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Rotes Schattenkabinett
Ugo La Malfa gehört nicht mehr als stellvertretender Ministerpräsident der italienischen Regierung an und seine republikanische Partei übt gegenüber Moros Mannschaft Stimmenthaltung. Dennoch ist der sizilianische Politiker, ungeachtet seiner 74 Jahre, tätiger denn je. Hinter dem Rücken der christdemokratischen Minderheitsregierung leitet er ein italienisches Gipfeltreffen nach dem anderen.
Während die Christdemokraten auf dem 13. Parteikongreß Zaccag-nini zu seinem eigenen Nachfolger wählten und dabei vergaßen, das Verhältnis zur KPI genau zu bestimmen, traf sich La Malfa mehrere Male mit dem KPI-Chef Enrico Ber-linguer. Gegenstand der Gespräche: Ausarbeitung geeigneter Maßnahmen zur Überwindung der Wirtschaftskrise. Das Nationalprodukt ist 1975 um 3,5 Prozent gesunken — ein Minusrekord seit Kriegsende. Die Zahl der Arbeitslosen hat sich um 250.000 auf 1,4 Millionen erhöht. Die Unterbeschäftigten machen 450.000 aus. Mehr als 400.000 Jugendliche suchen — vergeblich — eine Erstbeschäftigung. 345 Millionen Arbeitsstunden wurden •— ohne Gegenleistung — bezahlt. Ein schwacher Trost ist dabei, daß sich die Inflation von 27 auf 16 Prozent vermindert hat und daß sich Italien 1975 fast um 80 Prozent weniger verschuldet hat als 1974. 1976 wird mit weiteren Darlehen aus dem Ausland wahrscheinlich noch das Superkrisenjahr 1974 in den Schatten stellen.
La Malfa ist alles andere als ein verkappter Kommunist. Sein Vorschlag, alle Parteien, die zwischen 1943 und 1945 im Kampf gegen das faschistische Regime und die nationalsozialistischen Besatzungstruppen gestanden sind und 1974 dem Land die republikanische Verfassung
gegeben haben, sollten zusammenarbeiten, bezieht sich auf die jetzige schwere Krisensituation. Nur als Mittel zur Überwindung der dringlichsten Probleme sollte der Zusammenschluß der Parteien praktiziert werden. Getreu der Devise „Gemeinwohl geht vor Sonderinteressen“ mögen die demokratischen Parteien ihre Bedenken gegenüber der KPI beiseite schieben und, wie zwischen 1943 und 1945, im Comitato Nazio-nale per la Liberazione CNL, in einer gemeinsamen Aktion Italien vor den Faschisten und Imperialisten (lies: freie Marktwirtschaft und katholische Kirche) „retten“.
Gut informierte Kreise behaupten, daß nichts mehr von Bedeutung im Palazzo Chigi, dem Regierungsgebäude, beschlossen werde, ohne daß es, nach gemeinsamer Absprache zwischen Mini-Kompromiß-Expo-nenten und Enrico Berlinguer, auch den Segen der KPI gefunden habe. Selbst bei Dingen wie der Abtreibung, Erhöhung der Autobahngebühren und Benzinrationierung liege die Entscheidung weniger bei der offiziellen christdemokratischen Regierung als beim kommunistisch-republikanischen Schattenkabinett. Was Moro nicht tun darf, weil er sonst die christdemokratischen Wähler und den Vatikan verprellen würde, bereitet dem Führer der Republikanischen Partei keine allzu großen Sorgen.
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