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Von einem Erdbeben sprach "Le Figaro", gar von einer Erdumwälzung "Le Monde" und von einem Donnerschlag der glücklose Lionel Jospin. Die Rede ist von der ersten Runde der französischen Präsidentenwahl.

Ein Donnerschlag ja, aber nur für Ministerpräsident Jospin, dem der Wahlausgang das Ende seiner politischen Karriere bescherte. Doch von einer Umwälzung der politischen Landschaft in Frankreich kann nicht die Rede sein: Le Pen hat im Vergleich zu früheren Wahlen nur geringfügig zugelegt. Und in zehn Tagen wird einer der beiden ursprünglichen Favoriten, nämlich Jacques Chirac, das Rennen machen, wie erwartet.

Auch die Linke Frankreichs ist keineswegs unter die Räder gekommen. Ihre Kandidaten haben zusammen 40 Prozent der Stimmen eingefahren. Mit nur einigen Prozentpunkten mehr können sie im Juni sogar die Mehrheit bei den Wahlen zur neuen Nationalversammlung schaffen. Dann hätte Frankreich jene Konstellation wieder, der die Wähler vorigen Sonntag eigentlich eine deutliche Absage erteilt haben.

Bezogen auf die Stimmberechtigten kommen nämlich die Vertreter der jetzigen Cohabitation, Chirac und Jospin, nur auf magere 26 Prozent. Noch nie hat ein Präsident, der sich einer Wiederwahl gestellt hat, so schlecht abgeschnitten wie Chirac am Sonntag. Wenn das keine Abfuhr ist, was dann?

Chirac wird sie zwar überleben, aber angeschlagen: Die TV-Satire "Guignols de l'Info" - sie zieht seit Wochen die Kandidaten durch den Kakao - ließ den amtierenden Präsidenten als Gummifigur im Stil von "Superman" mit dem Spitznamen "Supermenteur" (Erzlügner) auftreten. Diese mediale Respektlosigkeit schadet zweifellos der Demokratie, die ohne Amtsautorität nicht auskommt. Chirac selbst hat jedoch viel zu deren Untergrabung beigetragen. "Le Pen à l'Elysée, Chirac à la Santé" (Santé - das große Pariser Gefängnis) reimten einige Anhänger des "Front National" am Sonntag und spielten auf Chiracs Zukunft im Falle einer Wahlniederlage an. Und die könnte "Santé" heißen, sollte sich der massive Korruptions-Verdacht erhärten.

Nur in den nächsten fünf Jahren wird man das nicht klären. Denn in zehn Tagen werden die Franzosen wohl oder übel "Supermenteur" mit der größten jemals in Lande erzielten Mehrheit zum Präsidenten wählen. Welche Autorität wird aber ein Präsident haben, von dem alle vermuten, allein die Wiederwahl erspare ihm den Auftritt vor Gericht?

Mangelnde Glaubwürdigkeit, Privilegien, Korruption ihrer Vertreter sind heute Grundprobleme der Demokratie, nicht nur in Frankreich. Daher kennzeichnen die Aussagen des Politologen Didier Hassoux in Libération nicht nur die Situation in diesem Land: "Die Franzosen lehnen nicht etwa die Politik an sich ab, wohl aber die angeschnittenen Themen, das Spektakel, das Verhalten und die Lebensführung der Politiker."

Ein weiterer Aspekt des Wahl-Unbehagens wird da angesprochen: die Themen des Wahlkampfs und sein Stil. Wieviel Show! Da schlüpfte etwa Jospin zu Beginn seiner Kampagne in die Rolle eines französischen Tony Blair. Im Visier die Mitte des Wählerpotenzials. Nur ja keine sozialistischen Parolen! Als ihm die linken Wähler davonschwammen Kurswechsel: Jospin Wortführer jener, "die viel arbeiten und wenig verdienen".

Besser beraten war Chirac, der sich auf das Thema Kriminalität setzte, ein Problem, das den Franzosen wirklich unter den Nägeln brennt. Tatsächlich sind hunderte Viertel in Trabantenstädten rechtlose Zonen, in die sich die Polizei nicht wagt. Dort herrschen Jugendbanden, die dank einer laschen Jugendgerichtsbarkeit fast straffrei agieren: Überfälle auf Polizei, Feuerwehr, Postbeamte stehen auf der Tagesordnung. Die Kriminalitäts-Zahlen für 2001 sprechen Bände: 135.000 Raubüberfälle (+ 22 Prozent), 9.547 Vergewaltigungen (+ 13 Prozent), eine sinkende Aufklärungsquote...

Nur muss sich Chirac, der auf der Sicherheitswelle reitet, die Frage gefallen lassen: Warum entdeckt er diese Missstände erst jetzt? Was er da beklagt, hat sich in den Jahren seiner Präsidentschaft entwickelt. Der Wähler registriert verärgert, dass hier Politik gemacht wird, die sich mehr von Umfrage-Ergebnissen und Verkaufsargumenten als von Überzeugungen leiten lässt.

Bezeichnend dafür, wie Politik gemacht wird, auch eine Aussage Jospins zu Beginn des Wahlkampfes: "Endlich kann ich sagen, was ich denke". Schluss mit den Höflichkeiten der Cohabitation. Dieser Sager mag zwar aufrichtig gewesen sein. Er lässt aber jeden halbwegs nachdenklichen Bürger an der Sinnhaftigkeit von Wahlen zweifeln. Wozu das Ganze, wenn allein Sachzwänge das Geschehen bestimmen?

Und damit ist wohl das tiefste Unbehagen an der Demokratie - nicht nur in Frankreich - angesprochen: Die großen Parteien bieten ein Einheitsprogramm. Sie verwalten den Fortschritt, der die letzten 50 Jahre geprägt hat: Wirtschaftswachstum, Effizienz, mehr internationale Konkurrenz, mehr Integration, Flexibilität und Mobilität der Arbeitskraft, mehr Technisierung, Globalisierung, rascher Wandel... Vor den Wahlen große Worte, Appelle an Traditionen, Versprechungen, nach den Wahlen aber Verwaltung der Sachzwänge, egal ob die Verantwortung in den Hände von Konservativen oder Sozialdemokraten liegt.

Einer wachsenden Zahl von Wählern ist diese Entwicklung unheimlich oder sie geht ihr zu schnell. Nur findet solches beim Establishment kein Gehör. Um dagegen zu protestieren, wählen dann eben viele Le Pen (17 Prozent), die Linksaußen Laguiller und Besancenot oder den Bauernvertreter Saint-Josse (zusammen 14 Prozent), die sich mit klaren Aussagen hervor getan haben. Stilisiert jetzt das Polit-Establishment den zweiten Wahlgang zum großen Kampf gegen den Rechtsextremismus hoch, so beweist es wieder einmal seine Lernunfähigkeit.

Wenn Wählerunmut kein Umdenken in der Politik auslöst, weil die Mächtigen ohnedies dort weitermachen, wo sie aufgehört haben, werden sich die Bürger - in Frankreich waren es diesmal beachtliche elf Millionen - noch zahlreicher von den Wahlen absentieren.

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