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Korruption in Italien

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Seit einiger Zeit wird die öffentliche Meinung Italiens von der Bekanntmachung großer Korruptionsaffären förmlich in Atem gehalten. Elf große Bürokratieskandale sind während der letzten zwei Jahre aufgeflogen. Mastrella, Marotta, Ipolito, Trabucchi, Aliotta sind Namen von führenden Persönlichkeiten der italienischen Bürokratie, deren Mißwirtschaft dabei am meisten von sich reden gemacht hat. Es gibt kaum ein Ministerium, das nicht „seinen“ Fall aufweist. Wenn der Steuereinzug und die Zoll- und Finanzverwaltung besonders belastet sind, so liegt dies freilich nur in der Natur der Sache begründet.

Nachteil oder Verdienst der Apertura a sinistra?

Der Mann auf der Straße, der am Morgen seine Zeitung kauft und an vorderster Stelle zu lesen bekommt, daß einem hohen Bürokraten von seiten eines Gerichtes, einer parlamentarischen Kommission oder sogar (wie im Falle Trabucchi) des Parlamentes der Prozeß gemacht wird, ist sicherlich geneigt, die jetzige Regierung für besonders korrupt zu halten. Wer sich bemüht, den Dingen auf den Grund zu gehen, wird sich jedoch fragen müssen, ob es sich nicht gerade umgekehrt verhalte: bestand die Mißwirtschaft in Italien nicht seit eh und je und vor drei, fünf oder zehn Jahren noch mehr als heutzutage — mit dem einzigen Unterschied, daß man heute von ihr weiß, während sie früher unter den Tisch gewischt und todgeschwiegen wurde?

Die Beantwortung dieser Frage ist äußerst schwierig, weil sie selbst ein

Politikum darstellt. Ein Befürworter der Apertura a sinistra wird die vermehrte Aufdeckung der schlechten Staatsverwaltung gerade der nach links geöffneten Regierung zugute halten, während Liberale, aber auch Kommunisten dazu neigen, die Mißwirtschaft dieser spannungsgeladenen Allianz zwischen Christlichdemokraten und Linkssozialisten zu: Last zu legen.

Viele Gründe lassen sich für den einen oder anderen Standpunkt vorbringen. Von den elf erwähnten Skandalen scheint nur ein einziger Fall das Produkt der Linksöffnung gewesen zu sein. Die meisten Fälle wurden mehrere Jahre vor der Zeit der Verwirklichung der Apertura a sinistra — wie man hierzulande sagt — „gebacken“. Die Skandale gehen gelegentlich so weit zurück, daß man ihre Entstehung und Entwicklung gar nicht mehr richtig erklären kann, sei es, daß die Hauptnutznießer — meist irgendwelche alte Familienangehörige oder Freunde der Bürokratie — das Zeitliche „gesegnet“ haben, sei es, daß die ganze Dokumentation „anderweitig“ zum Verschwinden gebracht wurde. In einigen Fällen wären diese Affären niemals derart ins Kraut geschossen, wenn ihnen nicht ein veraltetes, ungutes Gesetz aus der Faschistenzeit Pate gestanden hätte, das um sie eine Mauer der Scheinlegalität errichtet und den Kontrollorganen des Staates den Durchgriff lange Zeit erschwert hatte.

Tote Zeugen sind immer Entlastungszeugen!

In der parlamentarischen Debatte über seinen Casus hat der ehemalige Minister Giuseppe Trabucchi sicherlich von der Tatsache profitiert, daß Carmine De Martino, Präsident der beiden privaten Gesellschaften, die durch seine Konzession zum Bezug von teurem mexikanischem Tabak für das Staatsmonopol innerhalb kurzer Zeit die hübsche Summe von 1,3 Milliarden Lire eingesteckt haben, schon zwei Jahre zuvor gestorben ist. Trabucchi hat zwar behauptet, daß er De Martino gar nicht gekannt habe — ein Argument, daß ihm dann aber mehr zur Last gelegt wurde, als daß es ihn reinzuwaschen vermochte!

Die Gegner der Apertura a sinistra machen jedoch geltend, daß das Experiment der Linksöffnung eine sehr lange Vorgeschichte habe. Viele Jahre vor ihrer Verwirklioli/ung, im November 1963, seien die Linkssozialisten von selten der sich nicht mehr sicher im Sattel fühlenden Christäichdemokraten systematisch korrumpiert worden. Um ihren „guten“ Willen unter Beweis zu stellen, hätten die bisherigen Träger der Macht schon 1955, vor allern aber seit 1959 mit der Übernahme des Generalsekretariates durch Aldo Moro, die Linkssozialisten mit Pfründen aller Art für die Zusammenarbeit recht eigentlich präpariert. Sie versprachen sich von der Aufnahme der Linkssozialisten in die Regierung eine vermehrte parlamentarische Unterstützung der Regierungsdekrete, eine Stabilisierung der labilen innenpolitischen Lage und die Schachmattsetzung des bedrohlichen karrimunistlschen Vormarsches, ja sogar eine eigentliche Ausmanövrierung des ganzen von Moskau gesteuerten Linksextremismus aus dem politischen Spiel der Kräfte. Für diese „Erweiterung der demokratischen Basis“ waren sie gewillt, lange vor 1963 einen guten Preis zu bezahlen, und dieser bestand in der Aufnahme von Linkssozialisten ins sogenannte „sotto-govemo“, das heißt, in jenen Teil der Verwaltung, der nach außen hin kaum sichtbar ist, gerade darum jedoch um so höhere und unkontrollierbarere Profite abwirft.

In den letzten zwei Jahren

In dieser ganzen äußerst komplexen und umstrittenen Angelegenheit läßt sich nicht wegdiskutieren, daß seit zwei Jahren Fälle schlechter und korrupter Staatsverwaltung mehr denn je bekanntgeworden sind. Die Versuchung liegt freilich nahe, dies der jetzigen, nach links gerichteten Regierung zugute zu halten, weil ungefähr seit dem Zeitpunkt, da die Apertura a sinistra verwirklicht worden ist, auch die verschiedenen Korruptionsaffären aufgeflogen sind.

Ein unvoreingenommener politischer Beobachter wird diese Sachlage jedoch nicht unbedingt als ein Verdienst denn als ein Nebenprodukt der Linksöffnung betrachten. Wahrscheinlich hätte es niemals einen Fall Trabucchi gegeben, wenn der ehemalige Minister nicht gerade jener Strömung der Democrazia Cristiana angehörte, die in der jetzigen Regierung nicht vertreten ist.

Nachdem der Fall Trabucchi hochgespielt war — mehr als den rechtsstehenden Christlichdemokraten lieb sein konnte — und zum Prozeß am 20jährigen christlichdemokratischen Machtmonopol, ja am ganzen bürgerlich-demokratischen Staat auszuarten drohte, standen die Christlichdemokraten wiederum geschlossen hinter ihrem ehemaligen Minister. Sie taten es um so eher, als gute Aussicht bestand, daß sie mit Hilfe des besonderen Reglementes, welches zur Verurteilung eines Regierungsvertreters wegen Amtsmißbrauches eine qualifizierte Mehrheit vorsieht, ihn heil aus der ganzen Affäre ziehen konnten, was dann ja auch tatsächlich geschehen ist.

Licht ins Dunkel

Stünden hinter der Regierung Moro vorbehaltlos und solidarisch vier eigentliche Parteien und keine bloßen Föderationen von Parteiströmungen, die sich innerhalb ihrer Dachorganisationen schwer bekämpfen und vor Sonderbünden mit außenstehenden Parteiströmungen und ganzen Parteien keineswegs zurückschrecken, so bestünden aller menschlichen Voraussicht nach weniger gute Aussichten, daß die Mißwirtschaft der italienischen Bürokratie aufgedeckt und bekanntgegeben würde. Die Tatsache, daß mit der Berufung Gian Antonios, zuvor Generalprokurator, den leitenden Stellen der Staatsmonopole mehr denn je auf die Finger geschaut wird, sei keineswegs bestritten. Man sollte jedoch erkennen, daß während einer Periode, da eine einzige Partei, die Democrazia Cristiana, ziemlich selbstherrlich regieren konnte und die Zügel fest in Händen hielt (was zwischen 1948 und 1955 der Fall war), und auch dann, als eine Mehrheit von Parteien ziemlich geschlossen hinter den Regierungen stand (was zwischen 1955 und 1962 «er Fall war), ein derart unbestechlicher Mann weniger denn heute hätte gewählt und in seinem Amte belassen werden können.

Korruption gibt es in der einen oder anderen Form, im einen und anderen Ausmaß in jedem Staate. Was sich ändert, sind die Staatsformen und Regierungsformen, deren Strukturen einer schlechten Staatsverwaltung Tür und Tor öffnen oder aber den Riegel vorschieben können. Auf Grund der besonderen partikularistischen Mentalität — mangelndes Verantwortungsgefühl für die Gesamtheit, fehlende objektive Moral —, die es an sich erschwert, daß der einzelne Bürokrat die Sonderinteressen zugunsten der Gesamtinteressen zurückstellt, scheint in Italien jenes politische System am ehesten für die Aufdeckung der staatlichen Mißwirtschaft zu sorgen, das keinem Kabinett die Stabilität der Regierungsführung garantiert und dem es beim „besten“ Willen nicht gelingt, den Kuchen der Staatseinnahmen ohne Mitwissen der andern — der inneren und äußeren Opposition — so weit wie möglich untereinander zu verteilen.

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