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Kein Staatsatheismus mehr?

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Die Weltöffentlichkeit hat mit einigem Erstaunen die Beschlüsse des Parteitages der Kommunistischen Partei Italiens zur Kenntnis genommen, mit denen sie sich gegen jeden „Staateatheismus” wandte, der den Bürgern eine religiöse Weltanschauung aufzuzwingen versucht. Der Staat solle Sich vielmehr freihalten von jeder Begünstigung’ einer Konfession oder einer gegen die Religion gerichteten Bewegung. Diese Haltung der Partei, so erklärte der Parteivorsitzende Longo, wenn auch nicht ohne Widerspruch aus den Reihen der Genossen, sei erst möglich geworden durch das von Papst Johannes XXIII. einberufene Konzil und dessen Erklärung über die Religionsfreiheit. So sei der Weg frei geworden zu einer Verständigung zwischen Kommunisten und Katholiken, die zu einer Zusammenarbeit in sozialen Fragen führen könne.

Diese Entwicklung in der KPI kam jedoch nicht plötzlich. Schon der „Togliatti-Bericht”, der nach dem Tod des früheren Parteiführers veröffentlich wurde, läßt erkennen, daß die Partei den verzweifelten Versuch machte, aus dem weltanschaulichen Turm herauszukommen, in den sie sich wider Willen selbst eingeschlossen hatte. So viel erbitterter Antiklerikalismus es in Italien auch bis auf den heutigen Tag geben maig (an dessen Entstehung die Kirche nicht unschuldig war), so hat doch jeder normaler Italiener zuviel angeborene Religiosität in sich, als daß er innere Beziehungen zu einem eiskalten theoretischen Atheismus haben könnte. Jesus Ohristus, die Madonna und die Heiligen stehen zu hoch über jeder Diskussion, als daß mit einer Gottlosenpropaganda große Gewinne zu machen wären. Aus dieser Situation heraus ist die Haßliebe zwischen „Don Camillo und Peppone” zu erklären, die den Kommunismus zwar allzu rasch verharmlost, die abör doch typisch für Italien ist. Dazu kam, daß die einzigartige Gqstalt Johannes XXIII- auch dem Antiklerikalismus weiter Kreise einen Stoß gegeben hat. Gegen eine solche Kirche der Armen und der Kleinen, wie sie dieser Papst repräsentierte, kann selbst ein eingefleischter Kommunist keinen Protest erheben. Man muß dazu in Betracht ziehen, daß in dem laizistischen Liberalismus der italienischen Intellektuellen der antikirchliche Geist weit stärker verbreitet ist als in den breiten Massen, auf die sich der Kommunismus stützt. Der kleine Mann will eine Verbesserung seiner Lebensverhältnisse. Weltanschauliche Überlegungen liegen ihm fern. Gegen die Kirche ist er eingestellt, weil er der Meinung ist, sie mische sich in die Politik ein, weil sie mit den Reichen und Mächtigen verbündet sei. Wo ihm aber die Kirche ein mütterliches Antlitz voll Barmherzigkeit und Liebe zuwendet, da sind seine antiklerikalen Affekte rasch verflogen.

Verschobene Gewichte

Das Konzil hat zudem die Gewichte auf der italienischen Bühne verschoben. Nicht umsonst kamen gerade aus den Reihen des italienischen Episkopats große Bedenken gegen das Bekenntnis zur Religionsfreiheit. Nicht, als ob man gegen eine tatsächlich bereite geübte Toleranz Einwände erheben wollte, sondern weil man immer noch von den Vorstellungen eines katholischen Staates ausging und glaubte, auf Privilegien einer Staatereligion nicht verzichten zu können. Nun erhebt die Kommunistische Partei gegen eine solche Stellung der Kirche keinen Protest, denn mit ihren Stimmen sind die Lateranverträge zu einem Bestandteil der republikanischen italienischen Verfassung gemacht worden. Sie fordert aber Freiheit für Andersdenkende, und damit trifft sie sich mit den Beschlüssen des Konzils. Das Konzil hat ihren Angriffen gegen die Kirche den Boden entzogen. Sie versucht nun aus der neuen Situation die Konsequenz zu ziehen. Das scheint ihr um so leichter zu gelin¬gen, alls es in Italien gläubige Katho- liken gibt, die den Kommunismus links zu iiberholen suchen, um die schwierigen sozialen Probleme des Landes zu lösen. Alles das erscheint dem Ausländer reichlich verwirrend, aber man muß bedenken, daß der Italiener fiber eine andere Logik verfügt. Das versetzt dieses lie- benswiirdige Volk in die Lage, in der Praxis manche Probleme zu be- wältigen, über deren Lösung wir ret- tungslos stolpem wiirden, well wir sie immer zunächst votn den Grund- sätzen aus anzupacken versuchten.

Eine nüchterne Betrachtung der

Lage zwingt allerdings, auch die neuen, so wohlklingenden Beschlüsse des Parteikongresses mit einiger Skepsis zu betrachten. Es entspricht zwar den Forderungen des Konzils, wenn der Staat sich in der Ausein- andersetzung von Religion und Athe- ismus neutral verhält. Aber wie stellt sich die Partei zu der athe- istischen Ideologic? Wird es auch einem Parteigenossen, der an füh- render Stelle steht, erlaubt sein, ein gläubiger Katholik zu sein? Darüber schweigt sich die Partei aus. Wenn man bedenkt, daß nach kommuni- stischer Doktrin die Partei über dem Staat steht und ihm seinen Weg dik- tiert, dann weiß man, daß mit einer formalen Neutralität staatlicher In- stanzen nicht viel genutzt ist. Die Partei wird vorsichtig sein und sich demokratisch verhalten, solange sie in der Opposition ist, aber wie wird sie ihr wahres Gesicht enthüllen, wenn sie einmal an die Macht gelan- gen sollte? Der sowjetische Partei- ideologe Suslow, der dem Parteitag beiwohnte, klatschte zwar den neuen Beschliissen Beifall, aber das ist wenig glaubwiirdig, solange sich die Partei hinter dem Eisernen Vorhang noch völlig anders verhält. Immer- hin sind die Dinge in Bewegung ge- kommen, und man wind die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen miissen. Es ist giewiß kein Grund zu ailzu großem Optimismus vorhan- den, aber wir sollten anderseits auch nicht bestreiten, daß sich neue Mög- lichkeiten aufgetan haben, an die zu Stalins Zeiten niemand zu denken wagte.

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