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Roter Pontius Pilatus

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Jeden Sonntag feiern die italienischen Kommunisten in irgendeiner Stadt das Festival „dell'Unitä“, das Fest der Einheit, wo bei Jahrmarktbetrieb und Tärrf der Verbrüderung der Genossen gehuldigt wird. Am letzten Wochenende fand dieses Treffen der Linksextremen in Mailand statt und niemand geringerer als der KPI-Boß Berlinguer hielt die Festansprache. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens benützte die Gelegenheit, um sich von der sowjetischen Bedrohung des Geistes, gemeint: von der Verfolgung unorthodoxer Intellektueller, zu distanzieren.

Während des Jahres, in dem Andreotti mit seinen Zentrumsregierungen die Geschicke Italiens beeinflußte, stellten die italienischen Kommunisten eine Änderung ihrer Politik, von einer unerbittlichen zu einer andersartigen, neuen Form der Opposition, in Aussicht. Die KPI werde nicht mehr jeden Gesetzesentwurf der Exekutive bekämpfen, sondern sich je nach seiner Qualität (lies: Ubereinstimmung mit ihren eigenen Zielsetzungen) von Fall zu Fall entscheiden, ob sie ihm ihren gewichtigen Stimmenanhang im Parlament zugutekommen lassen werde. Nachdem Andreotti mit seinem Kabinett der ausgewogenen Mitte gestürzt wurde und Italien einmal mehr, wie zwischen 1962 und 1971, von einer Regierung des linken Zentrums gesteuert wird, sind die Kommunisten tatsächlich zu einer solchen neuen pragmatischen Opposition übergegangen und machen sich jetzt aus dem Munde Amendolas, eines wichtigen Mitgliedes ihres Direktoriums, sogar für eine Koalition auf Regierungsebene anheischig.

Zur Bekräftigung seines Koalitionsangebotes erklärte Amendola überdies, daß Rumors Kabinett nur mit kommunistischer Unterstützung stark genug sei, um seine Programmpunkte, allem voran die Antiinflationspolitik, zu verwirklichen. Dies war freilich ein unmißverständlicher Wink. Versuchen Christdemokraten, Sozialdemokraten, Republikaner und Linkssozialisten ohne Beihilfe der Kommunisten den Preisstopp durchzusetzen, so werden die maßgeblich unter kommunistischem Einfluß stehenden Gewerkschaften für einen Schiffbruch dieser und anderer Regierungsmaßnahmen sorgen. Berlinguers Opposition gegen die

Verfolgung gewisser Intellektueller durch den Kreml und Amendolas Koalitionsangebot werden von den gegenwärtigen Regierungsparteien als bequeme, aber unglaubwürdige These bezeichnet. Da in Italien sozusagen jeder, der „Köpfchen“ hat, links oder gar linksextrem eingestellt ist, sei Berlinguer nichts anderes übrig geblieben, als sich für die „russischen Kollegen“ einzusetzen.

Bei Amendolas Geste handelt es sich, nach Meinung des Führers der Sozialdemokraten, Orlandi, um ein unannehmbares Angebot. Im Grunde genommen habe die Sowjetunion den Stalinismus in der einen oder anderen Form niemals überwunden. Beachtlich ist die Reaktion der Linkssozialisten, die seit Jahr und Tag die Politik der KPI mit Samthandschuhen anfassen und nicht von ungefähr Sichel und Hammer über der aufgehenden sozialistischen Sonne in ihrem Parteibanner zur Schau stellen. „Was in Rußland mit den Schriftstellern und Künstlern geschieht, ist eine schwerwiegende Angelegenheit, gegenüber der man sich nicht wie Pontius Pilatus verhalten sollte“, erklärte der Linkssozialistenführer Mariotti in einer Parteiversammlung.

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