Wie ein Vulkanausbruch

Werbung
Werbung
Werbung

Das Handelsblatt sieht große Gefahren für die französische Innenpolitik, die aus der Verhaftung von Dominique Strauss-Kahn entstehen.

Dominique Strauss-Kahns Verhaftung in New York und die Straftaten, die man ihm vorwirft, haben Frankreich politisch erschüttert. Ob er schuldig ist oder nicht, ist noch völlig offen, DSK konnte sich bislang vor Gericht noch nicht einmal in der Sache verteidigen. Man sieht aber, dass die Unschuldsvermutung, die ihm eigentlich zugute kommen müsste, keine Rolle spielt, im Gegenteil: Es gibt eine regelrechte Schuldvermutung.

Die amerikanische Justiz folgt einem anderen Rhythmus als das politische Leben Frankreichs, und nur sie diktiert den Zeitplan. DSK erwartet ein langer, zermürbender Fortsetzungsroman, bei dem er, wenn er sich für unschuldig erklärt, Wort für Wort die Anklage und jeden Beweis widerlegen muss, unter dem erbarmungslosen Blick der Medien. Auf der anderen Seite hatte die Sozialistische Partei in Frankreich entschieden, Primärwahlen abzuhalten. Die eigenen Mitglieder und Sympathisanten sollen den Kandidaten bestimmen, der nächstes Jahr den amtierenden Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy herausfordern wird. Wie auch immer die juristische Schlacht ausgehen mag - DSK, der die politische Mitte anzog, ist aus dem Spiel.

Ein Vorteil für Sarkozy?

Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen ist der erste Reflex: Diese Affäre kommt Nicolas Sarkozy zupass. Erstens sorgt sie auf der Linken für tiefe Verwirrung und kann die Ansichten der französischen Wähler erschüttern. Und zweitens hatte Dominique Strauss-Kahn bislang aufgrund der Umfragen den Ruf, der schwierigste denkbare Gegner für Nicolas Sarkozy zu sein. Bei den Umfragen über den zweiten, entscheidenden Wahlgang lag er weit vor dem amtierenden Präsidenten. Vor allem aber war er der einzige Kandidat, der sich mit ziemlicher Sicherheit im ersten Wahlgang für die Teilnahme an der Stichwahl qualifiziert hätte. Das aktuelle Meinungsbild zeigt die Kandidatin der extremen Rechten, Marine Le Pen, an zweiter Position. Hätten die Franzosen vergangene Woche gewählt, wäre DSK der Sieger gewesen, vor Marine Le Pen. Nicolas Sarkozy wäre als Dritter ausgeschieden. Die übrigen sozialistischen Kandidaten dagegen kommen mit Blick auf den ersten Wahlgang nur auf ähnliche Werte wie Nicolas Sarkozy oder Marine Le Pen, also 22 bis 23 Prozent. Das bedeutet eine völlige Unsicherheit über den Wahlausgang.

Steigende Ungewissheiten

Der erzwungene Rückzug von Dominique Strauss-Kahn steigert diese Ungewissheit. Bei den Sozialisten wird vermutlich Martine Aubry, die Vorsitzende der Parti Socialiste, gegen ihren Vorgänger François Hollande antreten. Der steht ideologisch zwar DSK am nächsten, doch versuchen zahlreiche sozialistische Spitzenpolitiker, seine Kandidatur zu verhindern. Martine Aubry, Ségolène Royal, die gegen Sarkozy verlor, der frühere Premier Laurent Fabius und Ex-Kulturminister Jack Lang sind seine Feinde. In der französischen Öffentlichkeit aber wird Hollande, der ein Ziehsohn von Jacques Delors und dem Ex-Premier Lionel Jospin ist, immer populärer. Wenn die Sozialistische Partei ihn unsanft ausbremst, wirkt sie wie ein völlig zerstrittener Haufen. Die Vorwahlen waren schon an sich schwierig zu gestalten. Mit dem Ausscheiden von Dominique Strauss-Kahn werden sie noch wesentlich riskanter.

Was am Wochenende geschehen ist, wirkt wie ein Vulkanausbruch. Es werden sich noch viele Lavaströme über das Land ergießen, bevor die Umgebung wieder eine feste Form annimmt und uns erlaubt, die neuen Kräfteverhältnisse zu bestimmen. Frankreich ist in eine Zone hoher politischer Risiken eingetreten.

* Aus Handelsblatt, 18. Mai 2011

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung