6862976-1977_44_06.jpg
Digital In Arbeit

„Rette sich wer kann” im Zeichen des Kompromisses

Werbung
Werbung
Werbung

In Untemehmerkreisen ist es eine Binsenweisheit, daß die Wirtschaft die Instabilität politischer Verhältnisse am schlechtesten verträgt. Wenn man heute nicht weiß, wer morgen regieren wird und wer morgen die Staatsverwaltung innehat; hört alles Pläneschmieden, von dem die Wirtschaft lebt, auf. Eines der größten Mißverständnisse linkslastiger Politiker und Journalisten besteht darin, daß sie glauben, die Industriekapitäne und Bankleute der westlichen Welt hegten ureigene Sympathien für rechtstotalitäre Regime. Dabei schätzen die Unternehmer lediglich die politische Stabilität, die solche Regime bieten, im Gegensatz zu manchen westlichen Demokratien, denen Kabinette vorstehen, die nicht mehr regieren, sondern nur noch reagieren können.

Die auch in Italien nicht an Politik, nur an Produktion interessierten Unternehmer versuchten seit der Mitte der sechziger Jahre in steigendem Maße die immer mächtiger werdenden Kommunisten günstig zu stimmen. Wie viele Banknoten den Gewerkschaftsführern auf die Hand und der KPI in die Parteikasse gelegt wurden, vermag niemand genau zu sagen. Zweifellos hat sich aber mancher Betriebschef den Arbeitsfrieden mit einem dicken Briefumschlag erkauft. Viele Angehörige der höheren Schichten sind überzeugt, daß eine kommunistische Machtergreifung ihnen nichts anhaben könne, wie sie sich ja auch elegant aus dem liberalen und dem faschistischen ins christdemokratische Italien hinübergerettet haben.

Seit dem Ausgang der Parlamentswahlen vom 20. Juni 1976 ist diese Tugend des Überlebens im Lande der permanenten Krise ein Charakteristikum der ganzen Nation geworden. Wo keine parlamentarische Mehrheit mehr besteht, wo kein Block den anderen ausstechen kann, muß map - wenn man überleben will - mit der Gegenseite irgendwie handelseins werden. Mit seiltänzerischem Geschick hat Ministerpräsident Giulio Andreotti bisher alle Klippen einer möglichen Regierungskrise umschifft. Mehrmals wurde er in großer Not gerettet - von niemand anderem und niemand geringerem als der KPI.

Was niemand für möglich gehalten hätte, ist geschehen. Andreotti ist seit 15 Monaten am Ruder einer Regierung, die von einer Mehrheit von Parteien, die sich bei Vertrauensabstimmungen der Stimme enthalten, über Wasser gehalten wird. Und er macht Anstalten, bis zum Ende der Legislaturperiode im Palazzo Chigi auszuharren. Unter dem Druck der KPI lassen es die Gewerkschaften nur noch zu wenigen Streiks kommen, gerade so vielen, wie nötig sind, um das Gesicht nicht gänzlich zu verlieren. Terroristen und Verbrecher werden von den Kommunisten als leibhaftige Teufel hingestellt, die dem Ausbau der italienischen Demokratie, der Sicherung ihrer Institutionen und nicht zuletzt einer Genesung der Wirtschaft im Wege stehen.

Was unter Nixon und Ford geschehen konnte, ist mit Jimmy Carter im Weißen Haus bereits mehr als nur eine Möglichkeit: daß nämlich der amerikanische Präsident den historischen Kompromiß nicht mehr nach allen Seiten hin unterbindet, sondern soweit unterstützt, als dieser Schulter- ‘ Schluß zwischen DemocraziaCristiana und KPI seiner Meinung nach zur Stabilität Italiens und Europas beiträgt. Carter scheint im.Eurokommunismus nicht nur eine Gefahr für den Westen, sondern auch ein großes Risiko für den Osten zu sehen, der im Sog eines anderen Weges zum Kommunismus dem Kreml davonlaufen könnte … vorausgesetzt, daß derart die sozialen Gegensätze abgebaut, die wirtschaftliche Not gelindert und das Verhältnis unter den Bündnispartnern nicht auf eine allzu harte Probe gestellt wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung