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Peppones hartere Söhne

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Giovanni Guareschi, Humorist, Journalist, Patriot und Anhänger des Hauses Savoyen, machte — was im Ausland kaum bemerkt wurde — mehrmals Bekanntschaft mit italienischen Gefängniszellen, weil er die seit Kriegsende in Italien institutionalisierte Korruption aufs Korn genommen und dabei nicht einmal das Staatsoberhaupt der Republik geschont hatte. Als er inhaftiert wurde, war Guareschi bereits Erfolgsautor. Seine Geschichten vom streitbaren Pfarrer Don Camillo und dem nicht minder streitbaren kommunistischen Dorfbürgermeister Pep-pone, unter dem Titel „Mondo piccolo“ in Buchform herausgegeben, waren inzwischen von Alfons Dalma ins Deutsche übersetzt worden und hatten, aus dem deutschen Sprachraum heraus, ihren Siegeszug über die ganze Welt angetreten.

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Giovanni Guareschi, Humorist, Journalist, Patriot und Anhänger des Hauses Savoyen, machte — was im Ausland kaum bemerkt wurde — mehrmals Bekanntschaft mit italienischen Gefängniszellen, weil er die seit Kriegsende in Italien institutionalisierte Korruption aufs Korn genommen und dabei nicht einmal das Staatsoberhaupt der Republik geschont hatte. Als er inhaftiert wurde, war Guareschi bereits Erfolgsautor. Seine Geschichten vom streitbaren Pfarrer Don Camillo und dem nicht minder streitbaren kommunistischen Dorfbürgermeister Pep-pone, unter dem Titel „Mondo piccolo“ in Buchform herausgegeben, waren inzwischen von Alfons Dalma ins Deutsche übersetzt worden und hatten, aus dem deutschen Sprachraum heraus, ihren Siegeszug über die ganze Welt angetreten.

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Die Franzosen verfilmten einige dieser Geschichten mit dem unvergeßlichen Fernandel in der Rolle des temperamentvollen Pfarrers, der damals fast immer die Oberhand behielt, während Peppone (im Film der großartige Gino Cervi) den kürzeren zog. Denn Peppone war noch, wie Don Camillo, von einer savoyisch-patriotischen Lehrerin im Geiste des etablierten Risorgimento erzogen worden, und er war zwar Atheist, aber eben katholischer Atheist, weil Italiener zu jener Zeit, von ein paar Intellektuellen abgesehen, gar nicht anders denken und handeln konnten als katholisch.

Seit Guareschis Tod hat die Szene sich grundlegend gewandelt Peppones härtere Söhne schikanieren in den Dörfern der Emilia-Romagna, im „mondo piccolo“, einen altgewordenen, bis in Glaubensfragen hinein verunsicherten Don Camillo, der sich einem jungen, womöglich bereits marxistisch indoktrinierten Kaplan gegenüber ebensowenig zu helfen weiß wie der ganzen feindselig oder korrupt gewordenen Umwelt gegenüber. In einem redaktionellen Artikel nahm der „Osserva-tore Romano“, die vatikanische Tageszeitung, £im 13. Mai zu den Aktionen der KPI gegenüber den Pfarren Stellung, zu Aktionen „an der Basis“ also, die sich sehr wesentlich von den einladenden Gesten unterscheiden, mit denen auf oberster politischer Ebene der KP-Parteichef, Marchese Berlinguer, die vatikanischen Zentralstellen zu bedenken pflegt. Eingangs bezieht sich der „Osservatore“ auf einen Hirtenbrief des Bischofs von Gubbio, Monsi-gnore Pagani, in welchem dieser kürzlich feststellte, man müsse, um den totalitären Machtanspruch des Kommunismus zu studieren, gar nicht erst in die Länder Osteuropas, Asiens und Afrikas fahren; es genüge vollauf, die Situation in jenen Regionen Italiens kennenzulernen, in denen die Kommunisten heute, nach dem Erringen der Mehrheit auf demokratischem Wege, an den Hebeln der Verwaltung und des öffentlichen Lebens sitzen. Mit der Bemerkung, der Hirtenbrief aus Gubbio habe nicht nur in Italien, sondern auch im Ausland großes Aufsehen erregt, wird allerdings auf recht naive Weise das Neuartige an der bischöflichen Erkenntnis von der vatikanischen Redaktion überschätzt, die dann wörtlich fortfährt: „In der Emilia-Romagna, in Tos-cana, Umbrien und in Piemont, überall also, wo die KPI an die Macht gelangt ist, führt die unverhüllte Absicht der herrschenden Mehrheit, die vom örtlichen Klerus und von privaten katholischen Gruppen geschaffenen karitativen Einrichtungen, die Biidungs- und Erholungszentren abzuwürgen, zu kaum noch erträglichen Spannungen. Die KPI baut ihre Hegemonie über Heime, Schulen, Ambulatorien und Kindergärten systematisch aus, gliedert sie in die örtliche Verwaltung ein und durchsetzt sie, sobald dies gelungen ist, mit marxistischer Doktrin und marxistischer Praxis. Bezeichnend ist dabei, daß die Bischöfe der Emilia und der Toscana, später auch Umbriens, zwar schon mehrmals ihre Stimme gegen diese Vorgänge erhoben und versucht haben, mit den regionalen Macht-habern ins Gespräch zu kommen, daß sie protestiert und Vorschläge unterbreitet haben, daß diese Vorstöße der kirchlichen Stellen aber bislang immer noch ins Leere gegangen sind. Innerkirohliche Verwirrung und Ratlosigkeit kamen dabei der kommunistischen Strategie zu Hilfe.“

Der „Osservatore“ zitiert in diesem Zusammenhang die Erklärung der italienischen Bischofskonferenz vom Dezember 1975, man könne nicht zugleich Katholik und Marxist sein, und schildert den Verlauf einer Studientagung katholischer Hochschulabsolventen, die am 9. Mai 1976 in Castelnuovo Fogliani bei Piacenza stattfand, einer Tagung, auf der, entgegen den ursprünglichen Absichten, die Unvereinbarkeit von Christentum und Marxismus zum wesentlichsten Punkt der Tagesordnung wurde. „Es handelt sich“, führte dabei Monsignore Enrico Manfredini, Bischof von Piacenza, des näheren aus, „um einen Würgegriff, der uns den Atem nimmt.“ Die Behörden bedienten sich zur Erreichung ihrer Ziele virtuos der demokratischen Spielregeln. Sie wendeten niemals offene Gewalt an, sie beeinflußten lediglich die freie Meinungsbildung durch Unterwanderung und Übernahme aller sozialen Institutionen. Auf diese Weise werde die bereits erreichte politische Hegemonie allmählich zur kulturellen, zur Herrschaft über die Gemüter und über die Seelen. „Nicht von ungefähr“, fuhr Monsignore Manfredini fort, „wendet sich das Angebot eines ^historischen Kompromisses' weniger an die Democrazia Cristiana als an die Kirche, denn die Kirche allein ist es, die imstande wäre, eine geistige Alternative zum Kommunismus anzubieten. So versucht man einerseits die kirchliche Einheit zu sprengen und eine Spaltung zwischen „Progressiven“ und angeblichen „Reaktionären“ herbeizuführen. Man bringt die Familie in Mißkredit und nimmt mehr und mehr den Eltern das Recht, auf die Erziehung ihrer Kinder Einfluß zu nehmen. Private Institutionen erhalten keine Zuschüsse mehr, geistliches Personal wird unter fadenscheinigen Vorwänden aus Schulen und Spitälern entfernt. Am alarmierendsten ist in diesem Zusammenhang eine Reorganisation der untersten Schulstufe mit dem Ziel der totalen Revolutionierung aller herkömmlichen pädagogischen Leitbilder. Die Kinder sollen, diesem Plan zufolge, so frühzeitig marxistisch indoktriniert werden, daß ihnen später die Ausbildung kritischer Urteilsfähigkeit gegenüber den Erscheinungen des öffentlichen und privaten Lebens nicht mehr möglich ist. Die Schule wird zum Instrument politischer Aktion und Agitation. Die Ausbildung und Reifung einer wie immer gearteten Religiosität wird mit allen Mitteln unterbunden. Volksschullehrerinnen sprechen nicht mehr von „Weihnachten“ oder von „Ostern“, sondern vom „Fest des Schnees“ und vom „Fest der Blumen“. Die Straße zum Monopol der einen, der kommunistischen Partei, ist frei.

Diesem Vormarsch der Kommunisten steht, speziell in der Emilia, der kulturelle Rückzug der Katholiken gegenüber, deren Aktivität sich im Vollzug liturgischer Formeln erschöpft und deren geistiges Rüstzeug sich dem historischen Augenblick nicht im geringsten als gewachsen erweist. Gibt es noch eine Möglichkeit, der scheintoten christlichen Kultur in der Emilia zu neuem Leben zu verhelfen? Monsignore Manfredini meinte, die Konzilsdokumente wiesen hiezu den Weg. Sie vermöchten das verlorengegangene Selbstbewußtsein und den schlafenden missionarischen Eifer der Gläubigen wieder zu wecken. Professor Campagnini, ein Soziologe, der nach dem Bischof zu Worte kam, versuchte demgegenüber eine Antwort auf Grund der realen Gegebenheiten: „Die Emilia-Romagna ist immer noch eine vorwiegend agrarische Region mit einem noch unerschütterten patriarchalischen Familienmodell, wogegen es dem Marxismus, wahrscheinlich infolge seiner evidenten Widersprüche zwischen Theorie und Praxis, nicht gelungen ist, ein Familienmodell nach eigenem Bild und Gleichnis zu schaffen. Außerhalb der Familie, auf dem Felde der sozialen Institutionen und des Schulwesens, ist die Situation hingegen wahrhaftig katastrophal. Alle Initiativen der Bischöfe schlugen hier fehl.“

„Die Schuld, die uns selbst trifft“, schließt der „Osservatore“, „ist allerdings keine geringe. Monsignore Manfredini zitierte das Wort Kardinal Colombos von der .Abrüstungsmentalität', die nun schon seit zwei Jahrzehnten im katholischen Lager herrsche.“

Soweit das vatikanische Blatt. Italiener tun sich bekanntlich schwer mit Fremdsprachen. Dies hat zur Folge, daß für sie das Eindringen in die Mentalität fremder Völker, vor allem östlicher, mit den gleichen Schwierigkeiten verbunden ist, denen sich Norddeutsche in parallelen Fällen gegenübersehen. Was einen Kardinal Mindszenty bewegte, verstand man in Rom nur mit Mühe, wahrscheinlich bis zum heutigen Tag immer noch nicht ganz. Was dem gealterten und hilflosen Don Camillo hingegen von Peppones härteren Söhnen im „mondo piccolo“ der Emilia-Romagna widerfährt, das versteht man. Die Folgen dieses Verständnisses könnten sich mit der Zeit und unter Umständen weltweit auswirken.

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