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Hinter dem Papst?

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Seit Monaten führt die italienische Justiz einen Kleinkrieg gegen die Rechtsextremen. Es geht der Rechtspflege um den Nachweis des Verstoßes gegen das 1972 verabschiedete sogenannte Gesetz „Scelba“, das die Neugründung der faschistischen Partei, die Anwendung von Gewaltmethoden upd die Untergrabung der demokratischen Einrichtungen untersagt und mit der Androhung langjähriger Gefängnisstrafen zu unterdrücken sucht.

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Seit Monaten führt die italienische Justiz einen Kleinkrieg gegen die Rechtsextremen. Es geht der Rechtspflege um den Nachweis des Verstoßes gegen das 1972 verabschiedete sogenannte Gesetz „Scelba“, das die Neugründung der faschistischen Partei, die Anwendung von Gewaltmethoden upd die Untergrabung der demokratischen Einrichtungen untersagt und mit der Androhung langjähriger Gefängnisstrafen zu unterdrücken sucht.

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Während die Verhaftung der Gründer und Rädelsführer der beiden rechtsextremen Bewegungen Or-dine Nuovo (Neue Ordnung) und Vanguardia Nazionale (Nationale Vorhut) vor Monaten kaum beachtet wurde, hat die erneute Anklage gegen Giorgio Almirante, den Generalsekretär des MSI (Movimento Sociale Italiano, neofaschistische Partei) sehr viel Staub aufgewirbelt. Almirante steht an der Spitze einer Partei, die bei den letzten Parla-men'tswahlen drei Millionen Wähler für sich gewinnen konnte. Was die Möglichkeit einer Aufhebung der (nach Democrazia Cristiana, KPI und PSI — Linkssozialisten) viertgrößten italienischen Partei anlangt, so ist sie freilich alles andere als ein Pappenstiel und vermag die ohnehin leicht erregbaren lateinischen Gemüter noch mehr in Wallung zu versetzen.

Ob es recht und billig, zweckvoll oder geradezu unsinnig ist, den Chef einer solchen „Beinah-Maxi-Partei“ hinter Schloß und Riegel zu setzen, darüber gehen die Meinungen auseinander. Jeder kann sich an den Fingern abzählen, daß man eine so große Bewegung durch die Verhaftung ihres Führers nicht einfach ausrotten kann. Wahrscheinlich würde der Freiheit, in deren Namen alles zu geschehen hätte, damit ein schlechter Dienst erwiesen werden. Die Gefahr besteht, daß Almirante zum Märtyrer gestempelt wird und dem ganzen Vorgehen damit eine gegenteilige Wirkung zukommt. Ferner lassen sich in einer so hochpolitischen Angelegenheit die einzelnen Anklagepunkte kaum hieb- und stichfest beweisen.

Problematisch ist überdies der Zeitpunkt der jetzt in aller Form erhobenen Anklage gegen Almirante. Binnen weniger Monate findet der große Urnengang über das Problem der Beibehaltung oder Abschaffung des Ehescheidungsgesetzes statt. Die Neofaschisten suchen mit allen Mitteln Kapital aus dieser Auseinandersetzung zu schlagen, indem sie sich ohne Wenn und Aber hinter den Vatikan stellen und die 1970 eingeführte staatliche Institution der Ehescheidung vehement bekämpfen. Sie wissen, daß die Democrazia Cristiana diesen Kampf zur Aufhebung der Scheidung nicht geschlossen führt, daß viele Linkskatholiken und einige von ihnen inspirierte Organisationen sich in dieser Angelegenheit viel mehr nach den die Scheidung befürwortenden Laienparteien (von den Kommunisten bis zu den Liberalen) richten. Steht hingegen die italienische Sozialbewegung „wie ein Mann“ hinter Paul VI., so kann in einem auf dem Papier fast hundertprozentig katholischen Lande der Gehorsam gegenüber dem Papst eine ausgezeichnete politische Waffe abgeben. Wäre es auch für die Democrazia Cristiana sehr bequem, MSI, diesen großen Rivalen im Kampf um die Gunst der Wähler, durch einen Federstrich — die Verurteilung Al-mirantes oder das Verbot seiner Bewegung — aus dem Feld zu schlagen, so dürfte der Erfolg eines solchen Vorgehens doch äußerst fragwürdig sein.

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