Im Zentrum der Vorschläge steht der Wunsch, massive Investitionen in der französischen Industrie vorzunehmen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Auch wird bekanntlich mit dem Gedanken gespielt, ausländische Firmen, man denkt in erster Linie an Ford, zu bewegen, in den betroffenen Regionen Fabriken zu errichten, um der Bevölkerung Arbeitsmöglichkeiten zu bieten und nicht auf staatliche Lösungen zu warten.

Der Thronanwärter Chirac hat zwar alles recht gut eingefädelt, aber die Koalition zwischen dem RPR und den Kommunisten entspricht keineswegs der Auffassung einer Mehrheit der Gaullisten. Eine Reihe von Parlamentariern erklärte sich mit den Methoden Chiracs nicht einverstanden und einer der früheren Köpfe des RPR, der politische Berater der höchsten Parteiinstanz, Yves Guena, demissionierte sogar, da er nicht mehr in der Lage war, die Alleinentschlüsse Chiracs zu unterstützen.

Ohne Zweifel steht der RPR an einem Scheideweg. Will die Partei gleichzeitig in der Regierung und in der Oppostition arbeiten, wird es zu einem Bruch in der Organisation kommen und Jacques Chirac, der ebenfalls stark an Popularität verloren hat, wird das Ziel seiner Wünsche, der erste Mann im Staat zu sein, schwerlich erreichen.

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